Inhalt:
Katharina ist Witwe. Die Einsamkeit macht ihr weit weniger zu schaffen als der Verzicht auf Seile, Handschellen und andere Folterinstrumente.
Deshalb bricht sie das Versprechen, das sie ihrem Mann am Sterbebett gab und folgt der Einladung einer geschlossenen Gesellschaft zum Spieleabend auf eine Burg.
Die Ähnlichkeit des Burgherrn mit ihrem verstorbenen Mann macht Katharina stutzig. Aber erst der Unterschied wird für sie zur Gefahr. Denn dieser weckt den selbstzerstörerischen Trieb in ihr.
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Herz Schlag 2
Zoe Zander
Herz Schlag 2
SM-Roman
© Zoe Zander
Herz Schlag 2
SM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Leseeulen – Verlag
Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.com
Das Buch
Katharina ist Witwe. Die Einsamkeit macht ihr weit weniger zu schaffen als der Verzicht auf Seile, Handschellen und andere Folterinstrumente.
Deshalb bricht sie das Versprechen, das sie ihrem Mann am Sterbebett gab und folgt der Einladung einer geschlossenen Gesellschaft zum Spieleabend auf eine Burg.
Die Ähnlichkeit des Burgherrn mit ihrem verstorbenen Mann macht Katharina stutzig. Aber erst der Unterschied wird für sie zur Gefahr. Denn dieser weckt den selbstzerstörerischen Trieb in ihr.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Das Vermächtnis
Von all den Männern auf dieser Welt
kreuzte ich gerade deinen Weg.
Und je näher du mir kommen wolltest,
umso mehr zog es mich von dir weg.
Dich vorher noch nie getroffen,
hab ich die Gefahr sofort erkannt.
Wir waren so grundverschieden,
und dennoch gab es eins, was uns verband.
Jetzt blickst du tief in meine Augen,
sanft streifst du über meine Haut.
In unseren Köpfen herrscht Todesstille,
um uns herum ist es ganz laut.
Du sagst – ich soll auf dich warten.
Deine Bitte bringt mich in Not.
Ich dachte, ich könnte dir entkommen.
Aber es will mir keiner. Auch nicht der Tod …
© Zoe Zander
Prolog
Als mein Mann zum letzten Mal die Augen schloss und seine Lippen sich von meinen lösten, fing ich an zu schreien. Der Schmerz war unerträglich. Als hätte man mein Herz auf die Größe eines Staubkorns komprimiert.
Der Druck in meiner Brust ließ eine sehr lange Zeit nicht nach. Auch heute ist er noch deutlich präsent. Zehn Jahre ist es bereits her und ich vermisse ihn, wie in dem Moment, als er meine Hand für immer losließ. Ich konnte mir nicht vorstellen, auch nur einen einzigen Tag ohne ihn zu überleben. Dabei lag alles andere als eine Bilderbuch-Beziehung hinter uns.
Er war dominant, sadistisch, besitzergreifend, herrschsüchtig und bis zuletzt verantwortungslos. Nicht nur einmal brachte er mich mit seinem Leichtsinn und Egoismus in Lebensgefahr. Auch deshalb entschied ich mich bewusst, meine Abhängigkeit von ihm, nicht zu analysieren. Nicht zuletzt, um die Erinnerungen so zu behalten, wie sie sind:
Unersetzbar schön.
Jetzt
Wiedersehen
„Katharina! Wie schön dich wieder zu sehen! Ich wusste die ganze Zeit, dass an den Gerüchten nichts Wahres dran sein kann …“
Ein mir vertrautes Lächeln strahlt mich an. Michaels Freude über unser Wiedersehen wiegt mich in Sicherheit.
„Ich muss mit dir reden. Dringend …“ Kaum lasse ich den Türgriff los, stürze ich in den Raum hinein und nur durch ein Wunder falle ich nicht gleich hinter der Tür auf den Boden.
„Katharina? Was ist los mit dir? Wie siehst du denn aus und wieso bist du barfuss?“
Ich taumle auf seinen Schreibtisch zu, will mich abstützen, räume stattdessen die Tischplatte leer. Der Polizist, dem ich alles in den Schoß schiebe, streckt mir die Arme entgegen und fängt mich ab. Doch vor der Dunkelheit kann er mich nicht bewahren.
„Sie ist sturzbesoffen“, erklärt einer der Beamten der gerufenen Rettungsmannschaft meinen Zustand. „Ihr Wagen steht im Halteverbot und dann auch noch halb auf dem Gehweg. Ich war gleichzeitig mit ihr angekommen, sah sie aus dem Wagen regelrecht hinausfallen, und bin ihr nachgelaufen. In der heutigen Zeit kann man schließlich nicht vorsichtig genug sein …“ Der Typ tastet mich schon zum zweiten Mal ab, als würde er bei mir eine Waffe vermuten.
„Also da brauche ich sie nicht lange untersuchen, um zu sehen, dass sie vollkommen dehydriert ist. Die hat garantiert seit Tagen nichts getrunken …“
Jemand streift mir über meine Wange und ich frage mich, ob er Schihandschuhe trägt oder warum sich die Berührung so befremdlich anfühlt.
„Michael“, lalle ich benommen.
„Besoffen. Das erkenne ich schon an der Stimme. Macht zuerst einen Bluttest, bevor die Infusion die Werte verfälscht“, besteht der Typ, der mich für eine betrunkene Terroristin hält.
Jemand macht sich an den Knöpfen meiner Bluse zu schaffen. Meine Versuche, ihn davon abzuhalten, scheitern kläglich.
„An ihrer Nase klebt Blut.“
„Wahrscheinlich ist sie bereits vorher irgendwo zu Boden gegangen.“
„Michael …“, lalle ich erneut.
Eine Hand fasst nach meiner und eine bekannte Stimme haucht mir ins Ohr.
„Was ist los, Katharina?“
Der dritte offene Knopf enthüllt ein Teil meines Geheimnisses. Die rätselnde Gesellschaft um mich herum stockt und auch wenn ich es nicht sehen kann, weil meine Lider schwer wie Blei sind, so glaube ich, dass sie alle meinen Bekannten anstarren und der fragt mich jetzt: „Was ist mit dir passiert?“
„Ich bin vergewaltigt worden.“
Eine schwere Decke scheuert bei jeder Bewegung des Lenkrads über meine gereizten Nippel wie ein Stück Schleifpapier. Man hat es mit mir sehr eilig und keiner scheint sich Gedanken zu machen, wie ich diese Raserei vertrage. Ich suche nach etwas, was mir Sicherheit vermittelt, worauf er nach meiner Hand greift und sie in seine schließt.
„Ich bin da, Katharina. Ich bin bei dir.“
Das Ziepen in meiner Armbeuge lässt mich vermuten, dass sie die Infusion der Nachweisuntersuchung des Alkohols in meinem Blut vorgezogen haben.
Ich drücke seine Hand, doch die Dunkelheit reißt mich erneut weg von ihm.
„Kann ein übermäßiger Alkoholkonsum dem Körper so viel Flüssigkeit entziehen?“
„Nein.“ Der Arzt hält sich knapp.
