Inhalt:
In dem neuen Fall von Kriminalkommissarin Nina Glück rollen die Köpfe schneller, als sie der Lösung näher kommt.
Noch mehr Kopfzerbrechen, als das Motiv hinter den zahlreichen Verbrechen, bereitet ihr nur ihre große Liebe aus längt vergangenen Tagen. Diese Beziehung würde sie nicht nur gerne vergessen, sondern am liebsten ungeschehen machen.
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Glück und Pech
© 2020 Zoe Zander
Glück und Pech
Krimi
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: Zander.Zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch
In dem neuen Fall von Kriminalkommissarin Nina Glück rollen die Köpfe schneller, als sie der Lösung näher kommt.
Noch mehr Kopfzerbrechen, als das Motiv hinter den zahlreichen Verbrechen, bereitet ihr nur ihre große Liebe aus längt vergangenen Tagen. Diese Beziehung würde sie nicht nur gerne vergessen, sondern am liebsten ungeschehen machen.
Mehr Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Gefunden
Du berührst mich sanft mit erlesenen Worten und
schenkst mir Blicke voll sündiger Schmeichelei.
In der Hektik des Alltags verschaffst du mir Zeit und
ein Kuss von dir vertreibt meine Sorgen wie durch Zauberei.
Du gewährst mir Freiraum und bist dennoch zur Stelle,
wenn mir im Alltag der Himmel über dem Kopf zusammenbricht.
Unberechenbar in Taten erfindest du dich jeden Tag neu,
dennoch hält jedes Wort aus deinem Mund genau das, was es verspricht.
Jeden Tag etwas Neues als Bestätigung meines Selbst,
spottete ich früher über die Treue und die Liebe.
Dann traf ich dich, Nina und seit dem steht mein Leben kopf.
Nun wünsche ich mir nichts mehr, als dass es auf ewig so bliebe.
Sheriff
Zoe Zander
1
Die Zuschauerreihen füllten sich zügig, nur der Platz neben Nina war nach wie vor leer. Immer wieder sah sie auf den verstaubten Sitz, als erwartete sie, dass ihre Verabredung nicht durch den Eingang kommen, sondern aus dem Nichts direkt auf diesem erscheinen würde. Ihr ständiges Nachsehen fiel sogar dem Mann einen Sitzplatz weiter auf und er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Sie lächelte zurück, doch dann landete ihr Blick auf seinem goldenen Zahnimplantat und ihre Gesichtszüge erstarrten.
Nervös sah sie auf die Uhr, stand auf und begab sich die Stufen neben den Sitzreihen runter und die Treppe des Durchgangs zurück in die Eingangshalle.
„Ich bin’s Nina“, presste sie sich das Handy näher ans Ohr, da hinter ihrem Rücken das große Grölen losging: Die Mannschaften liefen auf das Spielfeld auf und sie fragte sich, wie sie den Lärm volle 90 Minuten plus Verlängerung aushalten sollte.
„Du – sorry, ich bin noch in der U-Bahn. Das dauert sicher noch eine ganze Weile“, erklärte Iris.
„Ja, kann man nichts machen.“ Nina seufzte und fragte sich, ob sie mit der Einladung ins Stadion vielleicht etwas übertrieben hatte und ob ein Nachmittag im Café, beim Kaffee und Kuchen, nicht ausgereicht hätte, um ihre Freundschaft zu festigen.
„Ich beeile mich“, versprach Iris, als läge die Verspätung an ihr und nicht an den Störungen, mit denen das U-Bahn-Netz schon seit Tagen kämpfte.
„Bis zur Halbzeit wird es sich hoffentlich ausgehen“, bemühte sich Nina um etwas Humor, auch, weil sie sich wünschte, sie würde in der U-Bahn sitzen, damit ihr, die mit Fußball nichts anfangen konnte, das Meiste von dem lauten Spektakel erspart blieb.
„Bis bald.“
„Bis gleich“, steckte sie das Handy anschließend in die Jacke und drehte sich um, um zurück zu ihrem Platz zu kehren. Zeitgleich mit einem lauten Knall erzitterte die Konstruktion über ihrem Kopf.
„Scheiße – was war das?“ Sie sah sich um, die Hände über den Ohren haltend, denn der Knall hallte immer noch in ihrem Kopf nach, als hätte sie unter einer Glocke gestanden, während jemand draufschlug.
Von einer Sekunde auf die andere verflüchtigte sich der Druck im Gehörgang mit einem spürbaren Plopp. Ihr wurde klar, dass das, was sie noch kurz zuvor lediglich als Rauschen vernommen hatte, lautes panisches Kreischen war, das sie durch die Zugänge vom Spielfeld und den Zuschauerreihen erreichte.
