Inhalt:
Ihr erneuter Versuch, aus dem Leben zu scheiden, war gescheitert. Die 17jährige Katharina fand sich im Krankenhaus wieder. Dort traf sie auf Thomas, einen Arzt fortgeschrittenen Alters mit besonderen Vorlieben.
Der lebenserfahrene Primar fand umgehend Gefallen an seiner jungen Patientin und machte ihre selbstzerstörerischen Pläne zunichte. Bald darauf bestimmte er mit Herrschsucht und Einnahme über ihren Alltag, indem er sie in unterschiedliche SM-Praktiken und Kliniksex einbezog.
Ihre Liebe wurde von gegenseitiger Abhängigkeit überschattet und drohte nicht nur einmal, an seiner Eifersucht zu zerbrechen.
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Herz-Schlag
Herz Schlag
SM-Roman
© Zoe Zander
Herz Schlag
SM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Leseeulen – Verlag
Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.comDas Buch
Ihr erneuter Versuch, aus dem Leben zu scheiden, war gescheitert. Die 17jährige Katharina fand sich im Krankenhaus wieder. Dort lernte sie Thomas kennen, einen Arzt fortgeschrittenen Alters mit besonderen Vorlieben.
Der lebenserfahrene Primar fand umgehend Gefallen an seiner jungen Patientin, und machte ihre weiteren selbstzerstörerischen Pläne zunichte. Bald darauf bestimmte er mit Herrschsucht und Einnahme über ihren Alltag, indem er sie in unterschiedliche SM-Praktiken und Kliniksex mit einbezog.
Ihre Liebe, überschattet von gegenseitiger Abhängigkeit, drohte nicht nur einmal, an seiner Eifersucht zu zerbrechen.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Herz Schlag
Die Menschen sind so, wie sie sind, weil sie genau so sein wollen, oder nicht anders können. Nur weil die Mehrheit behauptet, es ist falsch, so zu sein, so muss es nicht stimmen.
Zoe ZanderAbschied
Tief blicke ich in deine Augen,
sanft streife ich über deine Haut.
Der Raum gefüllt mit Totenstille,
in meinem Kopf ist es ganz laut.
Alle Gedanken verbannt
will ich den Augenblick genießen.
Noch ziert mein Gesicht ein Lächeln,
bald schon werden Tränen fließen.
Ich liebe dich über alles –
und trotzdem wirst du gehen.
Aus meinem Leben verschwinden –
auf nimmer wiedersehen.
Du schreibst mir nie wieder einen Brief,
rufst mich kein einziges Mal mehr an.
Du warst mein größtes Glück auf Erden,
das Beste, was einem nur passieren kann.
Mit dieser endgültigen Trennung
habe ich so meine liebe Not.
Schuld daran ist nicht eine andere Frau,
es nimmt dich mir – der Tod.
Zoe ZanderProlog
Ich warte …
Jahre habe ich mich bemüht, meinen Platz zu finden. Zu begreifen, wie die Welt tickt. Zu lernen, was der Trubel um mich herum überhaupt soll und wurde selbst dabei vergessen. Ich soll mich bemerkbar machen, ohne laut zu sein. Mir meine eigene Meinung bilden, die niemanden interessiert und stets das Richtige tun – nach mir nicht bekannten Vorgaben.
Es war, wie einen Eisberg hinauf zu klettern. Kaum habe ich einen halben Meter vorwärts geschafft, rutschte ich die doppelte Strecke wieder zurück. Dann ging mir die Puste endgültig aus.
Seit guten sechs Jahren warte ich mehr oder minder aktiv und eher minder erfolgreich auf das Ende meines Daseins.
Ist das kindisch? Gut möglich. Ich bin siebzehn und obwohl ich Dinge tue, die ein Kind nie tun sollte, glaube ich selbst nicht, dass ich es alleine aus dem Kindesalter schaffe.
Ist das unreif? Bestimmt. Wären meine Vorstellungen und Vorhaben jemals reif gewesen, wären meine Taten mit Erfolg gekrönt worden.
Egal, was man von meinen Überlegungen und Ansichten auch halten mag, sie sind ausnahmslos aus einer Art Not entstanden, oder wurden mir von anderen aufgezwungen. Den Eltern, den Lehrern und sonst wem, der je meinen Weg gekreuzt hat. Keine einzige Entscheidung, die ich jemals getroffen habe, kam aus meinem Herzen. Sie waren allesamt nicht erwünscht.
So wie ich von Anfang an unerwünscht war.
Mein Vater nannte mich irgendwann einen Kommunikationsfehler. Wenn die zwei sich schon untereinander nicht absprechen konnten – nicht einmal, was die Verhütung anging – was soll ich dann über ihre Kommunikationsmethoden sagen?
Sie setzten mich in die Welt, ohne mich auf diese vorzubereiten, oder mir wenigstens eine Anleitung in die Hand zu drücken. Sie bezeichnen es als Erziehung zur Selbständigkeit. Ich hingegen meine – es war und ist immer noch keine Erziehung und hat nur so viel mit Selbständigkeit zu tun, als dass ich ganz alleine auf mich gestellt bin.
Sie warfen mich ins kalte Wasser – genannt Leben – ohne mir zu zeigen oder wenigstens vorzumachen, wie man darin schwimmt. Ich bin erst siebzehn und warte schon seit Jahren darauf, endlich zu ertrinken.Tag 0
Ein Mann in weißen Kittel beugt sich über mich. Zwischen den Fingern wuzelt er einen dünnen Stab. Von seinem Ende blitzt mir immer wieder grelles Licht entgegen. Dann leuchtet er mir damit direkt in die Augen.
„Ssss.“ Ich ziehe meine Stirn in Falten und drehe meinen Kopf zur Seite. „Bin ich tot?“, gurgle ich.
Er kneift mich mit den Fingern.
„Autsch!“, zische ich laut und versuche, durch den nebligen Schleier zu erkennen, wo er mich gekniffen haben könnte, denn mein gesamter Körper wird von Schmerzen geplagt.
„Ich hoffe sehr, dass du noch lebst, sonst war meine ganze Mühe umsonst.“
Die Brise, die den Weg durchs gekippte Fenster gefunden hat, fühlt sich kalt an meiner Haut an. Ebenso kalt fühlen sich seine Worte an.
Das Papier rauscht, als er meine Krankenakte aus der Hand lässt und sie auf dem Tisch landet. Dann schiebt er die Nierenschale zur Seite, die auf meiner Bettdecke liegt.
„Lassen Sie sie leiden, damit sie ihr Leben schätzen lernt“, schickt er die Krankenschwester fort.
Keine Sekunde später folgt er ihr durch die Tür und überlässt mich meinem Leid, worauf ich mir meinen Frust von der Seele kotze. Nicht nur den Mageninhalt, als Nachwirkung des Narkotikums, sondern auch die Wut über meinen erneuten Misserfolg.Tag 14
„Oh Gott …“
Die Folgeoperation ist gerade mal ein paar Stunden her und das Mittel wirkt nicht mehr. Es fühlt sich an, als wären sie mit einer Kettensäge an meinen Knochen zugange.
Der Schmerz lässt sich nicht aus meinem Körper hinaus schreien und auch nicht ausschwitzen. Er sitzt tief, und versuche ich ihm zu entkommen, indem ich die Augen schließe, meldet er sich umso lauter zu Wort.
„Geben Sie mir etwas dagegen. Ich halte es nicht mehr aus!“
Ich röchle schon seit ich wach bin so eigenartig. Bei jedem Atemzug blubbert es in meiner Lunge, als wäre sie eine Wasserpfeife. Meine Lippen – mein ganzer Mund ist ausgetrocknet, und es kratzt unausstehlich in meinem Hals.
Er schickt die Schwester, etwas zu besorgen und nimmt selbst das Tuch in die Hand, das zwischen meinen bandagierten Beinen liegt. Sorgsam faltet er es zusammen und wischt mir damit den Schweiß vom Gesicht. Dabei kommt er mir so nahe, dass ich sein Glied spüren kann – an einer der wenigen Stellen an meinem Körper, die sich nicht unter einer Masse an Verband verstecken.
„Man hat dir erst vorhin was gegeben. Du hast deinen Körper schon mit allem möglichen Mist dermaßen ramponiert, dass er auf diese Dosis gar nicht mehr anspricht.“
Seine Stimme spendet mir wieder diese Kälte. Aber wenigstens Kälte. Das Gerede aller anderen klingt seit jeher in meinen Ohren lediglich wie ein Rauschen.