„Du sagtest doch was von Rettung im letzten Augenblick. Wie kann jemand – bitte schön – so lebensbedrohlich austrocknen?“
„Es reichen ein-zwei Tage, ohne zu trinken.“
„Nichts getrunken? Wie kommen dann die zwei Promille in ihr Blut?“
„Durch einen Einlauf.“
„Was?!“
„Ja. Jemand hat ihr rektal Alkohol eingeflößt.“
„Für was soll das gut sein?“
„Man erspart sich den Weg durch den Magen. Der Alkohol gelingt durch die Darmwand schneller ins Blut.“
„Aha. Und für was soll das gut sein?“
„Was weiß ich. Manchen macht’s Spaß. Nur macht sie nicht den Eindruck, als hätte sie Spaß dabei gehabt.“
Mein lautes Schluchzen macht die Männer darauf aufmerksam, dass ich sie hören kann. Meine Lider sind immer noch zu schwer, um sie zu öffnen. Meine Hände, vor allem die Finger, fühlen sich taub an. Sonst hätte ich den Polizisten längst von mir weggestoßen, damit er keine der weiteren Spuren sieht, die der Arzt gleich enthüllt.
„Menschenskind!“
Ich habe es nicht verhindern können.
„Sie hat gesagt, sie sei vergewaltigt worden.“
„Vergewaltigt ist stark untertrieben. Die Frau hat ein Martyrium hinter sich.“
Der Arzt deckt mich rasch zu, zögert so die Untersuchung hinaus.
„Michi“, spricht er ihn vertraut an. „Ich denke, es ist besser, wenn du draußen wartest“, nimmt er die Worte aus meinem stummen Mund.
Eine wärmende Hand streift über meinen Handrücken und eine andere durch mein ungekämmtes Haar.
„Katharina?“
„Hm“, brumme ich leise.
„Wir bringen Sie jetzt in den OP …“
Das Bild von diversen medizinischen Instrumenten in meinem Kopf drückt mir diesen weit in den Nacken, worauf sich mein Körper aufbäumt.
„Die Verletzungen an ihrem Unterleib und vor allem am Rektum müssen dringend versorgt werden. Das möchte ich Ihnen in Ihrem Zustand nicht ohne Betäubung zumuten.“
Mit stummem Nicken erkläre ich mich damit einverstanden.
„Je schneller Sie es machen lassen, umso schneller haben Sie es hinter sich.“
Eine zweite Hand landet auf meiner Schulter, was mich zusammen fahren lässt.
„Die Abstriche und die Kleidung habe ich schon ins Labor geschickt. Die Bildaufnahmen kann ich dir gleich geben.“
„Wie weit kann ich sie begleiten?“
„Bis in die Vorbereitung.“
„Gut. Dann mache ich das und komme anschließend zu dir. Dann kannst du mich aufklären.“
„Dann rate ich dir auf dem Retourweg nichts an dem Snackautomaten zu kaufen.“
„Wieso? Sind die Riegel schon wieder abgelaufen?“
„Nein. Aber was ich dir zu erzählen habe, wird schwer zu verdauen sein.“ Der Arzt streift mir erneut über den Handrücken. „Katharina, ich kann mich ja täuschen. Aber ich gehe davon aus, dass Sie den Schmuck nicht behalten möchten.“ Ich weiß genau, was er meint und atme tief durch die Nase ein, ohne ein Wort zu sagen. „Sollen wir alles entfernen?“ Er nimmt meine Hand in seine, worauf ich seine Finger ergreife und festdrücke. „Gut. Dann machen wir es so.“
Die Nachwirkungen des Narkotikums drücken mir aufs Gemüt. Michael sitzt mir zur späten Stunde gegenüber und reibt sich die Schläfen. Vielleicht hat er einen Akupressurpunkt gefunden, mit Hilfe dessen er die Müdigkeit bekämpfen kann. Ich muss ihn bei Gelegenheit danach fragen.
„Der Arzt hat gemeint, ich wäre hier in Sicherheit. Wieso wachst du dann an meinem Bett?“
Michaels Lachen klingt gequält.
„Danke, Michael, dass du mitgekommen bist“, plappere ich müde und benebelt.
„Das ist das Mindeste, was ich für dich tun konnte, Katharina.“
„Du siehst müde aus. Habe ich dich bei der Dienstübergabe erwischt?“
„Mach dir über mich keine Gedanken, Katharina. Schlaf etwas. Ich bleibe die ganze Nacht bei dir. Jutta weiß Bescheid.“
Ich weiß, dass er verheiratet ist. Und ich weiß auch, dass er eine sehr glückliche Ehe führt.
„Ich werde es dir nicht erzählen, Michael. Ich habe dir schon damals nichts erzählt. Aber wenn ich es dir jetzt irgendwelche Einzelheiten verrate, werde ich dir nie wieder in die Augen sehen können …“, lalle ich im Halbschlaf.
„Du wirst es aber irgendjemanden erzählen müssen. Die Untersuchungsergebnisse und die Fotos, die der Arzt von deinen Verletzungen gemacht hat, reichen für eine Anzeige. Aber für ein Verfahren und vor allem für eine Verurteilung reicht das alles unter Umständen nicht. Da ist die Gesetzeslage etwas eigen.“
Ich presse meine Lippen aneinander, als würde ich nachdenken. Im Inneren trage ich gerade einen Kampf zwischen meinem Verlangen nach Ruhe und meinem Gerechtigkeitssinn aus. Wie hätte sich Thomas entschieden?
„Sag mir zumindest, wo es passiert ist.“
„In der Burg.“
„In welcher Burg?“
„In Max Weilers Burg.“
„Katharina, ich hab dich doch gewarnt. Und du sagtest schließlich selbst – Thomas auch …“
„Bitte Michael, mach mir jetzt keine Vorwürfe.“
„Mache ich auch nicht. Ich kann mir allerdings die Gerüchte nicht erklären, die der Bürgermeister überall verbreitet.“ Michael verstummt kurz, als würde er auf eine Frage warten, also erfülle ich ihm den Wunsch.
„Welche? Doch nicht etwa, dass er mich belog? Denn wenn er das erzählt, dann ist es die Wahrheit.“
„Du hättest ein one-way-Ticket in den Süden gebucht. Er will dich am Flughafen mit zig Koffern angetroffen haben.“
„Koffer? Süden? Ich wollte das Hospiz retten. Das hatte ich gemeint, als ich zu dir sagte, ich müsste für vierzehn Tage weg, um was zu erledigen. Mensch, Michael. Hat Thomas nie erwähnt, dass er mich betäuben musste, um mich in einen Flieger zu bekommen?“ Meine Worte verschlagen Michael kurz die Sprache. Einige Male schnappt er mit weit offenem Mund nach Luft, ehe er fortsetzt.
„Thomas hat nie etwas erzählt. Außer, dass er sehr glücklich war mit dir.“ Michael merkt, wie meine Mundwinkel zu zucken beginnen. „Entschuldige.“
Ich kann ihm im Augenblick nicht darauf antworten.
„Wie kam dann gerade der Bürgermeister dazu, so was zu verbreiten? Das Gerücht war so absurd, dass es im Zusammenhang mit dir schon wieder stimmen konnte.“
„Was willst du damit sagen?“
„Besser ein Neuanfang irgendwo am Arsch der Welt, als dich eines Tages kalt aus dem Fluss zu ziehen …“
Ich schnalze mit der Zunge.
„Ich habe irgendwann aufgehört, die Anrufe zu zählen …“
„Kann man nicht mal die Füße von der Brücke baumeln lassen?“, merke ich lasch an, da ich zu matt bin, um mich aufzuregen.