Neugierig, was sich hinter den Mauern abspielte, lief sie los, doch ehe sie die erste Stufe erreichte, fing es an zu knistern, als würde jemand ununterbrochen Feuerwerkskörper zünden.
Sie stoppte, horchte sich um und erkannte schnell, dass dieses Knistern nichts mit irgendwelchen Knallfröschen zu tun hatte. Unbewusst fasste sie sich an die Stelle, an der sie sonst ihre Dienstwaffe trug, aber die hatte sie ausnahmsweise nicht dabei. Dennoch stürmte sie die Treppe hinauf, aber da kam ihr die in Panik geratene Masse auch schon entgegen und trug sie regelrecht aus dem Stadion hinaus, bis knapp vor die U-Bahnstation.
Nina kam erst frei, nachdem sie über eine Bordsteinkante gestolpert war und zwischen zwei parkende Autos geschoben wurde. Dabei fiel ihr das Handy aus der Jackentasche heraus.
„Scheiße“, hob sie es vom Boden auf, betrachtete einen Moment lang den Sprung im angeblichen Panzerglas und betätigte anschließend die Wiederwahl.
„Nur noch eine Station“, brummte ihr Iris vom anderen Ende zu.
„Steig sofort aus und fahr zurück!“, keuchte sie ins Telefon.
„Wieso?“
„Hier ist die Hölle los. Zuerst eine Explosion und nun schießt jemand auch noch wild um sich“, duckte sie sich, da es inzwischen auch schon vor dem Stadion knallte und das gleich an mehreren Stellen.
„Oh, Gott!“, knisterte es plötzlich im Hörer, dann brach die Verbindung ab und Nina wurde klar, dass Iris quasi schon um die Ecke war und hier jeden Augenblick auftauchen konnte.
Hoffentlich denkt sie nicht, ich mache Spaß, sorgte sie sich und wählte umgehend die nächsten Nummern, aber sowohl der Notruf, wie auch bei ihr im Büro und anderen Polizeistellen, deren Rufnummern sie auswendig kannte oder gespeichert hatte, waren besetzt. Also sah sie sich um, um …
Beinahe hätte sie die Augen verdreht, als ihr die Meldung ihres Ausbilders in den Sinn kam: „Wilde Schießerei auf der Straße? Wir sind nicht in Amerika!“
Vielleicht habe ich die Verschiebung der Kontinente verschlafen, dachte sie.
Die Leute liefen weiterhin panisch umher und es ertönten immer noch vereinzelt Schüsse – einer gar nicht so weit von ihr entfernt und der nächste – noch viel näher.
Die ganze Zeit geduckt, streckte sie lediglich den Hals in die Länge, um aus ihrem Versteck hinaus zu spähen. Dabei entdeckte sie eine Frau, die kurz zuvor an ihr vorbeigelaufen war. Nun lag sie tot bäuchlings auf dem Asphalt.
Als ihr ein Schuss direkt am Ohr vorbei sauste, holte sie ihren Schlüsselbund aus der Hosentasche und sperrte mit dem Dietrich den Wagen auf, hinter dem sie sich die ganze Zeit versteckte. Dann kletterte sie durch den Spalt in den Kofferraum hinein.
Draußen krachte es noch eine ganze Weile. Hier und da rannte noch jemand an dem Wagen vorbei, wobei Nina nicht erkennen konnte, ob der jemand auf der Flucht war oder hinter einem anderen her.
Nach einer sehr langen Zeit kehrte endlich Ruhe ein.
Nina wartete noch ein paar Minuten ab und genau dann, als sie ihr Versteck endlich verlassen wollte, klickte die Zentralverriegelung und jemand stieg ein.
Sie wollte schnell raus, ehe sich der Wagen in Bewegung setzte, als …
„Was heißt – weg?“
Nina stockte, denn die Stimme kannte sie. Im Dunkeln tastete sie sich die Rückseite der Rücksitzlehnen vor, bis sie den Hebel fand und die rechte Lehne umklappte.
„Milan?“, steckte sie den Kopf durch die entstandene Öffnung in den Innenraum.
Der Mann hinter dem Lenkrad legte umgehend auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz und spähte mit der Waffe in der Hand zwischen den zwei Sitzen hindurch zu ihr rüber. „Nina?“
Als sich ihre Blicke trafen, fragten sie gleichzeitig: „Was suchst du hier?“
„Ist mein Auto“, erklärte Milan als erster.
Nina sah sich um, wirkte dabei überrascht, als hätte sie nicht mitbekommen, dass es sich bei ihrem Versteck um einen Wagen handelte.