„Ich sterbe, wenn ich nicht mehr bekomme.“
Ich schlottere am ganzen Körper, ohne zu frieren. Der Geruch – eine Mischung aus Schweiß und Desinfektionsmittel – bringt mich zum Würgen.
Seine Finger – die bisher die Bandagen, Drainagen und Fixierungen überprüft haben – landen unter meinem Kinn und heben meinen Kopf hoch, damit er mir in die Augen sehen kann.
„Das wäre aber jammerschade.“
Mit dem Daumen wischt er mir entweder eine Träne oder einen Schweißtropfen weg, der sich an meinem Mundwinkel verfangen hat und zwinkert mir dabei zu.
Danach fasst er mir unter das Nachthemd an die Stelle, die nicht mit Verband bedeckt ist. Drückt zu, bohrt mir die Finger in meinen Schenkel und schiebt sie so weit hinauf, bis sein Zeigefinger meine Scham berührt.
„Was soll das?! Nimmt die Pfoten von mir, du perverses Schwein!“
„Ignorieren Sie sie, Herr Primar“, tröstet ihn die Schwester, die erneut den Raum betritt, um mich mit einer neuen Infusion zu versorgen. „Ihre Eltern wissen sich keinen Rat mehr. Sie ist wohl eine dieser Jugendlichen, die auf die schiefe Bahn geraten sind.“
„Der alte Sack hat mich angefasst! Wollte mir seine dreckigen Finger in die Fotze schieben!“
Ihr Gesicht nimmt purpurrote Farbe an, als sich ihre Blicke treffen, doch der Arzt stört sich an meinen Worten nicht und tastet meinen Schenkel weiter entlang des Verbandes ab.
„Dass du dich nicht schämst, du undankbare Göre!“, fährt sie mich maßregelnd an. „Herr Primar verzichtet auf seinen wohlverdienten Feierabend und sorgt sich um dich. Hätte er dich nicht zusammengeflickt wie eine kaputte Vase, wärst du jetzt …“
„Schwester Johanna, lassen Sie es.“
„Ist doch wahr! Es ist unerhört, wie sie mit Ihnen spricht!“
Sie packt die leere Flasche und noch ein paar andere gebrauchte Gegenstände in eine Nierenschale und trägt sie aus dem Raum.
„Autsch“, ich ernte eine schallende Ohrfeige. Ich hätte mir gerne an die pochende Wange gefasst, aber meine steifen Arme lassen es nicht zu.
„Ja. Es ist unerhört, wie du sprichst. Fotze? Was bist du denn für eine? Eine billige Pornodarstellerin? So was will ich von dir nie wieder hören!“
„Hn …“, bedauere ich mich leise. Nicht wegen des zusätzlich zugefügten Schmerzes, sondern weil er mich mit dem unerwarteten Hieb aus meiner gewohnten Bahn geworfen hat. Wie auf Knopfdruck füllt sich mein Kopf mit Gedanken und mein gemarterter Körper mit Gefühlen, mit denen ich mich gar nicht mehr zurechtfinden kann.
Eine Weile sehe ich ihm stumm zu, wie er den Drainagebeutel kontrolliert. Mir ist, als würde er versuchen, mir dabei unbemerkt ins Gesicht zu gucken. Als suchte er ebenfalls nach Antworten auf irgendwelche nicht ausgesprochenen Fragen.
Gedanken solcher Art wollte ich mir doch nie wieder machen …, ich senke erschöpft die Lider und atme einmal kräftig durch, um mir bewusst zu machen, dass ich mir Gedanken dieser Art eigentlich noch nie gemacht habe.
„Schöne Aussichten“, murmle ich durch halb offene Lippen. Die Welt, in die er mich mit seiner Ohrfeige hinein beförderte, entpuppt sich für mich vielleicht nicht als schlimmer.
Bestimmt aber als wesentlich verwirrender, als die, in der ich mich schon seit siebzehn Jahren nicht zurechtfinden konnte.
„Was für Aussichten?“, fragt er nach. Ich wundere mich sehr über das Interesse, das ich glaube, in seiner Stimme herausgehört zu haben.
„Was ist eigentlich mit Tim?“ Ich drücke meinen Kopf in das Polster, lasse dabei die Augen geschlossen. Die Verwirrung zieht einen Schwindel nach sich und hinterlässt bei mir den Zweifel, ob ich mir seine unverschämte Berührung vielleicht doch nur eingebildet habe.
„Tim?“
„Oder Thai, Till, Theo … keine Ahnung.“
Mein Gehirn präsentiert mir noch eine ganze Palette männlicher Vornamen, die mit dem Buchstaben T beginnen, doch meine Zunge hat sich verknoten und – ich habe einfach keinen Bock mehr.
„Ach, der zugedröhnte Typ, der dich fast in den Tod gefahren hat?“
„Ja“, halte ich mich diesmal knapp.
„Der ist noch im dem Wrack krepiert.“
„Glg“, rutscht mir der dicke Kloß den Hals hinab.Tag 20
Sie tuscheln. Alle. Meine Eltern – wenn sie sich bei dem Krankenhauspersonal entschuldigen, weil ich nach der Offenbarung über das Schicksal des Autofahrers alles zerlegt habe, was ich zu greifen bekam. Und weil das nicht gerade viel gewesen war, habe ich mir umso mehr Mühe damit gegeben.
Die Ärzte und Schwestern tuscheln ebenfalls – weil sie glauben, ich würde sie nicht hören, wenn sie sich über mich beklagen oder über mich schimpfen.
Meine Eltern versuchen, die Wogen zu glätten und überall einen guten Eindruck zu hinterlassen. Nur nicht bei mir.
Sie kommen her und fragen nicht einmal nach, wie es mir geht, sondern nur, was ich mir dabei gedacht habe und was ich wohl glaube, wie man jetzt über sie denkt. Darüber zerbrechen sie sich den Kopf. Nicht über mich und mein Leben. Schon gar nicht über meine wirren Gefühle oder Gedanken.
Ich mache die Augen zu und drücke die eine oder andere Träne durch die geschlossenen Lider.
„Na, du Abrissbirne. Wie fühlst du dich heute?“, fasst mir der Arzt unerwartet ans Handgelenk und fühlt ohne diese enge Manschette meinen Puls.
„Beschissen.“
„Gut so. Ich kann es nämlich nicht leiden, wenn jemand meine Arbeit zerstört – Nähte aufreißt, gerade wenn ich mit den Knoten fertig bin.“
„Scheiß drauf …“
„Wie bitte?“, kontert er mit dem Ton, auf den hinauf ich eigentlich wieder mit einer Ohrfeige rechnen müsste. Vielleicht hebt er sogar schon die Hand, aber es lässt mich völlig kalt.
„Scheiß drauf!“, entgegne ich nochmals und sehe ihn an. Ihn und die Falten die regelrecht einen Pfeil auf der Stirn über seiner Nase bilden, als wollten sie das Gewitter andeuten, das offensichtlich in ihm tobt. „Was ist? Passt dir was nicht? Willst du mich etwa wieder schlagen? Nur zu …“, kneife ich die Augen zusammen und wünsche mir insgeheim, er würde sich nicht zurückhalten können und mindestens so hart seine Wut herauslassen, wie ich es vor Tagen tat.
„Ist schief gegangen, was?“, fragt er urplötzlich und vertreibt meinen Zorn wie Rauchschwaden in alle Himmelsrichtungen.
Es mag klingen, als läge seine Äußerung jenseits jedweden Zusammenhangs.
Nicht für mich.
Mein Gedankenkarussell hält wie auf Knopfdruck an und meine Augen weiten sich.
„Bingo“, bemerkt er gewohnt kalt. Weder verspottend, noch mitfühlend. Dennoch irgendwie aufrüttelnd. Und das kotzt mich echt an. Nicht das, was er gesagt hat, sondern weil ich mich schon seit dem letzten Mal mit seinen Worten und auch mit ihm selbst beschäftige und das geht mir gewaltig gegen den Strich.Tag 28
Mist – schon wieder wach.
Die letzten Auswirkungen des Propofol nach einer weiteren Operation wiegen meinen Kopf in Watte und rühren einen milchigen Schleier vor meinen Augen auf. Mein leerer Magen versucht sein Inneres nach außen zu kehren, also richte ich meinen Kopf dem gekippten Fenster entgegen, um eine Nase voll frischer Luft zu bekommen und den abgesetzten Gestank aus meiner Lunge hinaus zu befördern.