„Katharina!“, herrscht er mich an und stockt gleich, denn ich breche sofort in Tränen aus. „Ich weiß, keine Vorwürfe, aber du machst es einem auch nicht gerade leicht.“ Er kommt zu mir und schließt mich in seine Arme. Doch ich schüttle den Kopf und rotze in sein Hemd: „Er fehlt mir so. Michael, er fehlt mir so sehr.“
„Ich weiß, Katharina. Und weil er nicht mehr da ist, will ich dich beschützen. Kapiere es endlich. Jedes mal, wenn ich so einen Anruf bekam, fuhr ich hin, um dich rechtzeitig aus dem Wasser zu ziehen, wärst du tatsächlich gesprungen.“ Er wiegt mich hin und her. „Und jetzt bist du am Zug. Erzähl, was passiert ist.“ Er hält mich immer noch fest und drückt sich mein Gesicht auf seine Brust. Wahrscheinlich bin ich deshalb bereit, ein klein wenig von all dem zu erzählen. Weil er mir dabei nicht ins Gesicht sehen kann …
„Ich war bei Max Weiler, weil er sehr gut mit dem Bürgermeister kann. Ich dachte mir, wenn ich ihm einen Gefallen tue, dann tut er mir auch einen …“
„Wieso dann das blöde Gerücht?“
„Weil Max Weiler nie vor hatte, seinen Teil der Abmachung einzuhalten. Er hatte nicht vor, mich nach den vereinbarten vierzehn Tagen gehen zu lassen, wenn du verstehst.“
Michael lässt mich langsam los, hilft mir, mich zurückzulehnen.
„Jetzt ist mir klar, dass er von Anfang an nicht vor hatte, mich gehen zu lassen. Deshalb das Gerücht.“ Eigentlich wusste ich es schon lange, aber erst jetzt wird mir alles richtig bewusst und ich begreife endlich, dass man nach mir nie gesucht hätte.
Er atmet schwer. Ich hoffe sehr, er gibt dem Impuls nicht nach und unternimmt nichts Unüberlegtes.
Er kramt in seiner Hosentasche nach dem Telefon und wählt eine Nummer.
„Wen rufst du an?“, frage ich neugierig.
„Ich bringe dieses Schwein um.“
„Willst du dich etwa bei ihm ankündigen?“ Das war kein Witz. Ich denke wirklich, dass er sich mit Max verabreden will. So nach dem Motto: Wir müssen reden. „Gehe auf keinen Fall alleine hin.“
„Katharina, …“
„In dem Gemäuer hört dich keiner schreien. Verstehst du mich?“
„Soll ich etwa untätig sitzen und Däumchen drehen, während er frei herum läuft?“
„Du verstehst nicht“, sage ich enttäuscht.
„Nein, du verstehst nicht!“, brüllt er mich urplötzlich an. Dabei springt er auf, kaut nervös an seiner Unterlippe. „Du hättest dich in dem Zustand totfahren können! Das ist … Das ist versuchter Mord! Thomas bliebe an meiner Stelle sicher nicht untätig!“
„Thomas ist der jenige, der mir erst diesen ganzen Scheiß eingebrockt hat und mich mittendrin alleine zurückließ!“
„Ohne Thomas wärst du wahrscheinlich längst tot!“
„Na und? Dann wäre mir diese ganze Scheiße erspart geblieben! Er hätte den Rat deines Vaters annehmen und die Finger von mir lassen sollen!“
Nach meinem ungeplanten Ausbruch versinkt das Zimmer im Schweigen. Wir meiden beide den Augenkontakt. Ob Michael ahnt, dass ich die Antwort auf meine Frage bekommen habe?
Irgendwann meldet sich Michael zum Wort: „Ich sollte dann vielleicht doch lieber nach Hause fahren.“
„Ja.“ Ich befürchte das Ende einer sehr guten Freundschaft.
„Die Scheiße ist das Leben, Katharina“, Michael bleibt in der Tür stehen und dreht sich nach mir um. „Es tut mir leid, dass du es so siehst.“
„Scheiße oder Leben. Ich bin für beides nicht gemacht.“ Ich wische mir mit der Bettdecke die Tränen aus dem Gesicht. „Hat er dir echt nicht erzählt, dass ich vom Fliegen Angst habe?“
„Nein. Nur dass du nicht schwimmen kannst, wenn du verstehst.“
Ich verstehe zu gut und sage deshalb: „Du kannst nicht jederzeit zur Stelle sein.“
„Ich werde es zumindest versuchen.“
Scheinbar habe ich nochmals die Kurve gekriegt.
„Michael“, gebe ich mir einen Ruck. „Ich weiß nicht, wo mein Autoschlüssel ist. Aber sieh zu, dass du der erste bist, der einen Blick ins Wageninnere wirft.“
Davor
Neubeginn
Als Thomas starb, war ich noch sehr jung. Die ersten Nächte drohte ich, wahnsinnig zu werden, weil ich plötzlich die Last all der mir bevorstehenden Jahre spürte, die ich ohne ihn verbringen sollte. Kaum schloss ich abends die Lider, fühlte ich das Gewicht der Einsamkeit. Sie saß auf meiner Brust und erschwerte mir das Atmen.
Als Thomas starb, wollte ich ebenso sterben. Ich verfluchte die Welt, das gesamte Universum, weil er mir weggenommen wurde. Und weil ich nicht mit ihm gestorben war. Ich wachte am nächsten Morgen auf. Ebenso am Morgen danach und an all den weiteren Morgen, die nach Thomas’ Tod folgten. Ich wachte auf und war lebendiger denn je und voller Energie, die ich während der Zeit, in der ich Thomas pflegte, so oft vermisste.
Nach Thomas’ Beerdigung stürzte ich mich in die Arbeit. Ich wechselte den Job, schlug mir die Nächte bei Vorträgen um die Ohren, machte eine Fortbildung nach der anderen, als müsste ich etwas nachholen. Dabei schlug ich nur die Zeit tot. Zeit, die ich ohne ihn verbringen musste.
Ich bewarb mich in einem Hospiz, gegründet und geführt von einem Schwesternorden. Vielleicht, um den Tod nicht aus den Augen zu verlieren. Vielleicht aber auch, weil ich nichts anderes konnte, als ständig an den Tod zu denken und mit Todgeweihten umzugehen. Meine Arbeit kam gut an und so leitete ich nach einiger Zeit einen der Pavillons und wenige Jahre später das gesamte Haus.
Nach Thomas’ Tod schloss ich mit allem ab. Obwohl ich einen Führerschein besaß, verkaufte ich seinen Flitzer und auch sein Appartement. Als ich dem Makler mit einer Geschichte all die Haken, Balken und andere Ein- und Vorrichtungen erklärte, ging ich bewusst über die imaginäre Schwelle und ließ auch diese Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Keine Seile mehr. Keine Striemen, keine Unterwerfung, aber ebenso auch keine Lust. Mein Primar war weg und mit ihm auch mein Herr, Erzieher und Geliebter. Die meisten Erinnerungsstücke fanden auf eBay ihre neuen Besitzer. Nur ganz wenige behielt ich und verwahrte sie in einer Kiste. Sogar seinen Namen legte ich kurz nach der Beerdigung ab, um nicht jedes Mal in Tränen auszubrechen, wenn man mich ansprach. Ich trug lediglich seinen Ring am Finger und auch das an der linken Hand, damit niemand darin einen Ehering vermutete. Um mir Fragen zu ersparen, kreuzte ich auf sämtlichen Formularen ledig an.