„Ja, aber hier, mitten in einer Schießerei?“
„Ich war in der Nähe, da habe ich …“, runzelte er mit einem Mal die Stirn. „Moment mal – es ist mein Auto, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“
„Weißt du, was hier los ist?“, kroch sie mühsam durch die schmale Öffnung auf den Rücksitz, klappte die Lehne wieder zurück und setzte sich hin.
„Alles deutet auf einen Terroranschlag hin“, strich er sich mit dem Zeigefinger über den nicht vorhandenen Oberlippenbart, griff dann schnell nach dem weggelegten Handy und drückte den eingehenden Anruf weg.
„Echt?“, sah sie sich um, noch ein wenig geduckt, weil sie der Ruhe nicht traute. „Ja aber … Du sitzt doch quasi an der Quelle – wird denn sowas nicht angekündigt? Oder zumindest anonyme Hinweise, Anzeichen oder sonst was?“, war es zwar nicht ihr Gebiet, aber da sich die Ermittlungen hin und wieder überlappten, glaubte sie, ein kleines bisschen Einblick in die Arbeit der Kollegen zu haben.
„Offenbar nicht“, bemerkte Milan, öffnete das Handschuhfach und warf die Waffe hinein.
Nina seufzte laut, wischte sich mit beiden Händen übers verschwitzte Gesicht, denn in dem Kofferraum war es stickig und vor allem sehr warm gewesen, da die Sonne die ganze Zeit darauf geknallt hatte. Bei einem erneuten Rundumblick entdeckte sie die ersten Ankömmlinge des Einsatzkommandos. Ohne ein Wort zum Abschied sprang sie aus dem Wagen und lief mit erhobenen Händen auf den ersten von ihnen zu. „Kriminalkommissarin Nina Glück – ich bin Zeugin. Wer ist der Einsatzleiter?“
2
„Du musst echt überall sein, wie?“, suchte sie der Chef in ihrem Büro auf und das wollte schon mal was heißen, denn sonst zitierte er nur jeden zu sich.
Nina hob den Blick von den Unterlagen, die auf ihrem Schreibtisch lagen, strich sich mit den Fingern provokativ durch ihr, wie sie fand, immer noch viel zu kurzes Haar und sah ihn an. „Das war jetzt eine echt saublöde Bemerkung.“
„Ja … Sorry“, kratzte er sich verlegen am Hinterkopf und machte in der Tür Platz für den Gast, denn seine unpassende Bemerkung war nur für eines gedacht – den Gast anzukündigen.
„Früher warst du nicht so frech zu den Vorgesetzten“, verkündete dieser und betrat ihr und Sheriffs Büro.
„Früher habe ich auch nicht“, bemerkte sie Oskar, der sich nicht, wie angenommen, längst zurückgezogen hatte, sondern weiterhin hinter dem Gast stand und das Gespräch verfolgte. „Vergiss es …“, brummte sie und wendete sich wieder ihren Unterlagen zu.
„Hast du deine Tage, weil du so mies gelaunt bist?“, kam er ohne Aufforderung näher, stellte sich neben sie und warf einen Blick auf ihren Schreibtisch, worauf sie sofort all die Fotos und andere Unterlagen ihres aktuellen Falls zu einem Haufen zusammen schob und die Tageszeitung mit dem Bericht über den Anschlag im Stadion oben drauf legte.
„Seit wann hast du Geheimnisse vor mir?“
„Ich bezweifle, dass du wegen eines misslungenen Raubüberfalls hergekommen bist. Es sind also laufende Ermittlungen, die dich nichts angehen.“
„Puh, das wird ja immer schlimmer – spürst du etwa schon die Wechseljahre?“, spielte er den langen Zeitraum an, in dem sie keinen Kontakt hatten.
„Nein. Ich hab nur nicht mit dir gerechnet. Schon gar nicht zwei Mal hintereinander nach ganzen fünfzehn Jahren.“
„Da ist jemand sauer“, zwitscherte er.
„Ja und wie ich finde – zu Recht. Zudem habe ich viel zu tun“, schob sie den Stapel zur Seite und sah zu ihm hoch. „Was willst du?“
„Zeugenbefragung.“
Nina blinzelte, dann dämmerte ihr endlich. „Du? Seit wann?“
„Tja, Fleiß zahlt sich eben aus. Und Sprachkenntnisse und Erfahrung und …“
„Ich kotz gleich bei so viel Selbstüberschätzung.“
„Komm, gehen wir was essen“, wollte er auch schon wieder raus aus ihrem Büro.