Die Vorhänge sind zugezogen. Sie rascheln leise, als der Wind die Luft ins Zimmer treibt.
Vom Gang erreicht ein Gespräch meine Ohren. Anscheinend hat sich etwas von der unsichtbaren Watte auch in meine Gehörgänge verirrt, denn ich verstehe kein einziges Wort.
Ich schließe meine Augen, und als ich sie wieder öffne, sehe ich einen Baum, der in Zeitlupe auf mich zukommt. Ich höre Metall, das unter der Wucht des Aufpralls stöhnt und spüre eine Hand, die mein Knie fest zusammendrückt.
„Tom?“, röchle ich heiser und versuche, in dem dunklen Fleck, der sich in der Ecke meines Zimmers befindet, eine Gestalt zu erkennen.
„Hm?“, brummt man mir entgegen.
„Du heißt doch Tom, oder?“.
Ich bin mir nicht ganz sicher, denn sein Name spielte noch nie eine Rolle für mich. Wie die Namen der meisten Leute, die sich in meinem Umfeld aufhielten.
„Ja.“
„Das mit dem Autounfall ist echt blöd gelaufen“, pfeife ich leise, weil ich anscheinend seit längerer Zeit durch den Mund atme und meine Kehle staubtrocken ist.
„Kann man wohl sagen.“
Es kommt mir so vor, als würde sich seine Stimme anders anhören. Da ich in der Zeit, die ich mit ihm verbrachte, stets zugedröhnt, zugekifft oder angetrunken gewesen bin, habe ich keinen großen Wert darauf gelegt, mir richtig zu merken, wie er sich anhörte.
„Du bist tot …“, flüstere ich leise, um mich selbst darauf aufmerksam zu machen, dass ich mich mit einem Geist unterhalte.
„Bitte?“, fragt der Schatten in der dunklen Ecke meines Zimmers nach.
Wissen denn Tote nicht, dass sie tot sind?
Ich gebe ihm darauf keine Antwort.
„Wieso hast du es getan?“, flüstert dieses Mal er.
„Habe ich dir doch erzählt …“
„Mir?“, klingt er verwundert. „Deine Eltern sind sich da auch nicht einig …“
„Wobei? Was die anderen über sie denken? Oder wer von ihnen beiden mein Zimmer zu seinem Arbeitszimmer umfunktionieren kann, wenn ich den Sprung eines Tages echt schaffe?“
Der Schatten räuspert sich. Vielleicht ist das auch ein Lachen. Ich kann das nicht wirklich unterscheiden und ehrlich gesagt – ist mir das im Moment völlig Banane.
„Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du das völlig falsch siehst?“
„Ich? Als sie damals die Rettung gerufen haben, erzählten sie denen, ich hätte mich beim Brotschneiden verletzt. Ich sehe nichts falsch. Ich sehe nur, dass sie nichts sehen wollen. Sie schimpften mich vor dem Notarzt – ich wäre tollpatschig.“
Ich niste mich tiefer unter die Decke.
„Und das warst du nicht.“
„Nein“, gebe ich zu. „Nur ungeübt und unwissend. Es hat mir schließlich keiner gesagt, wie man es richtig macht. So wie bei allem in meinem Leben …“
Ich schlucke mehrmals, weil mir die Zunge am Gaumen picken geblieben ist.
„Was würdest du dir wünschen, dass man dir zeigt, wie es richtig läuft?“
„Der Zug ist abgefahren. Ich wünsche mir nichts mehr.“
„Was hätte denn früher anders laufen sollen?“
„Alles.“
„Das ist keine Antwort. Es klingt eher nach einer Ausrede.“
„Mensch, Tom. Ohne Joint oder Shisha sind Gespräche mit dir echt anstrengend“, bemühe ich mich um ein Lachen, aber es gelingt mir nicht.
„Mir scheint, du verwechselst mich mit jemand.“
„Glaube ich nicht. Bist der einzige, den ich auf dem Gewissen habe.“
Auch er scheint Probleme mit dem nüchternen Zustand zu haben. Vielleicht liegt es auch an seinem Geist-Sein. Mir ist, als könnte er sich an unsere früheren Unterhaltungen nicht erinnern und ehrlich gesagt – ich tue es auch nicht so genau. Liegt wohl daran, dass wir uns früher nie wirklich unterhalten haben.
Es sei denn, wir befragten uns gegenseitig nach dem Stoff, oder er erkundigte sich, ob ich vorher noch schnell mit ihm in die Kiste steige, weil er wusste, dass er danach dafür kaum noch imstande sein würde. Für mich spielte es keine Rolle – es fühlte sich vorher und nachher gleich langweilig an.
Ich fahre plötzlich zusammen. Es ist, als wäre ich zwischendurch eingenickt. Als ich meine müden Augen in die Zimmerecke richte, sitzt der Schatten immer noch auf dem Stuhl.
„Doch. Es gibt etwas, das ich mich schon immer wünschte.“
„Und das ist?“
„Dass sie sich kümmern würden.“
„Das tun sie ja.“
„Einen Dreck tun sie. Mit Schränken voll Klamotten fühlt man sich nicht geliebt. Und ein Ferienlager ist kein Familienurlaub. Immer nur hören, wie unfähig man ist, hilft nicht, weitere Fehler zu vermeiden. Mal Tacheles reden. Mir zeigen, wo und vor allem wie es lang geht …“
„Sie reden doch immer wieder mit dir. Ich höre es doch, wenn sie dich besuchen …“
„Bist du denn etwa ständig in meiner Nähe?“
„Ja – sicher. Wann immer ich Zeit habe, bin ich in deiner Nähe. Was dagegen?“
„Nein … Nein – im Gegenteil. Ich dachte nur …“
„Ja?“
„Ich dachte nur, du wärst schon oben.“
„Oben?“, fragt er verwundert, worauf ich erneut meine Augen schließe und mich wieder mal für eine Weile in Schweigen hülle.
„Sie reden auf mich ein. Nicht mit mir. Das ist ein Unterschied“, spreche ich zu dem Schatten, den ich in der Ecke vermute, denn mit einem Mal kann ich ihn nicht mehr entdecken. „Tom?“
„Ja?“
„Ich dachte, du wärst schon weg …“
„Nein. Bin immer noch da. Erzähl weiter.“
„Was?“
„Wie du es gerne hättest.“
„Was?“, gleiten meine Gedanken soeben in eine ganz andere Richtung ab, und auf die habe ich im Augenblick gar keine Lust.
„Wie stellst du dir das Kümmern vor? Worüber sollten deine Eltern mit dir reden?“
„Sag mal, geht’s dir gut?“, wundere ich mich über seine Art.
Früher hat es ihn nicht gekümmert, was ich mir wie vorstelle. Nicht mal beim gemeinsamen Sex. Auch deshalb war es mir egal, ob ich dabei halbwegs bei Bewusstsein war, oder voll weg getreten. Für mich bestand darin kein Unterschied.
„Na sicher. Wieso nicht?“
„Na du bist ja schließlich …“ Ich stocke.
Ist das so wie mit Schlafwandlern, die man nicht aufwecken soll?
„Sie sollen mich fragen“, kehre ich zu seiner Frage zurück, „wie es mir geht. Sage ich schlecht, dann wieder fragen, warum. Und wenn ich was falsch mache, dann nicht nur herumbrüllen und mich wie eine Idiotin da stehen lassen, sondern mir auch erklären, wie ich es hätte besser machen können.“
„Und du würdest dir von ihnen echt was erklären lassen?“
„Mensch, du hörst dich an, als wärst du steinalt und nicht erst achtzehn …“
„Achtzehn?“
Irre ich mich? War der Typ vielleicht sogar jünger als ich? Wäre auch gut möglich. Wir erkundigten uns nie gegenseitig nach dem Alter. Es gab Wichtigeres. Wie zum Beispiel ein Dach überm Kopf, wenn es draußen regnete oder kalt war. Eine halbwegs weiche Schlafstelle und was zum Essen.
„Wahrscheinlich hätte ich ihnen eh nicht zugehört und hätte weiterhin mein Ding durchgezogen. Aber sie sind schließlich Erwachsene und müssen sich durchsetzen können. Sich nicht von mir auf der Nase tanzen lassen …“
„Und wie sollte dieses Durchsetzen aussehen?“
„Woher soll ich das wissen?“
Ich drifte erneut ab. Rase in den kurzen Schlafsequenzen immer wieder auf den Baum zu, breche wie durch die Windschutzscheibe aus dem Traum hinaus und fahre vor Schreck zusammen.