Das pralle Konto, das mir Thomas hinterlassen hatte, erleichterte mir den Start in mein neues Leben. Einen Job hätte ich gar nicht nötig, aber da mir der Wahnsinn rund um die Uhr an der Tür kratzte, richtete ich meinen Blick starr in die Zukunft und stürzte mich waghalsig in eine Hundert-Stunden-Woche wie ein Bungeespringer in eine bodenlose Schlucht. Dies muss mit einem Affentempo passiert sein, denn ich verlor meine Vergangenheit und alles hierzu Gehörende rasch aus dem Blick.
„Morgen, Herr Tikatsch“, begrüßte ich bei meinem Rundgang einen unserer Gäste. Da wir nicht um ihre Heilung bemüht waren, nannten wir sie nicht Patienten. Und da sie meist nicht lange bei uns blieben, waren es auch keine Bewohner.
Herr Tikatsch verbrachte fast sein ganzes Leben in der Türkei. Wie er selbst erzählte, war er in seiner Jugend dem öden Alltag entflohen, samt den Gesellschaftszwängen und Moralregeln. Viele Jahre schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, schlief in Parks und auf dem Strand, bis ihn das Alter mit allen seinen Tücken einholte. Eines Tages griff man ihn abgemagert und verwahrlost auf. Die Botschaft eruierte seine letzten Meldedaten und so landete er bei uns. Genau an dem Ort, den er vor sechzig Jahren verließ.
„Du kannst nicht vor deinem Schicksal flüchten, Liebchen. Es holt dich so oder so eines Tages ein“, verabschiedete er mich aus seinem Zimmer, nachdem ich seine Pfanne geleert und sein Bettlaken gerade gezupft hatte. Natürlich gehörte dies längst nicht mehr zu meinen Aufgaben. Aber wie in jedem pflegerischen und sozialen Bereich mangelte es uns ebenso am Personal. Bevor ich unsere Gäste in ihrem eigenen Saft liegen ließ, machte ich mir lieber die Hände schmutzig.
Ich nahm jedes ausgesprochene Wort mit, pflegte aber nicht, mich weiterhin mit den Botschaften unserer Gäste zu beschäftigen. Jedes Mal, wenn ich so ein Zimmer verließ, hing ich diese an den Garderobenhaken neben der Tür auf und holte sie bei meinem nächsten Besuch dort wieder ab. Aber Tikatschs Worte klebten an mir wie Pech. Sie sickerten sogar durch den Kittel durch auf meine Kleidung, die ich darunter trug und so schleppte ich sie widerwillig mit nach Hause. Sie drangen bis auf meine Haut, und ich bekam sie auch in der Dusche nicht ab, egal wie sehr ich schrubbte und wie viel Seife dabei drauf ging. Sie begleiteten mich bis ins Bett: „Es holt dich ein.“
Und tatsächlich. Als wäre Tikatschs Karma nach seinem Tod auf mich übersprungen. Kaum hatten wir alles erledigt, was so ein Todesfall an Erledigungen mit sich brachte, zog ich mich in mein Büro zurück. Und da warteten sie schon auf mich: die Erinnerungen.
Die untergehende Sonne schielte durch die schiefen Jalousien. Ihre dunkelroten Tentakel nahmen meinen Schreibtisch in Beschlag. Der Ast des Baumes vor meinem Fenster warf einen Schatten auf den Sessel, so dass mir vor Schreck die Luft wegblieb.
„Thomas?“, flüsterte ich, als hätte ich einen Geist gesehen. Ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Nase kündigte Tränen an.
Der Schatten antwortete nicht und ich ging rasch ans Fenster, zog die Jalousien rauf und nahm in meinem Sessel Platz. Ich sollte Schreibkram erledigen. Formulare ausfüllen, Unterschriften darunter setzen und noch so einiges, aber ich tat es nicht …
„Bist du mit deiner Arbeit noch nicht fertig?“, trug mir der Wind Thomas’ Stimme durchs gekippte Fenster herein.
„Nein“, antwortete ich zeitgleich mit meiner Erinnerung.
„Wie viele Seiten musst du noch schreiben?“
Ich war plötzlich in dem alten Schwesternheim und saß über meiner Abschlussarbeit.
„Zwanzig“, antwortete ich mürrisch, ohne den Blick vom Block zu heben. Ehe ich mich versah, packte mich Thomas an den Haaren und zerrte mich um den Tisch herum.
„Für jede Seite ein Hieb. Ich bringe dir bei, Termine einzuhalten. Du solltest schon vor einer Stunde fertig sein. Das war jedenfalls abgemacht.“
Ich hob meinen Rock und da ich seit langem auf Thomas’ Wunsch oder eher Befehl keine Unterwäsche trug, stand der Strafe nichts mehr im Wege.
Ein lautes Sausen glitt durch den Raum. In Erwartung alles Möglichen klammerte ich mich an der Tischkante fest.
„Eins“, zischte ich laut, damit es Thomas gut hören konnte. Ohne ein Wort der Vorwarnung steckte er mir seinen großen Daumen in den After und zog meinen Hintern damit wie an einem Haken in die Höhe.
„Auf die Zehenspitzen mit dir, ich werde mich doch nicht deinetwegen bücken.“
„Zwei.“ Meine Beine fingen an zu zittern, kaum dass ich die Fersen vom Boden löste. Sein Daumen in meinem Po war nicht angenehm. Er zog an meiner Rosette und ich befürchtete, wenn er so weiter ziehen würde, würde er mir den Arsch wortwörtlich bis zum Hals aufreißen.
„Drei.“
Thomas legte eine Pause ein und benutzte den gedehnten Eingang. Kaum, dass er sich in mich ergoss, fragte er nach: „Wo sind wir stehen geblieben?“
„Bei drei“, stöhnte ich noch mitten im Vergnügen. Ich war nicht nur bei Schulangelegenheiten spät dran.
„Das soll ich dir glauben? Fangen wir lieber von vorne an.“
So ging das einige Male hintereinander. Zum Schluss pochte mein Hintern so stark, dass ich die restlichen Seiten im Stehen schrieb. Da meine Hand mindestens so stark gezittert hatte, wie meine Beine nach so vielen Gürtelhieben und Sex, konnte ich meine eigene Schrift nicht lesen. Also kündigte mir Thomas an, dass ich den ganzen Scheiß noch einmal schreiben muss. Dann legte er mich übers Knie und versohlte mir den Hintern erneut. Dieses Mal mit einem Lineal …
Es klopfte an der Tür.
„Zwanzig!“, rief ich, noch immer in Gedanken übers Knie hängend und laut zählend. „Herein“, korrigierte ich mich umgehend und blickte zur Tür. Mein Herz schlug mindestens so stark, wie damals meine Pobacken gepocht hatten.
„Komm, lass uns nach Hause fahren.“ Es war eine der Schwestern. Der Ordensschwestern.
„Nein, danke. Ich habe noch zu tun.“
„Um Mitternacht?“, fragte sie verwundert.
„Mitternacht?“ Meine Lippen formten ein Lächeln, aber da fiel mein Blick auf die Uhr, die über der Tür hing. Es war eine Minute vor Mitternacht. Meine Erinnerung beanspruchte so viel Zeit, wie meine Strafe damals. „Nein, danke. Ich werde mir später ein Taxi rufen, oder werde laufen. Frische Luft tut meinem Kopf sicher gut.“ Das meinte ich ernst.
„Kommt nicht in Frage. Ich erledige meinen Weg und hole dich danach ab. Und wenn ich dich mit dem Schuhlöffel aus dem Sessel raushebeln muss.“ Sie lachte, als sie ging. Ich nicht. Ich war schockiert.