„Ich sagte doch, ich hab zu tun, also zieh dir gefälligst meine protokollierte Aussage rein. Mehr habe ich eh nicht zu sagen.“
„Nicht dein Ernst?“
„Doch – mein voller Ernst“, holte sie wieder den Stapel zu sich und breitete die Unterlagen von neuem auf ihrem Schreibtisch aus.
Milan wartete kurz, aber da Nina tat, als wäre er längst weg und da ihm nur noch Sheriff die Aufmerksamkeit schenkte, auf die er bei seiner ehemaligen Flamme gehofft hatte, hörte er abrupt auf zu grinsen, als hätte er einen Knopf hierfür betätigt und verließ ihr Büro.
Eine Weile las sie weiter in den Protokollen der Spurensicherung und betrachtete die dazugehörende Fotodokumentation, dann … „Was ist?“, fragte sie ihren Kollegen, ohne den Kopf zu heben.
„Wer war das?“
„Milan Brkič.“
„Etwa – der Milan Brkič?“
Nina zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht, ich kenne nur den einen … und auch der ist schon einer zu viel.“
„Komm schon. Er ist eine ganz große Nummer in der Abteilung für Sondereinheiten.“
Doch Nina tat, als hätte sie dies überhört. „Ich hole mir jetzt einen Kaffee. Willst du auch einen?“, stand sie auf und schlurfte zur Tür. Ehe sie diese öffnete, wurde sie wie von Geisterhand aufgerissen, weshalb sie zur Seite sprang, um nicht damit eine übergebraten zu bekommen. „Wow – du auch? Und sogar zwei Mal am selben Tag?“, kommentierte sie das Auftauchen ihres Chefs.
„Echt Nina, musst du wirklich jedem auf den Schlips treten?“, jammerte er.
Statt etwas zu sagen, weitete sie nur die Augen.
„Willst du dich tatsächlich mit einer Beschwerde wegen unkooperativen Verhaltens herumschlagen? Jetzt, wo du extra die Kommission bemüht hast, um dein altes Verfahren neu aufzurollen?“
„Wegen dem Typ habe ich damals nur knapp an der Suspendierung geschrammt!“, fauchte sie ganz laut, weil sie sich sicher war, dass sich Milan noch in der Nähe befand.
„Besser suspendiert als tot!“, trat er plötzlich durch die offene Tür von Oskars Büro in den Gang hinaus.
„Er hatte keine Waffe!“, kehrte sie zurück zu ihrem Tisch, holte die Strickjacke von der Sessellehne und ihre Handtasche aus der Schublade ihres Schreibtisches, eilte erneut zur Tür und drängte sich an ihrem Chef vorbei.
„Nina?!“, sah er ihr nach, wie sie zuerst in Richtung seines Büros lief, dann jedoch stehen blieb, sich umdrehte und sich dann für das andere Treppenhaus entschied. Nur, um nicht an dem verhassten Mann vorbeilaufen zu müssen.
„Ich muss einer Spur nachgehen, solange sie noch heiß ist.“
„Der Zorn der Verschmähten? Wie unprofessionell!“, rief ihr Milan hinterher und sie blieb daraufhin wahrhaftig stehen.
„Also wirklich! Hättest du mich nicht vor fünfzehn Jahren abserviert, hättest du es zu einem anderen Zeitpunkt gemacht. War schließlich nicht das erste Mal“, wollte sie schon wieder weiter gehen.
„Ich will dich dabei haben“, machte er ihr unerwartet genau das Angebot, von dem sie Jahre lang träumte.
„Vergiss es!“, lief sie die Stufen hinunter.
3
Seine Finger erreichten den Verschluss ihres Büstenhalters. Ehe es ihm gelang, diesen mit nur einer Hand zu öffnen, drückte sie mit dem Oberarm seinen Arm nieder und setzte ihm deutlich Grenzen.
Seine vollen Lippen zu küssen fand sie hingegen besonders – und zwar von dem ersten Mal an, bei dem sie in diesen Genuss gekommen war. Niko konnte ebenfalls fabelhaft küssen, aber Sheriffs Mund war, ihrer Meinung nach, zum Küssen gemacht.
„Er kommt“, flüsterte sie ihm zu, worauf sie beide gleichzeitig aus dem Wagen stiegen und dem Verdächtigen hinterherliefen.
„Nehmen Sie die Hand aus der Tasche raus!“, legte er die Hand auf die Waffe in seinem Halfter.
„Hier!“, reichte sie dem Mann ein Papiertaschentuch.
„Dan-tschie!“
Noch während er sich die Nase putzte, legte sie ihm die Handschellen an und übergab ihn den Kollegen.
„Hätte ins Auge gehen können“, bemängelte Sheriff.