„Und? Schon eine Lösung gefunden?“
„Was?“, fehlt mir die Orientierung.
„Na eine Lösung.“
„Ja. Ich hoffe, der Typ macht bei der nächsten OP endlich einen Fehler …“
Der Schatten nistet unruhig.
„Dieser Arzt … Dieser Hurensohn hat mich geschlagen. Mir echt eine Ohrfeige verpasst“, pruste ich entsetzt.
Der Schatten richtet sich auf, erhebt sich vom Stuhl und macht einen Schritt auf mich zu.
„Es war …“, bemerke ich nachdenkend und drehe mich von ihm weg, als suchte ich an der dunklen Wand nach den passenden Worten.
„Ja?“
Ich drehe mich zurück und merke, dass der dunkle Fleck am Fußende meines Bettes steht.
„Es war ganz anders …“
„Ganz anders? Anders als was?“
„Na als dieses sinnlose Gerede …“
„Hat’s dir etwa gefallen?“
„Nein!“, knurre ich, weil ich fürs Jauchzen noch zu matt bin.
„Was dann?“
„Keine Ahnung. Schlagen ist nix, das ist nur etwas für Typen, die nicht reden können …“
„Aber das Reden beeindruckt dich doch nicht besonders. Oder?“
„Scheint so. Krank, oder?“
„Also hat’s dir gefallen.“
„Nein“, knurre ich erneut. „Ja“, gebe ich sogleich zu. „Ich weiß es echt nicht“, drehe ich mich erneut um und versuche, an der Wand irgendetwas zu erkennen. Die Uhr, von der ich weiß, dass sie dort hängt. Oder mindestens die Tür, die ins Bad führt. Doch es scheint, als wäre ich in einem anderen Zimmer. Oder blind.
Nein. Ich träume nur. Geister gibt es schließlich nicht.
„Es hat ihm irgendwas nicht gepasst, was ich gesagt oder getan habe und ich bin mir in dem Moment echt wichtig vorgekommen.“
„Du bist wichtig.“
„Nein. Ich bin ein Stück Scheiße, das anderen ständig nur irgendwelche Probleme bereitet. Sogar ihm – sagt jedenfalls die Schwester. Und dennoch. In dem Moment fühlte ich mich, als würde ihm echt was an mir liegen. Es war … Es war ein ganz eigenartiges Gefühl.“
Der Schatten kehrt zurück zu dem Stuhl und setzt sich wieder hin.
„Als ich zehn war, hat mich die Polizei von der Brücke gepflückt. Ich frage mich, was passiert wäre, hätte mir mein Vater damals den Arsch versohlt, anstatt mir die möglichen rechtlichen Konsequenzen vorgetragen, mit denen er für meine unüberlegte Aktion unter Umständen zu rechnen hatte.“
„Was hast du bitte mit zehn auf der Brücke gesucht?
„Na was wohl. Ein Loch im Gelände.“
„Wozu? … Ach so …“
Entweder lassen die letzten Nachwirkungen der Narkose nach, oder ich kriege es tatsächlich mit Gewissensbissen zu tun. Meine Augen füllen sich mit einem Mal mit Tränen, denn die Träume in den kurzen Schlafsequenzen führen mir plötzlich ganz andere Szenen vor Augen.
„Tom?“
„Ja?“
„Ich hätte mit dir schlafen sollen. So wie du es wolltest …“
„Ich? Wann denn?“
„Na an diesem Abend. Aber ich hatte echt keinen Bock darauf. Sorry. Ich hatte es satt …“
„Was satt? Sex?“
„Auch.“
„Warum? Sex ist doch was Schönes.“
„Schönes? Es hat sich jedes Mal angefühlt und angehört, als läge ich unter einer Lokomotive …“
Der Schatten kichert kurz.
„Nur Schmerzen und dieses gruselige Stöhnen …“
„Schmerzen? Hat dir das Stöhnen etwa nicht gefallen?“
„Ja, Schmerzen. Ich bin wahrscheinlich sogar für Sex zu blöd und weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Die anderen Mädchen erzählen alle, wie toll es sich anfühlt und wie geil sie es finden. Und ich? Ich kann nichts daran finden. Auch nicht an dem Gestöhne. Sorry, aber bei dem hast du dich um nichts besser angestellt, als meine Eltern …“
„Deine Eltern?“, hört er sich entsetzt an.
„Na die hat auch nie interessiert, wie ich mich fühlte. Also wollte ich es nicht mehr. Nicht das und auch nichts anderes. Aber … Es ist echt blöd gelaufen. Ich hätte dich nie dazu anstiften sollen …“
„Was meinst du jetzt?“
„Ich wollte doch dabei drauf gehen. Du solltest nur den Wagen klauen …“
In Reue bin ich ebenso ungeübt wie in Entschuldigungen, also liefere ich mich freiwillig dem Schlaf aus und lasse den Schatten sich in der Dunkelheit in meinem Zimmer auflösen.Tag 30
„Na endlich!“, maule ich ungehalten, als eine Gestalt mein verdunkeltes Zimmer betritt. „Wie oft muss ich denn läuten, damit sich jemand blicken lässt?“
„Wieso? Bist du etwa endlich aufgestanden?“, schlurft der Arzt entlang meines Bettes und macht die Lampe an, die sich oberhalb der Leiste an der Wand hinter meinem Bett befindet.
„Leck mich doch …“
„Mit Stöhnen oder ohne?“, fragt er mit einem Grinsen im Gesicht.
„Was?“, kann ich mir darauf keinen Reim machen. Weder auf seine Worte, noch auf das breite Grinsen in seinem unrasierten Gesicht.
Er stellt sich daraufhin neben mein Bett und steckt beide Hände in die Kitteltaschen.
„Ich sterbe – bist du etwa blind?“, setze ich mein Jammern fort.
„Na dann mach schnell, es gibt noch andere Patienten, die versorgt werden wollen.“
„Mein Rücken tut höllisch weh. Es fühlt sich an, als würde ich auf rohem Fleisch liegen. Es brennt, egal ob ich mich nicht rühre, oder versuche mich zu bewegen.“
„Dann drehe dich mal auf die Seite.“
„Schwester!“, rufe ich laut. „Schwester!“, sehe ich an ihm vorbei in Richtung der Tür.
Eine Frau in weißem … Ich bezeichne es mal als Kleid, obwohl es wie ein Sack mit einer Knopfleiste aussieht.
Sie stürmt in den Raum und als sie den Arzt erblickt, bleibt sie wie angewurzelt stehen.
„Schickt dieses Arschloch von hier weg und holt mir endlich einen richtigen Arzt!“
Sie sieht den Arzt an, zuckt mit den Schultern und verlässt wieder wortlos den Raum. Ich überlege mir schon weitere Schimpfwörter, die ich dem Typen an den Kopf werfen möchte, als mir sein Arm entgegen schießt und er mich am Hals packt. Mit der anderen Hand gleitet er mir unter das rechte Bein und ehe ich mich versehe, liege ich seitlich auf dem Bauch und habe ganz andere Sorgen, als nur einen wunden Rücken.
Sein Handabdruck pocht in dem Feuer auf meiner Hinterbacke.
„Ich will, dass du dich wie eine junge Dame benimmst. Solche Wörter mag ich aus deinem Mund nicht mehr hören, ist das klar?“
Ich schlucke stumm und richte mich im Geiste darauf ein – es über mich ergehen zu lassen. Doch dann meldet sich der Widerstand in mir. Der Widerstand gegen jeden und alles. Daraufhin brülle ich erneut los:
„Schwester! Schwester!“
Mein linker Arm liegt unter mir begraben und der andere hängt über der Bettkante. Da ich ihn wegen der festen Bandage nicht am Ellenbogen abknicken kann, kann ich mich damit nicht abstützen und zurück auf den Rücken drehen. Also lege ich mir den Arm auf meinen nackten Hintern und bremse mit meiner Hand seine Hand von weiteren Schlägen ab. Er wirft mich daraufhin zurück auf den Rücken, und lockert den Griff um meinen Hals.
„Nie wieder – hörst du?“
„Was ist jetzt schon wieder?“, betritt die Schwester erneut mein Zimmer, kaum dass er die Hand von meinem Hals genommen hat.
„Der Typ bringt mich um“, röchle ich leise und starre ihn mit riesigen Augen an, als wollte ich ihn mit meinem Blick verschlingen.