„Was war das jetzt?“ Und damit meinte ich nicht die sorgsame Schwester, die mich nach jedem meiner Dienste nach Hause brachte, seitdem mein alter Fiat in der Werkstatt stand. Gemeint war meine Erinnerung, die nach mehr als zehn Jahren plötzlich aus dem nichts über mich kam.
Herz Schlag 2
Herz Schlag 2
SM-Roman
© Zoe Zander
Herz Schlag 2
SM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Leseeulen – Verlag
Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.com
Das Buch
Katharina ist Witwe. Die Einsamkeit macht ihr weit weniger zu schaffen als der Verzicht auf Seile, Handschellen und andere Folterinstrumente.
Deshalb bricht sie das Versprechen, das sie ihrem Mann am Sterbebett gab und folgt der Einladung einer geschlossenen Gesellschaft zum Spieleabend auf eine Burg.
Die Ähnlichkeit des Burgherrn mit ihrem verstorbenen Mann macht Katharina stutzig. Aber erst der Unterschied wird für sie zur Gefahr. Denn dieser weckt den selbstzerstörerischen Trieb in ihr.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Das Vermächtnis
Von all den Männern auf dieser Welt
kreuzte ich gerade deinen Weg.
Und je näher du mir kommen wolltest,
umso mehr zog es mich von dir weg.
Dich vorher noch nie getroffen,
hab ich die Gefahr sofort erkannt.
Wir waren so grundverschieden,
und dennoch gab es eins, was uns verband.
Jetzt blickst du tief in meine Augen,
sanft streifst du über meine Haut.
In unseren Köpfen herrscht Todesstille,
um uns herum ist es ganz laut.
Du sagst – ich soll auf dich warten.
Deine Bitte bringt mich in Not.
Ich dachte, ich könnte dir entkommen.
Aber es will mir keiner. Auch nicht der Tod …
© Zoe Zander
Prolog
Als mein Mann zum letzten Mal die Augen schloss und seine Lippen sich von meinen lösten, fing ich an zu schreien. Der Schmerz war unerträglich. Als hätte man mein Herz auf die Größe eines Staubkorns komprimiert.
Der Druck in meiner Brust ließ eine sehr lange Zeit nicht nach. Auch heute ist er noch deutlich präsent. Zehn Jahre ist es bereits her und ich vermisse ihn, wie in dem Moment, als er meine Hand für immer losließ. Ich konnte mir nicht vorstellen, auch nur einen einzigen Tag ohne ihn zu überleben. Dabei lag alles andere als eine Bilderbuch-Beziehung hinter uns.
Er war dominant, sadistisch, besitzergreifend, herrschsüchtig und bis zuletzt verantwortungslos. Nicht nur einmal brachte er mich mit seinem Leichtsinn und Egoismus in Lebensgefahr. Auch deshalb entschied ich mich bewusst, meine Abhängigkeit von ihm, nicht zu analysieren. Nicht zuletzt, um die Erinnerungen so zu behalten, wie sie sind:
Unersetzbar schön.
Jetzt
Wiedersehen
„Katharina! Wie schön dich wieder zu sehen! Ich wusste die ganze Zeit, dass an den Gerüchten nichts Wahres dran sein kann …“
Ein mir vertrautes Lächeln strahlt mich an. Michaels Freude über unser Wiedersehen wiegt mich in Sicherheit.
„Ich muss mit dir reden. Dringend …“ Kaum lasse ich den Türgriff los, stürze ich in den Raum hinein und nur durch ein Wunder falle ich nicht gleich hinter der Tür auf den Boden.
„Katharina? Was ist los mit dir? Wie siehst du denn aus und wieso bist du barfuss?“
Ich taumle auf seinen Schreibtisch zu, will mich abstützen, räume stattdessen die Tischplatte leer. Der Polizist, dem ich alles in den Schoß schiebe, streckt mir die Arme entgegen und fängt mich ab. Doch vor der Dunkelheit kann er mich nicht bewahren.
„Sie ist sturzbesoffen“, erklärt einer der Beamten der gerufenen Rettungsmannschaft meinen Zustand. „Ihr Wagen steht im Halteverbot und dann auch noch halb auf dem Gehweg. Ich war gleichzeitig mit ihr angekommen, sah sie aus dem Wagen regelrecht hinausfallen, und bin ihr nachgelaufen. In der heutigen Zeit kann man schließlich nicht vorsichtig genug sein …“ Der Typ tastet mich schon zum zweiten Mal ab, als würde er bei mir eine Waffe vermuten.
„Also da brauche ich sie nicht lange untersuchen, um zu sehen, dass sie vollkommen dehydriert ist. Die hat garantiert seit Tagen nichts getrunken …“
Jemand streift mir über meine Wange und ich frage mich, ob er Schihandschuhe trägt oder warum sich die Berührung so befremdlich anfühlt.
„Michael“, lalle ich benommen.
„Besoffen. Das erkenne ich schon an der Stimme. Macht zuerst einen Bluttest, bevor die Infusion die Werte verfälscht“, besteht der Typ, der mich für eine betrunkene Terroristin hält.
Jemand macht sich an den Knöpfen meiner Bluse zu schaffen. Meine Versuche, ihn davon abzuhalten, scheitern kläglich.
„An ihrer Nase klebt Blut.“
„Wahrscheinlich ist sie bereits vorher irgendwo zu Boden gegangen.“
„Michael …“, lalle ich erneut.
Eine Hand fasst nach meiner und eine bekannte Stimme haucht mir ins Ohr.
„Was ist los, Katharina?“
Der dritte offene Knopf enthüllt ein Teil meines Geheimnisses. Die rätselnde Gesellschaft um mich herum stockt und auch wenn ich es nicht sehen kann, weil meine Lider schwer wie Blei sind, so glaube ich, dass sie alle meinen Bekannten anstarren und der fragt mich jetzt: „Was ist mit dir passiert?“
„Ich bin vergewaltigt worden.“
Eine schwere Decke scheuert bei jeder Bewegung des Lenkrads über meine gereizten Nippel wie ein Stück Schleifpapier. Man hat es mit mir sehr eilig und keiner scheint sich Gedanken zu machen, wie ich diese Raserei vertrage. Ich suche nach etwas, was mir Sicherheit vermittelt, worauf er nach meiner Hand greift und sie in seine schließt.
„Ich bin da, Katharina. Ich bin bei dir.“
Das Ziepen in meiner Armbeuge lässt mich vermuten, dass sie die Infusion der Nachweisuntersuchung des Alkohols in meinem Blut vorgezogen haben.
Ich drücke seine Hand, doch die Dunkelheit reißt mich erneut weg von ihm.
„Kann ein übermäßiger Alkoholkonsum dem Körper so viel Flüssigkeit entziehen?“
„Nein.“ Der Arzt hält sich knapp.
„Du sagtest doch was von Rettung im letzten Augenblick. Wie kann jemand – bitte schön – so lebensbedrohlich austrocknen?“
„Es reichen ein-zwei Tage, ohne zu trinken.“
„Nichts getrunken? Wie kommen dann die zwei Promille in ihr Blut?“
„Durch einen Einlauf.“
„Was?!“
„Ja. Jemand hat ihr rektal Alkohol eingeflößt.“
„Für was soll das gut sein?“
„Man erspart sich den Weg durch den Magen. Der Alkohol gelingt durch die Darmwand schneller ins Blut.“
„Aha. Und für was soll das gut sein?“
„Was weiß ich. Manchen macht’s Spaß. Nur macht sie nicht den Eindruck, als hätte sie Spaß dabei gehabt.“
Mein lautes Schluchzen macht die Männer darauf aufmerksam, dass ich sie hören kann. Meine Lider sind immer noch zu schwer, um sie zu öffnen. Meine Hände, vor allem die Finger, fühlen sich taub an. Sonst hätte ich den Polizisten längst von mir weggestoßen, damit er keine der weiteren Spuren sieht, die der Arzt gleich enthüllt.