„Was? Das vollgerotzte Taschentuch?“, warf sie ihm nur kurz einen Blick zu und eilte voran zurück zum Wagen. „Ich habe gesehen, wie er das Ding reingestopft hat.“
„Du bist irgendwie – gereizt.“
„Wundert’s dich? Was sollte das im Wagen? Hätte ich ihm etwa ohne BH hinterlaufen sollen? Hast du sie noch alle?“
Sheriff lief ihr nach, packte sie am Oberarm und zog sie in die schmale Einfahrt des Mehrfamilienhauses zurück. „Liegt es wirklich an mir?“
Nina wand sich in seinen Armen, trudelte mit dem Blick umher, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Ist es die Schießerei …?“
„Weißt du noch, was deine Oma gesagt hat?“
„Was – das du alt bist? Nimm dir das nicht so zu Herzen. Sie hat mit vierzehn ihr erstes Kind bekommen …“
„Nein – das mit dem Fluch.“
„Nina“, klang er ratlos.
„Oskar hat recht, ich trete von einer Scheiße in die andere.“
„Bist du damals auch in irgendeine Scheiße getreten?“
„Nein, aber Milans Meinung nach habe ich Scheiße gebaut.“
„Erzähl mal …“
Nina fegte nur mit der Hand durch die Luft, als würde sie eine Mücke vertreiben.
4
Die Blicke waren ihr vertraut, allerdings gehörten gerade solche zu ihrem Alptraum, in dem sie nackt zum Dienst erschienen war. Gleich mehrmals musterte sie sich prüfend, aber ihre Kleidung war komplett, nicht zerknittert und sauber. Von den Seilabdrücken auf ihrer Haut – den Spuren der letzten Session mit Niko – war auch nichts mehr zu sehen. Und dennoch starrten sie sie an.
„Was ist?“, platzte es schließlich aus ihr heraus.
„Oskar will dich sprechen“, gab ihr jemand einen Hinweis.
„In welche Scheiße bin ich jetzt schon wieder getreten?“, knurrte sie leise, um sich ihre Zweifel oder eher Bedenken nicht anmerken zu lassen.
„Der Typ ist echt lästig und ich hab wirklich andere Dinge zu tun, als ihm ständig zu erklären, dass er dich lediglich anfragen kann, ich dir aber nicht den Befehl erteilen werde, ihn zu unterstützen. Abgesehen davon …“, holte er tief Luft und lehnte sich in seinem breiten Sessel zurück. „Abgesehen davon wundert sich hier jeder, ich eingeschlossen, warum du nicht willst.“
„Weil er nur jemanden sucht, der für ihn als Sündenbock hinhalten soll, wenn was in die Hosen geht. Und offensichtlich hält er mich für diese Rolle wie geschaffen. Er wird dann sagen, dass er es eigentlich hätte wissen müssen, er mir aber unbedingt die Chance geben wollte, mich zu beweisen. Wetten?“
„Bist du nicht ein bisschen paranoid?“, stockte er umgehend. „Entschuldige.“
„Ach – hör endlich auf! Ja, du hast mich gebeten, nach deiner verschwundenen Sub zu suchen, aber an all dem, was danach passierte, trägst du keine Schuld.“
„Wir haben uns getrennt. Sie ist zu ihrem Mann zurück.“
„Kommt vor. Falls du dich nach einer Runde Mitleid sehnst – bist du bei mir an der falschen Adresse.“
„Mitleid von dir ist, als würde man mir Salz in die Wunden streuen.“
„Soll ich ihm etwa nur deshalb helfen, damit ich dir nicht pausenlos über den Weg laufe und dich nicht ständig an Ona erinnere?“
Oskar schwieg.
„Mann, das ist so jämmerlich!“, verzog sie das Gesicht und überlegte eine Weile. Seit sie bei der Polizei angefangen hatte, träumte sie von Milans Job. Und jetzt, wo genau dieser Job zum Greifen nah war, stand genau Milan ihr im Weg. „Okay, aber nur, wenn du Sheriff ebenso abkommandierst. Ich will mich mit dem Arschloch nicht alleine herumschlagen und dann habe ich wenigstens jemanden, der mich davon abhält, ihm an die Gurgel zu gehen.“
„Gott, du vereinst all diese unausstehlichen Fernsehkommissare in eine Person. Echt zum Würgen.“
„Oh, schön, das jährliche Mitarbeitergespräch ist somit auch erledigt. Wo muss ich unterschreiben?“, schenkte sie ihm ein aufgesetztes Lächeln.