„Jetzt reicht es mir mit dir, junges Fräulein. Morgen soll dich mal Doktor Marouschek begutachten.“
Er starrt mich mindestens so eigenartig an, wie ich ihn. Entweder geht ihm genau das gleiche wirre Zeug durch den Kopf, wie mir, oder er kann mir meine eigenwilligen Gedanken von der Stirn ablesen, weil sein Blick mich regelrecht abtastet.
Dann nimmt er doch die Schwester an der Schulter und verlässt mit ihr gemeinsam mein Krankenzimmer.
Herz Schlag
Herz Schlag
SM-Roman
© Zoe Zander
Herz Schlag
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Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
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Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.comDas Buch
Ihr erneuter Versuch, aus dem Leben zu scheiden, war gescheitert. Die 17jährige Katharina fand sich im Krankenhaus wieder. Dort lernte sie Thomas kennen, einen Arzt fortgeschrittenen Alters mit besonderen Vorlieben.
Der lebenserfahrene Primar fand umgehend Gefallen an seiner jungen Patientin, und machte ihre weiteren selbstzerstörerischen Pläne zunichte. Bald darauf bestimmte er mit Herrschsucht und Einnahme über ihren Alltag, indem er sie in unterschiedliche SM-Praktiken und Kliniksex mit einbezog.
Ihre Liebe, überschattet von gegenseitiger Abhängigkeit, drohte nicht nur einmal, an seiner Eifersucht zu zerbrechen.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Herz Schlag
Die Menschen sind so, wie sie sind, weil sie genau so sein wollen, oder nicht anders können. Nur weil die Mehrheit behauptet, es ist falsch, so zu sein, so muss es nicht stimmen.
Zoe ZanderAbschied
Tief blicke ich in deine Augen,
sanft streife ich über deine Haut.
Der Raum gefüllt mit Totenstille,
in meinem Kopf ist es ganz laut.
Alle Gedanken verbannt
will ich den Augenblick genießen.
Noch ziert mein Gesicht ein Lächeln,
bald schon werden Tränen fließen.
Ich liebe dich über alles –
und trotzdem wirst du gehen.
Aus meinem Leben verschwinden –
auf nimmer wiedersehen.
Du schreibst mir nie wieder einen Brief,
rufst mich kein einziges Mal mehr an.
Du warst mein größtes Glück auf Erden,
das Beste, was einem nur passieren kann.
Mit dieser endgültigen Trennung
habe ich so meine liebe Not.
Schuld daran ist nicht eine andere Frau,
es nimmt dich mir – der Tod.
Zoe ZanderProlog
Ich warte …
Jahre habe ich mich bemüht, meinen Platz zu finden. Zu begreifen, wie die Welt tickt. Zu lernen, was der Trubel um mich herum überhaupt soll und wurde selbst dabei vergessen. Ich soll mich bemerkbar machen, ohne laut zu sein. Mir meine eigene Meinung bilden, die niemanden interessiert und stets das Richtige tun – nach mir nicht bekannten Vorgaben.
Es war, wie einen Eisberg hinauf zu klettern. Kaum habe ich einen halben Meter vorwärts geschafft, rutschte ich die doppelte Strecke wieder zurück. Dann ging mir die Puste endgültig aus.
Seit guten sechs Jahren warte ich mehr oder minder aktiv und eher minder erfolgreich auf das Ende meines Daseins.
Ist das kindisch? Gut möglich. Ich bin siebzehn und obwohl ich Dinge tue, die ein Kind nie tun sollte, glaube ich selbst nicht, dass ich es alleine aus dem Kindesalter schaffe.
Ist das unreif? Bestimmt. Wären meine Vorstellungen und Vorhaben jemals reif gewesen, wären meine Taten mit Erfolg gekrönt worden.
Egal, was man von meinen Überlegungen und Ansichten auch halten mag, sie sind ausnahmslos aus einer Art Not entstanden, oder wurden mir von anderen aufgezwungen. Den Eltern, den Lehrern und sonst wem, der je meinen Weg gekreuzt hat. Keine einzige Entscheidung, die ich jemals getroffen habe, kam aus meinem Herzen. Sie waren allesamt nicht erwünscht.
So wie ich von Anfang an unerwünscht war.
Mein Vater nannte mich irgendwann einen Kommunikationsfehler. Wenn die zwei sich schon untereinander nicht absprechen konnten – nicht einmal, was die Verhütung anging – was soll ich dann über ihre Kommunikationsmethoden sagen?
Sie setzten mich in die Welt, ohne mich auf diese vorzubereiten, oder mir wenigstens eine Anleitung in die Hand zu drücken. Sie bezeichnen es als Erziehung zur Selbständigkeit. Ich hingegen meine – es war und ist immer noch keine Erziehung und hat nur so viel mit Selbständigkeit zu tun, als dass ich ganz alleine auf mich gestellt bin.
Sie warfen mich ins kalte Wasser – genannt Leben – ohne mir zu zeigen oder wenigstens vorzumachen, wie man darin schwimmt. Ich bin erst siebzehn und warte schon seit Jahren darauf, endlich zu ertrinken.Tag 0
Ein Mann in weißen Kittel beugt sich über mich. Zwischen den Fingern wuzelt er einen dünnen Stab. Von seinem Ende blitzt mir immer wieder grelles Licht entgegen. Dann leuchtet er mir damit direkt in die Augen.
„Ssss.“ Ich ziehe meine Stirn in Falten und drehe meinen Kopf zur Seite. „Bin ich tot?“, gurgle ich.
Er kneift mich mit den Fingern.
„Autsch!“, zische ich laut und versuche, durch den nebligen Schleier zu erkennen, wo er mich gekniffen haben könnte, denn mein gesamter Körper wird von Schmerzen geplagt.
„Ich hoffe sehr, dass du noch lebst, sonst war meine ganze Mühe umsonst.“
Die Brise, die den Weg durchs gekippte Fenster gefunden hat, fühlt sich kalt an meiner Haut an. Ebenso kalt fühlen sich seine Worte an.
Das Papier rauscht, als er meine Krankenakte aus der Hand lässt und sie auf dem Tisch landet. Dann schiebt er die Nierenschale zur Seite, die auf meiner Bettdecke liegt.
„Lassen Sie sie leiden, damit sie ihr Leben schätzen lernt“, schickt er die Krankenschwester fort.
Keine Sekunde später folgt er ihr durch die Tür und überlässt mich meinem Leid, worauf ich mir meinen Frust von der Seele kotze. Nicht nur den Mageninhalt, als Nachwirkung des Narkotikums, sondern auch die Wut über meinen erneuten Misserfolg.Tag 14
„Oh Gott …“
Die Folgeoperation ist gerade mal ein paar Stunden her und das Mittel wirkt nicht mehr. Es fühlt sich an, als wären sie mit einer Kettensäge an meinen Knochen zugange.
Der Schmerz lässt sich nicht aus meinem Körper hinaus schreien und auch nicht ausschwitzen. Er sitzt tief, und versuche ich ihm zu entkommen, indem ich die Augen schließe, meldet er sich umso lauter zu Wort.
„Geben Sie mir etwas dagegen. Ich halte es nicht mehr aus!“
Ich röchle schon seit ich wach bin so eigenartig. Bei jedem Atemzug blubbert es in meiner Lunge, als wäre sie eine Wasserpfeife. Meine Lippen – mein ganzer Mund ist ausgetrocknet, und es kratzt unausstehlich in meinem Hals.
Er schickt die Schwester, etwas zu besorgen und nimmt selbst das Tuch in die Hand, das zwischen meinen bandagierten Beinen liegt. Sorgsam faltet er es zusammen und wischt mir damit den Schweiß vom Gesicht. Dabei kommt er mir so nahe, dass ich sein Glied spüren kann – an einer der wenigen Stellen an meinem Körper, die sich nicht unter einer Masse an Verband verstecken.
„Man hat dir erst vorhin was gegeben. Du hast deinen Körper schon mit allem möglichen Mist dermaßen ramponiert, dass er auf diese Dosis gar nicht mehr anspricht.“
Seine Stimme spendet mir wieder diese Kälte. Aber wenigstens Kälte. Das Gerede aller anderen klingt seit jeher in meinen Ohren lediglich wie ein Rauschen.
„Ich sterbe, wenn ich nicht mehr bekomme.“
Ich schlottere am ganzen Körper, ohne zu frieren. Der Geruch – eine Mischung aus Schweiß und Desinfektionsmittel – bringt mich zum Würgen.
Seine Finger – die bisher die Bandagen, Drainagen und Fixierungen überprüft haben – landen unter meinem Kinn und heben meinen Kopf hoch, damit er mir in die Augen sehen kann.