„Menschenskind!“
Ich habe es nicht verhindern können.
„Sie hat gesagt, sie sei vergewaltigt worden.“
„Vergewaltigt ist stark untertrieben. Die Frau hat ein Martyrium hinter sich.“
Der Arzt deckt mich rasch zu, zögert so die Untersuchung hinaus.
„Michi“, spricht er ihn vertraut an. „Ich denke, es ist besser, wenn du draußen wartest“, nimmt er die Worte aus meinem stummen Mund.
Eine wärmende Hand streift über meinen Handrücken und eine andere durch mein ungekämmtes Haar.
„Katharina?“
„Hm“, brumme ich leise.
„Wir bringen Sie jetzt in den OP …“
Das Bild von diversen medizinischen Instrumenten in meinem Kopf drückt mir diesen weit in den Nacken, worauf sich mein Körper aufbäumt.
„Die Verletzungen an ihrem Unterleib und vor allem am Rektum müssen dringend versorgt werden. Das möchte ich Ihnen in Ihrem Zustand nicht ohne Betäubung zumuten.“
Mit stummem Nicken erkläre ich mich damit einverstanden.
„Je schneller Sie es machen lassen, umso schneller haben Sie es hinter sich.“
Eine zweite Hand landet auf meiner Schulter, was mich zusammen fahren lässt.
„Die Abstriche und die Kleidung habe ich schon ins Labor geschickt. Die Bildaufnahmen kann ich dir gleich geben.“
„Wie weit kann ich sie begleiten?“
„Bis in die Vorbereitung.“
„Gut. Dann mache ich das und komme anschließend zu dir. Dann kannst du mich aufklären.“
„Dann rate ich dir auf dem Retourweg nichts an dem Snackautomaten zu kaufen.“
„Wieso? Sind die Riegel schon wieder abgelaufen?“
„Nein. Aber was ich dir zu erzählen habe, wird schwer zu verdauen sein.“ Der Arzt streift mir erneut über den Handrücken. „Katharina, ich kann mich ja täuschen. Aber ich gehe davon aus, dass Sie den Schmuck nicht behalten möchten.“ Ich weiß genau, was er meint und atme tief durch die Nase ein, ohne ein Wort zu sagen. „Sollen wir alles entfernen?“ Er nimmt meine Hand in seine, worauf ich seine Finger ergreife und festdrücke. „Gut. Dann machen wir es so.“
Die Nachwirkungen des Narkotikums drücken mir aufs Gemüt. Michael sitzt mir zur späten Stunde gegenüber und reibt sich die Schläfen. Vielleicht hat er einen Akupressurpunkt gefunden, mit Hilfe dessen er die Müdigkeit bekämpfen kann. Ich muss ihn bei Gelegenheit danach fragen.
„Der Arzt hat gemeint, ich wäre hier in Sicherheit. Wieso wachst du dann an meinem Bett?“
Michaels Lachen klingt gequält.
„Danke, Michael, dass du mitgekommen bist“, plappere ich müde und benebelt.
„Das ist das Mindeste, was ich für dich tun konnte, Katharina.“
„Du siehst müde aus. Habe ich dich bei der Dienstübergabe erwischt?“
„Mach dir über mich keine Gedanken, Katharina. Schlaf etwas. Ich bleibe die ganze Nacht bei dir. Jutta weiß Bescheid.“
Ich weiß, dass er verheiratet ist. Und ich weiß auch, dass er eine sehr glückliche Ehe führt.
„Ich werde es dir nicht erzählen, Michael. Ich habe dir schon damals nichts erzählt. Aber wenn ich es dir jetzt irgendwelche Einzelheiten verrate, werde ich dir nie wieder in die Augen sehen können …“, lalle ich im Halbschlaf.
„Du wirst es aber irgendjemanden erzählen müssen. Die Untersuchungsergebnisse und die Fotos, die der Arzt von deinen Verletzungen gemacht hat, reichen für eine Anzeige. Aber für ein Verfahren und vor allem für eine Verurteilung reicht das alles unter Umständen nicht. Da ist die Gesetzeslage etwas eigen.“
Ich presse meine Lippen aneinander, als würde ich nachdenken. Im Inneren trage ich gerade einen Kampf zwischen meinem Verlangen nach Ruhe und meinem Gerechtigkeitssinn aus. Wie hätte sich Thomas entschieden?
„Sag mir zumindest, wo es passiert ist.“
„In der Burg.“
„In welcher Burg?“
„In Max Weilers Burg.“
„Katharina, ich hab dich doch gewarnt. Und du sagtest schließlich selbst – Thomas auch …“
„Bitte Michael, mach mir jetzt keine Vorwürfe.“
„Mache ich auch nicht. Ich kann mir allerdings die Gerüchte nicht erklären, die der Bürgermeister überall verbreitet.“ Michael verstummt kurz, als würde er auf eine Frage warten, also erfülle ich ihm den Wunsch.
„Welche? Doch nicht etwa, dass er mich belog? Denn wenn er das erzählt, dann ist es die Wahrheit.“
„Du hättest ein one-way-Ticket in den Süden gebucht. Er will dich am Flughafen mit zig Koffern angetroffen haben.“
„Koffer? Süden? Ich wollte das Hospiz retten. Das hatte ich gemeint, als ich zu dir sagte, ich müsste für vierzehn Tage weg, um was zu erledigen. Mensch, Michael. Hat Thomas nie erwähnt, dass er mich betäuben musste, um mich in einen Flieger zu bekommen?“ Meine Worte verschlagen Michael kurz die Sprache. Einige Male schnappt er mit weit offenem Mund nach Luft, ehe er fortsetzt.
„Thomas hat nie etwas erzählt. Außer, dass er sehr glücklich war mit dir.“ Michael merkt, wie meine Mundwinkel zu zucken beginnen. „Entschuldige.“
Ich kann ihm im Augenblick nicht darauf antworten.
„Wie kam dann gerade der Bürgermeister dazu, so was zu verbreiten? Das Gerücht war so absurd, dass es im Zusammenhang mit dir schon wieder stimmen konnte.“
„Was willst du damit sagen?“
„Besser ein Neuanfang irgendwo am Arsch der Welt, als dich eines Tages kalt aus dem Fluss zu ziehen …“
Ich schnalze mit der Zunge.
„Ich habe irgendwann aufgehört, die Anrufe zu zählen …“
„Kann man nicht mal die Füße von der Brücke baumeln lassen?“, merke ich lasch an, da ich zu matt bin, um mich aufzuregen.