Oskar seufzte und wartete einen Augenblick, aber sie meinte es mit der vorgeschriebenen Feedbackrunde ernst, weshalb er schließlich aus einer der Schubladen ein Formular herausholte, einige der Kästen ankreuzte und es ihr vorlegte. Nachdem sie ihre Unterschrift darunter gesetzt hatte, stand sie auf und wollte gehen, als er sie mit einer Frage aufhielt: „Steht schon ein Datum für deine Anhörung fest?“
Nina blieb stehen, aber es dauerte noch ewig lang, bis sie sich umdrehte und ihn ansah. „Ja – und?“
„Ich wünsche dir viel Glück.“
„Ich brauche kein Glück. Ich brauche nur eine Kommission, die fähig ist, die Wahrheit zu erkennen und die sich von Blendern nicht blenden lässt“, verließ sie sein Büro.
*
„Ich habe gedacht, wir fahren gemeinsam“, rief er ihr schon von der Stadiontreppe zu, kaum, dass er es durch den dunklen Durchgang an die frische Luft geschafft und sie zu sehen bekommen hatte. Dann lief er die letzten Stufen hinauf, kam um die Abgrenzung aus Beton herum und stieg noch die paar Sitzreihen hoch.
„Ich habe mein eigenes Taxi“, bemerkte sie kalt und machte einen Schritt zur Seite, worauf er endlich den knienden Sheriff bemerkte.
„Ein Anstandswauwau?“
„Im Gegenteil zu dir verteilt er seine Duftmarke nicht in der ganzen Stadt.“
Sheriff stand, sich räuspernd, auf. „Vielleicht sollte ein anderer die Ermittlungen übernehmen, was denkt ihr?“
„Bin voll dafür“, wendete sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Begraben wir das Kriegsbeil“, kam er ihnen näher. Als wollte sie seinem Blick ausweichen, drehte sie sich langsam im Kreis herum und sah sich in dem Stadion um. Doch überall anders sah alles wie gewohnt aus. Oder eher, da Nina in ihrem gesamten Leben nur dieses Stadion von innen zu sehen bekommen hatte, so aus, wie sie es von diesem einen Mal in Erinnerung hatte.
„Eine einzige Bombe? Reichte das Geld etwa für weitere nicht aus?“ Dann sah sie Milan direkt in die Augen. „Oder sind die anderen nur nicht hochgegangen?“
„Entschuldigt mich kurz“, eilte Milan seinen Männern hinterher.
„Echt krass“, deutete Sheriff auf die zerstörten Sitze und den verkohlten Krater im Beton.
„Krass?“, richtete Nina den Blick zum Himmel, aber das Flugobjekt, von dem Brummen der Rotorenblätter sie angelockt wurde, schwebte direkt vor der Sonne und war somit für sie nicht sichtbar. Also senkte sie den Blick wieder und betrachtete die Verwüstung. „Hätte Iris sich nicht verspätet, würde ich jetzt nicht hier neben dir stehen. Das war mein Platz“, deutete sie zu der einen Stelle, an der nicht einmal mehr von der Verankerung der Sitze etwas übrig geblieben war.
„Nina …“, wollte er ihr die Hand auf die Schulter legen, aber sie wich ihm aus.
„Ich hab Verstärkung angefordert“, kam Milan zurück.
„Weiß man schon was über die Opfer?“
„Ich habe bereits die Unterlagen angefordert und lasse sie in dein Büro bringen“, entgegnete Milan und dieses Mal, ohne sie anzugrinsen, als wollte er ihr jeden Augenblick ein Drink spendieren oder sie zu sich nach Hause einladen.
„Gut, schaffst du es in einer Stunde?“
„Ja … sicher, aber willst du nicht erstmal hier weiter machen?“
„Werden wir auch, sobald wir grünes Licht bekommen. Ich habe keinen Bock, nochmals einer Explosion beizuwohnen“, bückte sie sich, um einen unbekannten Splitter aufzuheben, der in der Sonne glänzte, als es leise pfiff und unmittelbar neben diesem Splitter ein kleines Loch in dem Krater entstand.
„Weg hier!“, packte sie beide am Arm und schob sie zur Seite, dann griff sie nach dem glänzenden Gegenstand und dem Projektil und lief den Männern die Treppe, die von den Sitzplätzen in die Eingangshalle führte, hinterher.
„Hast du den Tatort nicht absichern lassen?“, fauchte sie Milan an, kaum, dass sie sich in Sicherheit wog. Dabei zog sie sich den löchrigen Handschuh runter und schüttelte die Hand, um sich durch die Luftbewegung Kühlung für die verbrannten Fingerkuppen zu verschaffen.
„Klar doch, bin ja kein Anfänger.“
„Dann muss es ein Scharfschütze gewesen sein“, blickte sie zu der Decke, als könnte sie durch Stahlbeton sehen. Doch sie überlegte lediglich, welche Gebäude sich rund um das Stadion befanden.