„Das wäre aber jammerschade.“
Mit dem Daumen wischt er mir entweder eine Träne oder einen Schweißtropfen weg, der sich an meinem Mundwinkel verfangen hat und zwinkert mir dabei zu.
Danach fasst er mir unter das Nachthemd an die Stelle, die nicht mit Verband bedeckt ist. Drückt zu, bohrt mir die Finger in meinen Schenkel und schiebt sie so weit hinauf, bis sein Zeigefinger meine Scham berührt.
„Was soll das?! Nimmt die Pfoten von mir, du perverses Schwein!“
„Ignorieren Sie sie, Herr Primar“, tröstet ihn die Schwester, die erneut den Raum betritt, um mich mit einer neuen Infusion zu versorgen. „Ihre Eltern wissen sich keinen Rat mehr. Sie ist wohl eine dieser Jugendlichen, die auf die schiefe Bahn geraten sind.“
„Der alte Sack hat mich angefasst! Wollte mir seine dreckigen Finger in die Fotze schieben!“
Ihr Gesicht nimmt purpurrote Farbe an, als sich ihre Blicke treffen, doch der Arzt stört sich an meinen Worten nicht und tastet meinen Schenkel weiter entlang des Verbandes ab.
„Dass du dich nicht schämst, du undankbare Göre!“, fährt sie mich maßregelnd an. „Herr Primar verzichtet auf seinen wohlverdienten Feierabend und sorgt sich um dich. Hätte er dich nicht zusammengeflickt wie eine kaputte Vase, wärst du jetzt …“
„Schwester Johanna, lassen Sie es.“
„Ist doch wahr! Es ist unerhört, wie sie mit Ihnen spricht!“
Sie packt die leere Flasche und noch ein paar andere gebrauchte Gegenstände in eine Nierenschale und trägt sie aus dem Raum.
„Autsch“, ich ernte eine schallende Ohrfeige. Ich hätte mir gerne an die pochende Wange gefasst, aber meine steifen Arme lassen es nicht zu.
„Ja. Es ist unerhört, wie du sprichst. Fotze? Was bist du denn für eine? Eine billige Pornodarstellerin? So was will ich von dir nie wieder hören!“
„Hn …“, bedauere ich mich leise. Nicht wegen des zusätzlich zugefügten Schmerzes, sondern weil er mich mit dem unerwarteten Hieb aus meiner gewohnten Bahn geworfen hat. Wie auf Knopfdruck füllt sich mein Kopf mit Gedanken und mein gemarterter Körper mit Gefühlen, mit denen ich mich gar nicht mehr zurechtfinden kann.
Eine Weile sehe ich ihm stumm zu, wie er den Drainagebeutel kontrolliert. Mir ist, als würde er versuchen, mir dabei unbemerkt ins Gesicht zu gucken. Als suchte er ebenfalls nach Antworten auf irgendwelche nicht ausgesprochenen Fragen.
Gedanken solcher Art wollte ich mir doch nie wieder machen …, ich senke erschöpft die Lider und atme einmal kräftig durch, um mir bewusst zu machen, dass ich mir Gedanken dieser Art eigentlich noch nie gemacht habe.
„Schöne Aussichten“, murmle ich durch halb offene Lippen. Die Welt, in die er mich mit seiner Ohrfeige hinein beförderte, entpuppt sich für mich vielleicht nicht als schlimmer.
Bestimmt aber als wesentlich verwirrender, als die, in der ich mich schon seit siebzehn Jahren nicht zurechtfinden konnte.
„Was für Aussichten?“, fragt er nach. Ich wundere mich sehr über das Interesse, das ich glaube, in seiner Stimme herausgehört zu haben.
„Was ist eigentlich mit Tim?“ Ich drücke meinen Kopf in das Polster, lasse dabei die Augen geschlossen. Die Verwirrung zieht einen Schwindel nach sich und hinterlässt bei mir den Zweifel, ob ich mir seine unverschämte Berührung vielleicht doch nur eingebildet habe.
„Tim?“
„Oder Thai, Till, Theo … keine Ahnung.“
Mein Gehirn präsentiert mir noch eine ganze Palette männlicher Vornamen, die mit dem Buchstaben T beginnen, doch meine Zunge hat sich verknoten und – ich habe einfach keinen Bock mehr.
„Ach, der zugedröhnte Typ, der dich fast in den Tod gefahren hat?“
„Ja“, halte ich mich diesmal knapp.
„Der ist noch im dem Wrack krepiert.“
„Glg“, rutscht mir der dicke Kloß den Hals hinab.Tag 20
Sie tuscheln. Alle. Meine Eltern – wenn sie sich bei dem Krankenhauspersonal entschuldigen, weil ich nach der Offenbarung über das Schicksal des Autofahrers alles zerlegt habe, was ich zu greifen bekam. Und weil das nicht gerade viel gewesen war, habe ich mir umso mehr Mühe damit gegeben.
Die Ärzte und Schwestern tuscheln ebenfalls – weil sie glauben, ich würde sie nicht hören, wenn sie sich über mich beklagen oder über mich schimpfen.
Meine Eltern versuchen, die Wogen zu glätten und überall einen guten Eindruck zu hinterlassen. Nur nicht bei mir.
Sie kommen her und fragen nicht einmal nach, wie es mir geht, sondern nur, was ich mir dabei gedacht habe und was ich wohl glaube, wie man jetzt über sie denkt. Darüber zerbrechen sie sich den Kopf. Nicht über mich und mein Leben. Schon gar nicht über meine wirren Gefühle oder Gedanken.
Ich mache die Augen zu und drücke die eine oder andere Träne durch die geschlossenen Lider.
„Na, du Abrissbirne. Wie fühlst du dich heute?“, fasst mir der Arzt unerwartet ans Handgelenk und fühlt ohne diese enge Manschette meinen Puls.
„Beschissen.“
„Gut so. Ich kann es nämlich nicht leiden, wenn jemand meine Arbeit zerstört – Nähte aufreißt, gerade wenn ich mit den Knoten fertig bin.“
„Scheiß drauf …“
„Wie bitte?“, kontert er mit dem Ton, auf den hinauf ich eigentlich wieder mit einer Ohrfeige rechnen müsste. Vielleicht hebt er sogar schon die Hand, aber es lässt mich völlig kalt.
„Scheiß drauf!“, entgegne ich nochmals und sehe ihn an. Ihn und die Falten die regelrecht einen Pfeil auf der Stirn über seiner Nase bilden, als wollten sie das Gewitter andeuten, das offensichtlich in ihm tobt. „Was ist? Passt dir was nicht? Willst du mich etwa wieder schlagen? Nur zu …“, kneife ich die Augen zusammen und wünsche mir insgeheim, er würde sich nicht zurückhalten können und mindestens so hart seine Wut herauslassen, wie ich es vor Tagen tat.
„Ist schief gegangen, was?“, fragt er urplötzlich und vertreibt meinen Zorn wie Rauchschwaden in alle Himmelsrichtungen.
Es mag klingen, als läge seine Äußerung jenseits jedweden Zusammenhangs.
Nicht für mich.
Mein Gedankenkarussell hält wie auf Knopfdruck an und meine Augen weiten sich.
„Bingo“, bemerkt er gewohnt kalt. Weder verspottend, noch mitfühlend. Dennoch irgendwie aufrüttelnd. Und das kotzt mich echt an. Nicht das, was er gesagt hat, sondern weil ich mich schon seit dem letzten Mal mit seinen Worten und auch mit ihm selbst beschäftige und das geht mir gewaltig gegen den Strich.Tag 28
Mist – schon wieder wach.
Die letzten Auswirkungen des Propofol nach einer weiteren Operation wiegen meinen Kopf in Watte und rühren einen milchigen Schleier vor meinen Augen auf. Mein leerer Magen versucht sein Inneres nach außen zu kehren, also richte ich meinen Kopf dem gekippten Fenster entgegen, um eine Nase voll frischer Luft zu bekommen und den abgesetzten Gestank aus meiner Lunge hinaus zu befördern.
Die Vorhänge sind zugezogen. Sie rascheln leise, als der Wind die Luft ins Zimmer treibt.
Vom Gang erreicht ein Gespräch meine Ohren. Anscheinend hat sich etwas von der unsichtbaren Watte auch in meine Gehörgänge verirrt, denn ich verstehe kein einziges Wort.