„Katharina!“, herrscht er mich an und stockt gleich, denn ich breche sofort in Tränen aus. „Ich weiß, keine Vorwürfe, aber du machst es einem auch nicht gerade leicht.“ Er kommt zu mir und schließt mich in seine Arme. Doch ich schüttle den Kopf und rotze in sein Hemd: „Er fehlt mir so. Michael, er fehlt mir so sehr.“
„Ich weiß, Katharina. Und weil er nicht mehr da ist, will ich dich beschützen. Kapiere es endlich. Jedes mal, wenn ich so einen Anruf bekam, fuhr ich hin, um dich rechtzeitig aus dem Wasser zu ziehen, wärst du tatsächlich gesprungen.“ Er wiegt mich hin und her. „Und jetzt bist du am Zug. Erzähl, was passiert ist.“ Er hält mich immer noch fest und drückt sich mein Gesicht auf seine Brust. Wahrscheinlich bin ich deshalb bereit, ein klein wenig von all dem zu erzählen. Weil er mir dabei nicht ins Gesicht sehen kann …
„Ich war bei Max Weiler, weil er sehr gut mit dem Bürgermeister kann. Ich dachte mir, wenn ich ihm einen Gefallen tue, dann tut er mir auch einen …“
„Wieso dann das blöde Gerücht?“
„Weil Max Weiler nie vor hatte, seinen Teil der Abmachung einzuhalten. Er hatte nicht vor, mich nach den vereinbarten vierzehn Tagen gehen zu lassen, wenn du verstehst.“
Michael lässt mich langsam los, hilft mir, mich zurückzulehnen.
„Jetzt ist mir klar, dass er von Anfang an nicht vor hatte, mich gehen zu lassen. Deshalb das Gerücht.“ Eigentlich wusste ich es schon lange, aber erst jetzt wird mir alles richtig bewusst und ich begreife endlich, dass man nach mir nie gesucht hätte.
Er atmet schwer. Ich hoffe sehr, er gibt dem Impuls nicht nach und unternimmt nichts Unüberlegtes.
Er kramt in seiner Hosentasche nach dem Telefon und wählt eine Nummer.
„Wen rufst du an?“, frage ich neugierig.
„Ich bringe dieses Schwein um.“
„Willst du dich etwa bei ihm ankündigen?“ Das war kein Witz. Ich denke wirklich, dass er sich mit Max verabreden will. So nach dem Motto: Wir müssen reden. „Gehe auf keinen Fall alleine hin.“
„Katharina, …“
„In dem Gemäuer hört dich keiner schreien. Verstehst du mich?“
„Soll ich etwa untätig sitzen und Däumchen drehen, während er frei herum läuft?“
„Du verstehst nicht“, sage ich enttäuscht.
„Nein, du verstehst nicht!“, brüllt er mich urplötzlich an. Dabei springt er auf, kaut nervös an seiner Unterlippe. „Du hättest dich in dem Zustand totfahren können! Das ist … Das ist versuchter Mord! Thomas bliebe an meiner Stelle sicher nicht untätig!“
„Thomas ist der jenige, der mir erst diesen ganzen Scheiß eingebrockt hat und mich mittendrin alleine zurückließ!“
„Ohne Thomas wärst du wahrscheinlich längst tot!“
„Na und? Dann wäre mir diese ganze Scheiße erspart geblieben! Er hätte den Rat deines Vaters annehmen und die Finger von mir lassen sollen!“
Nach meinem ungeplanten Ausbruch versinkt das Zimmer im Schweigen. Wir meiden beide den Augenkontakt. Ob Michael ahnt, dass ich die Antwort auf meine Frage bekommen habe?
Irgendwann meldet sich Michael zum Wort: „Ich sollte dann vielleicht doch lieber nach Hause fahren.“
„Ja.“ Ich befürchte das Ende einer sehr guten Freundschaft.
„Die Scheiße ist das Leben, Katharina“, Michael bleibt in der Tür stehen und dreht sich nach mir um. „Es tut mir leid, dass du es so siehst.“
„Scheiße oder Leben. Ich bin für beides nicht gemacht.“ Ich wische mir mit der Bettdecke die Tränen aus dem Gesicht. „Hat er dir echt nicht erzählt, dass ich vom Fliegen Angst habe?“
„Nein. Nur dass du nicht schwimmen kannst, wenn du verstehst.“
Ich verstehe zu gut und sage deshalb: „Du kannst nicht jederzeit zur Stelle sein.“
„Ich werde es zumindest versuchen.“
Scheinbar habe ich nochmals die Kurve gekriegt.
„Michael“, gebe ich mir einen Ruck. „Ich weiß nicht, wo mein Autoschlüssel ist. Aber sieh zu, dass du der erste bist, der einen Blick ins Wageninnere wirft.“
Davor
Neubeginn
Als Thomas starb, war ich noch sehr jung. Die ersten Nächte drohte ich, wahnsinnig zu werden, weil ich plötzlich die Last all der mir bevorstehenden Jahre spürte, die ich ohne ihn verbringen sollte. Kaum schloss ich abends die Lider, fühlte ich das Gewicht der Einsamkeit. Sie saß auf meiner Brust und erschwerte mir das Atmen.
Als Thomas starb, wollte ich ebenso sterben. Ich verfluchte die Welt, das gesamte Universum, weil er mir weggenommen wurde. Und weil ich nicht mit ihm gestorben war. Ich wachte am nächsten Morgen auf. Ebenso am Morgen danach und an all den weiteren Morgen, die nach Thomas’ Tod folgten. Ich wachte auf und war lebendiger denn je und voller Energie, die ich während der Zeit, in der ich Thomas pflegte, so oft vermisste.
Nach Thomas’ Beerdigung stürzte ich mich in die Arbeit. Ich wechselte den Job, schlug mir die Nächte bei Vorträgen um die Ohren, machte eine Fortbildung nach der anderen, als müsste ich etwas nachholen. Dabei schlug ich nur die Zeit tot. Zeit, die ich ohne ihn verbringen musste.
Ich bewarb mich in einem Hospiz, gegründet und geführt von einem Schwesternorden. Vielleicht, um den Tod nicht aus den Augen zu verlieren. Vielleicht aber auch, weil ich nichts anderes konnte, als ständig an den Tod zu denken und mit Todgeweihten umzugehen. Meine Arbeit kam gut an und so leitete ich nach einiger Zeit einen der Pavillons und wenige Jahre später das gesamte Haus.
Nach Thomas’ Tod schloss ich mit allem ab. Obwohl ich einen Führerschein besaß, verkaufte ich seinen Flitzer und auch sein Appartement. Als ich dem Makler mit einer Geschichte all die Haken, Balken und andere Ein- und Vorrichtungen erklärte, ging ich bewusst über die imaginäre Schwelle und ließ auch diese Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Keine Seile mehr. Keine Striemen, keine Unterwerfung, aber ebenso auch keine Lust. Mein Primar war weg und mit ihm auch mein Herr, Erzieher und Geliebter. Die meisten Erinnerungsstücke fanden auf eBay ihre neuen Besitzer. Nur ganz wenige behielt ich und verwahrte sie in einer Kiste. Sogar seinen Namen legte ich kurz nach der Beerdigung ab, um nicht jedes Mal in Tränen auszubrechen, wenn man mich ansprach. Ich trug lediglich seinen Ring am Finger und auch das an der linken Hand, damit niemand darin einen Ehering vermutete. Um mir Fragen zu ersparen, kreuzte ich auf sämtlichen Formularen ledig an.
Das pralle Konto, das mir Thomas hinterlassen hatte, erleichterte mir den Start in mein neues Leben. Einen Job hätte ich gar nicht nötig, aber da mir der Wahnsinn rund um die Uhr an der Tür kratzte, richtete ich meinen Blick starr in die Zukunft und stürzte mich waghalsig in eine Hundert-Stunden-Woche wie ein Bungeespringer in eine bodenlose Schlucht. Dies muss mit einem Affentempo passiert sein, denn ich verlor meine Vergangenheit und alles hierzu Gehörende rasch aus dem Blick.