„Vielleicht solltest du …“, richtete Sheriff das Wort an Nina.
„Eine Stunde“, statt auf Sheriffs Worte einzugehen, sah sie Milan an.
Als er nickte, drehte sie sich um und verließ den Tatort.
„Ist sie immer so launisch?“, ätzte Milan.
„In der letzten Zeit lief es nicht so gut für sie“, kam Sheriff über die Lippen, auch wenn er nicht vorhatte, sie in Schutz zu nehmen. Vor allem, weil er der Meinung war, sie hatte es nicht nötig.
„Für Nina lief es doch noch nie gut“, neckte ihn Milan.
„Übrigens – ich bin Sharif Maqbool“, reichte er ihm die Hand, anstatt auf die Meldung einzugehen.
„Ihr Neuer? Sie hat den Ruf, nichts anbrennen zu lassen“, teilte Milan weiter aus.
„Ja – du bist ein Arschloch“, zog Sheriff die Hand unverrichteter Geste zurück.
„Hat sie das gesagt?“
„Nein – bei uns hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung. Und das hier ist meine“, lief er ihr hinterher.
5
Sie tänzelte wie ein Bär über heiße Kohle, als er ihr die Klammer von dem Nippel abzog und ihn danach zwischen den Fingern zwirbelte. Seine Küsse erstickten den lauten Aufschrei, weshalb es von ihr außer Keuchen und Stöhnen nichts zu hören gab.
Nach einer Weile löste er seine Lippen von ihren und schubste sie von sich weg. Nina stieß rückwärts mit dem Bein gegen das Bett und fiel auf die Matratze.
Als er ihr die zweite Klammer abzog und den Busen zu kneten anfing, nahm er ihren anderen Nippel vorsichtig zwischen die Zähne und steigerte allmählich den Druck.
Auch Nina biss ihre Zähne zusammen, presste die Lippen aneinander und legte den Kopf so weit in den Nacken, wie es ihr im Liegen möglich war.
Irgendwann kam sie dagegen nicht mehr an und schrie auf. Gleich, nachdem sie den Mund geöffnet hatte, warf er sie um, küsste sie zuerst auf die offene Handfläche, die sie auf ihrem Steißbein gebettet hatte und drückte ihr anschließend die gefesselten Arme mit seinem eigenen Körper nieder.
Sie verbog den Rücken, bis ihr ein unangenehmes Ziehen Grenzen setzte. Aber nur dann, wenn sie den Po hoch genug hob, konnte er trotz ihrer gefesselten Beine den Akt vollbringen und darauf hatte sie es seit Anfang dieser Session abgesehen gehabt.
Ihre Gedanken schweiften ab. Je größer ihr Verlangen wurde, selbst Hand an sich zu legen, was ja nicht ging und ihr das Vergnügen deshalb verwehrt blieb, umso präsenter wurde die Erinnerung an die letzte Nacht mit Sheriff.
Ehe dies für sie genau in das hinausarten konnte, was sie von Anfang ihres polyamoren Selbstversuches befürchtete, hob sie ihm ihren Po noch mehr empor und presste gleichzeitig die Stirn in die Matratze. Dann lieferte sie sich dem Rhythmus seiner Bewegung und der Musik seines Stöhnens aus, bis …
„Ja …“, jauchzte sie, obwohl nur er gekommen war. Dennoch war das Vergnügen auf beiden Seiten gleich groß gewesen.
Während er sich umgehend ins Bad begab, blieb sie liegen. Gemeinsam zu duschen gehörte nicht zu ihren Vorlieben. Nach dem Sex weiterhin in Fesseln zu verweilen hingegen schon. Obwohl gefangen, konnte sie ihre Gedanken so schön schweifen lassen …
„Für welchen von uns beiden wirst du dich am Schluss entscheiden?“, schien er über ihre Bedenken bestens Bescheid zu wissen.
Niko deckte den Tisch, während sie sich in seinen Bademantel hüllte und von neuem in Gedanken versank.
„Hätte ich es etwa tun sollen?“, kehrte sie zu einem ganz anderen Thema zurück.
„Kannst du wirklich mit diesem Typen zusammenarbeiten, obwohl du ihm nicht mehr vertraust?“, wusste er ihre Frage richtig zuzuordnen.
„Dreizehn Menschen sind tot, fast fünfzig schwer verletzt …“, stocherte sie in dem Salat, den er auf ihren Wunsch kredenzt hatte.
„Hm“, brummte er, auch wenn sie den Verdacht hegte, dass es nicht nur daran lag, weil er den Mund voll hatte.