Ich schließe meine Augen, und als ich sie wieder öffne, sehe ich einen Baum, der in Zeitlupe auf mich zukommt. Ich höre Metall, das unter der Wucht des Aufpralls stöhnt und spüre eine Hand, die mein Knie fest zusammendrückt.
„Tom?“, röchle ich heiser und versuche, in dem dunklen Fleck, der sich in der Ecke meines Zimmers befindet, eine Gestalt zu erkennen.
„Hm?“, brummt man mir entgegen.
„Du heißt doch Tom, oder?“.
Ich bin mir nicht ganz sicher, denn sein Name spielte noch nie eine Rolle für mich. Wie die Namen der meisten Leute, die sich in meinem Umfeld aufhielten.
„Ja.“
„Das mit dem Autounfall ist echt blöd gelaufen“, pfeife ich leise, weil ich anscheinend seit längerer Zeit durch den Mund atme und meine Kehle staubtrocken ist.
„Kann man wohl sagen.“
Es kommt mir so vor, als würde sich seine Stimme anders anhören. Da ich in der Zeit, die ich mit ihm verbrachte, stets zugedröhnt, zugekifft oder angetrunken gewesen bin, habe ich keinen großen Wert darauf gelegt, mir richtig zu merken, wie er sich anhörte.
„Du bist tot …“, flüstere ich leise, um mich selbst darauf aufmerksam zu machen, dass ich mich mit einem Geist unterhalte.
„Bitte?“, fragt der Schatten in der dunklen Ecke meines Zimmers nach.
Wissen denn Tote nicht, dass sie tot sind?
Ich gebe ihm darauf keine Antwort.
„Wieso hast du es getan?“, flüstert dieses Mal er.
„Habe ich dir doch erzählt …“
„Mir?“, klingt er verwundert. „Deine Eltern sind sich da auch nicht einig …“
„Wobei? Was die anderen über sie denken? Oder wer von ihnen beiden mein Zimmer zu seinem Arbeitszimmer umfunktionieren kann, wenn ich den Sprung eines Tages echt schaffe?“
Der Schatten räuspert sich. Vielleicht ist das auch ein Lachen. Ich kann das nicht wirklich unterscheiden und ehrlich gesagt – ist mir das im Moment völlig Banane.
„Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du das völlig falsch siehst?“
„Ich? Als sie damals die Rettung gerufen haben, erzählten sie denen, ich hätte mich beim Brotschneiden verletzt. Ich sehe nichts falsch. Ich sehe nur, dass sie nichts sehen wollen. Sie schimpften mich vor dem Notarzt – ich wäre tollpatschig.“
Ich niste mich tiefer unter die Decke.
„Und das warst du nicht.“
„Nein“, gebe ich zu. „Nur ungeübt und unwissend. Es hat mir schließlich keiner gesagt, wie man es richtig macht. So wie bei allem in meinem Leben …“
Ich schlucke mehrmals, weil mir die Zunge am Gaumen picken geblieben ist.
„Was würdest du dir wünschen, dass man dir zeigt, wie es richtig läuft?“
„Der Zug ist abgefahren. Ich wünsche mir nichts mehr.“
„Was hätte denn früher anders laufen sollen?“
„Alles.“
„Das ist keine Antwort. Es klingt eher nach einer Ausrede.“
„Mensch, Tom. Ohne Joint oder Shisha sind Gespräche mit dir echt anstrengend“, bemühe ich mich um ein Lachen, aber es gelingt mir nicht.
„Mir scheint, du verwechselst mich mit jemand.“
„Glaube ich nicht. Bist der einzige, den ich auf dem Gewissen habe.“
Auch er scheint Probleme mit dem nüchternen Zustand zu haben. Vielleicht liegt es auch an seinem Geist-Sein. Mir ist, als könnte er sich an unsere früheren Unterhaltungen nicht erinnern und ehrlich gesagt – ich tue es auch nicht so genau. Liegt wohl daran, dass wir uns früher nie wirklich unterhalten haben.
Es sei denn, wir befragten uns gegenseitig nach dem Stoff, oder er erkundigte sich, ob ich vorher noch schnell mit ihm in die Kiste steige, weil er wusste, dass er danach dafür kaum noch imstande sein würde. Für mich spielte es keine Rolle – es fühlte sich vorher und nachher gleich langweilig an.
Ich fahre plötzlich zusammen. Es ist, als wäre ich zwischendurch eingenickt. Als ich meine müden Augen in die Zimmerecke richte, sitzt der Schatten immer noch auf dem Stuhl.
„Doch. Es gibt etwas, das ich mich schon immer wünschte.“
„Und das ist?“
„Dass sie sich kümmern würden.“
„Das tun sie ja.“
„Einen Dreck tun sie. Mit Schränken voll Klamotten fühlt man sich nicht geliebt. Und ein Ferienlager ist kein Familienurlaub. Immer nur hören, wie unfähig man ist, hilft nicht, weitere Fehler zu vermeiden. Mal Tacheles reden. Mir zeigen, wo und vor allem wie es lang geht …“
„Sie reden doch immer wieder mit dir. Ich höre es doch, wenn sie dich besuchen …“
„Bist du denn etwa ständig in meiner Nähe?“
„Ja – sicher. Wann immer ich Zeit habe, bin ich in deiner Nähe. Was dagegen?“
„Nein … Nein – im Gegenteil. Ich dachte nur …“
„Ja?“
„Ich dachte nur, du wärst schon oben.“
„Oben?“, fragt er verwundert, worauf ich erneut meine Augen schließe und mich wieder mal für eine Weile in Schweigen hülle.
„Sie reden auf mich ein. Nicht mit mir. Das ist ein Unterschied“, spreche ich zu dem Schatten, den ich in der Ecke vermute, denn mit einem Mal kann ich ihn nicht mehr entdecken. „Tom?“
„Ja?“
„Ich dachte, du wärst schon weg …“
„Nein. Bin immer noch da. Erzähl weiter.“
„Was?“
„Wie du es gerne hättest.“
„Was?“, gleiten meine Gedanken soeben in eine ganz andere Richtung ab, und auf die habe ich im Augenblick gar keine Lust.
„Wie stellst du dir das Kümmern vor? Worüber sollten deine Eltern mit dir reden?“
„Sag mal, geht’s dir gut?“, wundere ich mich über seine Art.
Früher hat es ihn nicht gekümmert, was ich mir wie vorstelle. Nicht mal beim gemeinsamen Sex. Auch deshalb war es mir egal, ob ich dabei halbwegs bei Bewusstsein war, oder voll weg getreten. Für mich bestand darin kein Unterschied.
„Na sicher. Wieso nicht?“
„Na du bist ja schließlich …“ Ich stocke.
Ist das so wie mit Schlafwandlern, die man nicht aufwecken soll?
„Sie sollen mich fragen“, kehre ich zu seiner Frage zurück, „wie es mir geht. Sage ich schlecht, dann wieder fragen, warum. Und wenn ich was falsch mache, dann nicht nur herumbrüllen und mich wie eine Idiotin da stehen lassen, sondern mir auch erklären, wie ich es hätte besser machen können.“
„Und du würdest dir von ihnen echt was erklären lassen?“
„Mensch, du hörst dich an, als wärst du steinalt und nicht erst achtzehn …“
„Achtzehn?“
Irre ich mich? War der Typ vielleicht sogar jünger als ich? Wäre auch gut möglich. Wir erkundigten uns nie gegenseitig nach dem Alter. Es gab Wichtigeres. Wie zum Beispiel ein Dach überm Kopf, wenn es draußen regnete oder kalt war. Eine halbwegs weiche Schlafstelle und was zum Essen.
„Wahrscheinlich hätte ich ihnen eh nicht zugehört und hätte weiterhin mein Ding durchgezogen. Aber sie sind schließlich Erwachsene und müssen sich durchsetzen können. Sich nicht von mir auf der Nase tanzen lassen …“
„Und wie sollte dieses Durchsetzen aussehen?“
„Woher soll ich das wissen?“
Ich drifte erneut ab. Rase in den kurzen Schlafsequenzen immer wieder auf den Baum zu, breche wie durch die Windschutzscheibe aus dem Traum hinaus und fahre vor Schreck zusammen.
„Und? Schon eine Lösung gefunden?“
„Was?“, fehlt mir die Orientierung.
„Na eine Lösung.“
„Ja. Ich hoffe, der Typ macht bei der nächsten OP endlich einen Fehler …“
Der Schatten nistet unruhig.
„Dieser Arzt … Dieser Hurensohn hat mich geschlagen. Mir echt eine Ohrfeige verpasst“, pruste ich entsetzt.