„Morgen, Herr Tikatsch“, begrüßte ich bei meinem Rundgang einen unserer Gäste. Da wir nicht um ihre Heilung bemüht waren, nannten wir sie nicht Patienten. Und da sie meist nicht lange bei uns blieben, waren es auch keine Bewohner.
Herr Tikatsch verbrachte fast sein ganzes Leben in der Türkei. Wie er selbst erzählte, war er in seiner Jugend dem öden Alltag entflohen, samt den Gesellschaftszwängen und Moralregeln. Viele Jahre schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, schlief in Parks und auf dem Strand, bis ihn das Alter mit allen seinen Tücken einholte. Eines Tages griff man ihn abgemagert und verwahrlost auf. Die Botschaft eruierte seine letzten Meldedaten und so landete er bei uns. Genau an dem Ort, den er vor sechzig Jahren verließ.
„Du kannst nicht vor deinem Schicksal flüchten, Liebchen. Es holt dich so oder so eines Tages ein“, verabschiedete er mich aus seinem Zimmer, nachdem ich seine Pfanne geleert und sein Bettlaken gerade gezupft hatte. Natürlich gehörte dies längst nicht mehr zu meinen Aufgaben. Aber wie in jedem pflegerischen und sozialen Bereich mangelte es uns ebenso am Personal. Bevor ich unsere Gäste in ihrem eigenen Saft liegen ließ, machte ich mir lieber die Hände schmutzig.
Ich nahm jedes ausgesprochene Wort mit, pflegte aber nicht, mich weiterhin mit den Botschaften unserer Gäste zu beschäftigen. Jedes Mal, wenn ich so ein Zimmer verließ, hing ich diese an den Garderobenhaken neben der Tür auf und holte sie bei meinem nächsten Besuch dort wieder ab. Aber Tikatschs Worte klebten an mir wie Pech. Sie sickerten sogar durch den Kittel durch auf meine Kleidung, die ich darunter trug und so schleppte ich sie widerwillig mit nach Hause. Sie drangen bis auf meine Haut, und ich bekam sie auch in der Dusche nicht ab, egal wie sehr ich schrubbte und wie viel Seife dabei drauf ging. Sie begleiteten mich bis ins Bett: „Es holt dich ein.“
Und tatsächlich. Als wäre Tikatschs Karma nach seinem Tod auf mich übersprungen. Kaum hatten wir alles erledigt, was so ein Todesfall an Erledigungen mit sich brachte, zog ich mich in mein Büro zurück. Und da warteten sie schon auf mich: die Erinnerungen.
Die untergehende Sonne schielte durch die schiefen Jalousien. Ihre dunkelroten Tentakel nahmen meinen Schreibtisch in Beschlag. Der Ast des Baumes vor meinem Fenster warf einen Schatten auf den Sessel, so dass mir vor Schreck die Luft wegblieb.
„Thomas?“, flüsterte ich, als hätte ich einen Geist gesehen. Ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Nase kündigte Tränen an.
Der Schatten antwortete nicht und ich ging rasch ans Fenster, zog die Jalousien rauf und nahm in meinem Sessel Platz. Ich sollte Schreibkram erledigen. Formulare ausfüllen, Unterschriften darunter setzen und noch so einiges, aber ich tat es nicht …
„Bist du mit deiner Arbeit noch nicht fertig?“, trug mir der Wind Thomas’ Stimme durchs gekippte Fenster herein.
„Nein“, antwortete ich zeitgleich mit meiner Erinnerung.
„Wie viele Seiten musst du noch schreiben?“
Ich war plötzlich in dem alten Schwesternheim und saß über meiner Abschlussarbeit.
„Zwanzig“, antwortete ich mürrisch, ohne den Blick vom Block zu heben. Ehe ich mich versah, packte mich Thomas an den Haaren und zerrte mich um den Tisch herum.
„Für jede Seite ein Hieb. Ich bringe dir bei, Termine einzuhalten. Du solltest schon vor einer Stunde fertig sein. Das war jedenfalls abgemacht.“
Ich hob meinen Rock und da ich seit langem auf Thomas’ Wunsch oder eher Befehl keine Unterwäsche trug, stand der Strafe nichts mehr im Wege.
Ein lautes Sausen glitt durch den Raum. In Erwartung alles Möglichen klammerte ich mich an der Tischkante fest.
„Eins“, zischte ich laut, damit es Thomas gut hören konnte. Ohne ein Wort der Vorwarnung steckte er mir seinen großen Daumen in den After und zog meinen Hintern damit wie an einem Haken in die Höhe.
„Auf die Zehenspitzen mit dir, ich werde mich doch nicht deinetwegen bücken.“
„Zwei.“ Meine Beine fingen an zu zittern, kaum dass ich die Fersen vom Boden löste. Sein Daumen in meinem Po war nicht angenehm. Er zog an meiner Rosette und ich befürchtete, wenn er so weiter ziehen würde, würde er mir den Arsch wortwörtlich bis zum Hals aufreißen.
„Drei.“
Thomas legte eine Pause ein und benutzte den gedehnten Eingang. Kaum, dass er sich in mich ergoss, fragte er nach: „Wo sind wir stehen geblieben?“
„Bei drei“, stöhnte ich noch mitten im Vergnügen. Ich war nicht nur bei Schulangelegenheiten spät dran.
„Das soll ich dir glauben? Fangen wir lieber von vorne an.“
So ging das einige Male hintereinander. Zum Schluss pochte mein Hintern so stark, dass ich die restlichen Seiten im Stehen schrieb. Da meine Hand mindestens so stark gezittert hatte, wie meine Beine nach so vielen Gürtelhieben und Sex, konnte ich meine eigene Schrift nicht lesen. Also kündigte mir Thomas an, dass ich den ganzen Scheiß noch einmal schreiben muss. Dann legte er mich übers Knie und versohlte mir den Hintern erneut. Dieses Mal mit einem Lineal …
Es klopfte an der Tür.
„Zwanzig!“, rief ich, noch immer in Gedanken übers Knie hängend und laut zählend. „Herein“, korrigierte ich mich umgehend und blickte zur Tür. Mein Herz schlug mindestens so stark, wie damals meine Pobacken gepocht hatten.
„Komm, lass uns nach Hause fahren.“ Es war eine der Schwestern. Der Ordensschwestern.
„Nein, danke. Ich habe noch zu tun.“
„Um Mitternacht?“, fragte sie verwundert.
„Mitternacht?“ Meine Lippen formten ein Lächeln, aber da fiel mein Blick auf die Uhr, die über der Tür hing. Es war eine Minute vor Mitternacht. Meine Erinnerung beanspruchte so viel Zeit, wie meine Strafe damals. „Nein, danke. Ich werde mir später ein Taxi rufen, oder werde laufen. Frische Luft tut meinem Kopf sicher gut.“ Das meinte ich ernst.
„Kommt nicht in Frage. Ich erledige meinen Weg und hole dich danach ab. Und wenn ich dich mit dem Schuhlöffel aus dem Sessel raushebeln muss.“ Sie lachte, als sie ging. Ich nicht. Ich war schockiert.
„Was war das jetzt?“ Und damit meinte ich nicht die sorgsame Schwester, die mich nach jedem meiner Dienste nach Hause brachte, seitdem mein alter Fiat in der Werkstatt stand. Gemeint war meine Erinnerung, die nach mehr als zehn Jahren plötzlich aus dem nichts über mich kam.