Der Schatten richtet sich auf, erhebt sich vom Stuhl und macht einen Schritt auf mich zu.
„Es war …“, bemerke ich nachdenkend und drehe mich von ihm weg, als suchte ich an der dunklen Wand nach den passenden Worten.
„Ja?“
Ich drehe mich zurück und merke, dass der dunkle Fleck am Fußende meines Bettes steht.
„Es war ganz anders …“
„Ganz anders? Anders als was?“
„Na als dieses sinnlose Gerede …“
„Hat’s dir etwa gefallen?“
„Nein!“, knurre ich, weil ich fürs Jauchzen noch zu matt bin.
„Was dann?“
„Keine Ahnung. Schlagen ist nix, das ist nur etwas für Typen, die nicht reden können …“
„Aber das Reden beeindruckt dich doch nicht besonders. Oder?“
„Scheint so. Krank, oder?“
„Also hat’s dir gefallen.“
„Nein“, knurre ich erneut. „Ja“, gebe ich sogleich zu. „Ich weiß es echt nicht“, drehe ich mich erneut um und versuche, an der Wand irgendetwas zu erkennen. Die Uhr, von der ich weiß, dass sie dort hängt. Oder mindestens die Tür, die ins Bad führt. Doch es scheint, als wäre ich in einem anderen Zimmer. Oder blind.
Nein. Ich träume nur. Geister gibt es schließlich nicht.
„Es hat ihm irgendwas nicht gepasst, was ich gesagt oder getan habe und ich bin mir in dem Moment echt wichtig vorgekommen.“
„Du bist wichtig.“
„Nein. Ich bin ein Stück Scheiße, das anderen ständig nur irgendwelche Probleme bereitet. Sogar ihm – sagt jedenfalls die Schwester. Und dennoch. In dem Moment fühlte ich mich, als würde ihm echt was an mir liegen. Es war … Es war ein ganz eigenartiges Gefühl.“
Der Schatten kehrt zurück zu dem Stuhl und setzt sich wieder hin.
„Als ich zehn war, hat mich die Polizei von der Brücke gepflückt. Ich frage mich, was passiert wäre, hätte mir mein Vater damals den Arsch versohlt, anstatt mir die möglichen rechtlichen Konsequenzen vorgetragen, mit denen er für meine unüberlegte Aktion unter Umständen zu rechnen hatte.“
„Was hast du bitte mit zehn auf der Brücke gesucht?
„Na was wohl. Ein Loch im Gelände.“
„Wozu? … Ach so …“
Entweder lassen die letzten Nachwirkungen der Narkose nach, oder ich kriege es tatsächlich mit Gewissensbissen zu tun. Meine Augen füllen sich mit einem Mal mit Tränen, denn die Träume in den kurzen Schlafsequenzen führen mir plötzlich ganz andere Szenen vor Augen.
„Tom?“
„Ja?“
„Ich hätte mit dir schlafen sollen. So wie du es wolltest …“
„Ich? Wann denn?“
„Na an diesem Abend. Aber ich hatte echt keinen Bock darauf. Sorry. Ich hatte es satt …“
„Was satt? Sex?“
„Auch.“
„Warum? Sex ist doch was Schönes.“
„Schönes? Es hat sich jedes Mal angefühlt und angehört, als läge ich unter einer Lokomotive …“
Der Schatten kichert kurz.
„Nur Schmerzen und dieses gruselige Stöhnen …“
„Schmerzen? Hat dir das Stöhnen etwa nicht gefallen?“
„Ja, Schmerzen. Ich bin wahrscheinlich sogar für Sex zu blöd und weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Die anderen Mädchen erzählen alle, wie toll es sich anfühlt und wie geil sie es finden. Und ich? Ich kann nichts daran finden. Auch nicht an dem Gestöhne. Sorry, aber bei dem hast du dich um nichts besser angestellt, als meine Eltern …“
„Deine Eltern?“, hört er sich entsetzt an.
„Na die hat auch nie interessiert, wie ich mich fühlte. Also wollte ich es nicht mehr. Nicht das und auch nichts anderes. Aber … Es ist echt blöd gelaufen. Ich hätte dich nie dazu anstiften sollen …“
„Was meinst du jetzt?“
„Ich wollte doch dabei drauf gehen. Du solltest nur den Wagen klauen …“
In Reue bin ich ebenso ungeübt wie in Entschuldigungen, also liefere ich mich freiwillig dem Schlaf aus und lasse den Schatten sich in der Dunkelheit in meinem Zimmer auflösen.Tag 30
„Na endlich!“, maule ich ungehalten, als eine Gestalt mein verdunkeltes Zimmer betritt. „Wie oft muss ich denn läuten, damit sich jemand blicken lässt?“
„Wieso? Bist du etwa endlich aufgestanden?“, schlurft der Arzt entlang meines Bettes und macht die Lampe an, die sich oberhalb der Leiste an der Wand hinter meinem Bett befindet.
„Leck mich doch …“
„Mit Stöhnen oder ohne?“, fragt er mit einem Grinsen im Gesicht.
„Was?“, kann ich mir darauf keinen Reim machen. Weder auf seine Worte, noch auf das breite Grinsen in seinem unrasierten Gesicht.
Er stellt sich daraufhin neben mein Bett und steckt beide Hände in die Kitteltaschen.
„Ich sterbe – bist du etwa blind?“, setze ich mein Jammern fort.
„Na dann mach schnell, es gibt noch andere Patienten, die versorgt werden wollen.“
„Mein Rücken tut höllisch weh. Es fühlt sich an, als würde ich auf rohem Fleisch liegen. Es brennt, egal ob ich mich nicht rühre, oder versuche mich zu bewegen.“
„Dann drehe dich mal auf die Seite.“
„Schwester!“, rufe ich laut. „Schwester!“, sehe ich an ihm vorbei in Richtung der Tür.
Eine Frau in weißem … Ich bezeichne es mal als Kleid, obwohl es wie ein Sack mit einer Knopfleiste aussieht.
Sie stürmt in den Raum und als sie den Arzt erblickt, bleibt sie wie angewurzelt stehen.
„Schickt dieses Arschloch von hier weg und holt mir endlich einen richtigen Arzt!“
Sie sieht den Arzt an, zuckt mit den Schultern und verlässt wieder wortlos den Raum. Ich überlege mir schon weitere Schimpfwörter, die ich dem Typen an den Kopf werfen möchte, als mir sein Arm entgegen schießt und er mich am Hals packt. Mit der anderen Hand gleitet er mir unter das rechte Bein und ehe ich mich versehe, liege ich seitlich auf dem Bauch und habe ganz andere Sorgen, als nur einen wunden Rücken.
Sein Handabdruck pocht in dem Feuer auf meiner Hinterbacke.
„Ich will, dass du dich wie eine junge Dame benimmst. Solche Wörter mag ich aus deinem Mund nicht mehr hören, ist das klar?“
Ich schlucke stumm und richte mich im Geiste darauf ein – es über mich ergehen zu lassen. Doch dann meldet sich der Widerstand in mir. Der Widerstand gegen jeden und alles. Daraufhin brülle ich erneut los:
„Schwester! Schwester!“
Mein linker Arm liegt unter mir begraben und der andere hängt über der Bettkante. Da ich ihn wegen der festen Bandage nicht am Ellenbogen abknicken kann, kann ich mich damit nicht abstützen und zurück auf den Rücken drehen. Also lege ich mir den Arm auf meinen nackten Hintern und bremse mit meiner Hand seine Hand von weiteren Schlägen ab. Er wirft mich daraufhin zurück auf den Rücken, und lockert den Griff um meinen Hals.
„Nie wieder – hörst du?“
„Was ist jetzt schon wieder?“, betritt die Schwester erneut mein Zimmer, kaum dass er die Hand von meinem Hals genommen hat.
„Der Typ bringt mich um“, röchle ich leise und starre ihn mit riesigen Augen an, als wollte ich ihn mit meinem Blick verschlingen.
„Jetzt reicht es mir mit dir, junges Fräulein. Morgen soll dich mal Doktor Marouschek begutachten.“
Er starrt mich mindestens so eigenartig an, wie ich ihn. Entweder geht ihm genau das gleiche wirre Zeug durch den Kopf, wie mir, oder er kann mir meine eigenwilligen Gedanken von der Stirn ablesen, weil sein Blick mich regelrecht abtastet.
Dann nimmt er doch die Schwester an der Schulter und verlässt mit ihr gemeinsam mein Krankenzimmer.