Sie unterhielten sich nicht über den Inhalt ihrer Arbeit und wenn, dann vernahm der andere das Meiste davon nur wie das Rauschen der Klospülung hinter verschlossener Tür. Es war da, aber man ignorierte es.
„Es tut mir sehr leid“, verkündete sie plötzlich.
„Ach – hör doch auf, Iris ist dir nicht böse.“
„Und du?“
„Wieso sollte ich? Dir ist nichts passiert, Iris ist nichts passiert – alles bestens.“
Nina legte ihm die Hand auf seine, worauf er sich zu ihr neigte und sie auf den Mund küsste.
Glück und Pech
© 2020 Zoe Zander
Glück und Pech
Krimi
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: Zander.Zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch
In dem neuen Fall von Kriminalkommissarin Nina Glück rollen die Köpfe schneller, als sie der Lösung näher kommt.
Noch mehr Kopfzerbrechen, als das Motiv hinter den zahlreichen Verbrechen, bereitet ihr nur ihre große Liebe aus längt vergangenen Tagen. Diese Beziehung würde sie nicht nur gerne vergessen, sondern am liebsten ungeschehen machen.
Mehr Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Gefunden
Du berührst mich sanft mit erlesenen Worten und
schenkst mir Blicke voll sündiger Schmeichelei.
In der Hektik des Alltags verschaffst du mir Zeit und
ein Kuss von dir vertreibt meine Sorgen wie durch Zauberei.
Du gewährst mir Freiraum und bist dennoch zur Stelle,
wenn mir im Alltag der Himmel über dem Kopf zusammenbricht.
Unberechenbar in Taten erfindest du dich jeden Tag neu,
dennoch hält jedes Wort aus deinem Mund genau das, was es verspricht.
Jeden Tag etwas Neues als Bestätigung meines Selbst,
spottete ich früher über die Treue und die Liebe.
Dann traf ich dich, Nina und seit dem steht mein Leben kopf.
Nun wünsche ich mir nichts mehr, als dass es auf ewig so bliebe.
Sheriff
Zoe Zander
1
Die Zuschauerreihen füllten sich zügig, nur der Platz neben Nina war nach wie vor leer. Immer wieder sah sie auf den verstaubten Sitz, als erwartete sie, dass ihre Verabredung nicht durch den Eingang kommen, sondern aus dem Nichts direkt auf diesem erscheinen würde. Ihr ständiges Nachsehen fiel sogar dem Mann einen Sitzplatz weiter auf und er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Sie lächelte zurück, doch dann landete ihr Blick auf seinem goldenen Zahnimplantat und ihre Gesichtszüge erstarrten.
Nervös sah sie auf die Uhr, stand auf und begab sich die Stufen neben den Sitzreihen runter und die Treppe des Durchgangs zurück in die Eingangshalle.
„Ich bin’s Nina“, presste sie sich das Handy näher ans Ohr, da hinter ihrem Rücken das große Grölen losging: Die Mannschaften liefen auf das Spielfeld auf und sie fragte sich, wie sie den Lärm volle 90 Minuten plus Verlängerung aushalten sollte.
„Du – sorry, ich bin noch in der U-Bahn. Das dauert sicher noch eine ganze Weile“, erklärte Iris.
„Ja, kann man nichts machen.“ Nina seufzte und fragte sich, ob sie mit der Einladung ins Stadion vielleicht etwas übertrieben hatte und ob ein Nachmittag im Café, beim Kaffee und Kuchen, nicht ausgereicht hätte, um ihre Freundschaft zu festigen.
„Ich beeile mich“, versprach Iris, als läge die Verspätung an ihr und nicht an den Störungen, mit denen das U-Bahn-Netz schon seit Tagen kämpfte.
„Bis zur Halbzeit wird es sich hoffentlich ausgehen“, bemühte sich Nina um etwas Humor, auch, weil sie sich wünschte, sie würde in der U-Bahn sitzen, damit ihr, die mit Fußball nichts anfangen konnte, das Meiste von dem lauten Spektakel erspart blieb.
„Bis bald.“
„Bis gleich“, steckte sie das Handy anschließend in die Jacke und drehte sich um, um zurück zu ihrem Platz zu kehren. Zeitgleich mit einem lauten Knall erzitterte die Konstruktion über ihrem Kopf.
„Scheiße – was war das?“ Sie sah sich um, die Hände über den Ohren haltend, denn der Knall hallte immer noch in ihrem Kopf nach, als hätte sie unter einer Glocke gestanden, während jemand draufschlug.
Von einer Sekunde auf die andere verflüchtigte sich der Druck im Gehörgang mit einem spürbaren Plopp. Ihr wurde klar, dass das, was sie noch kurz zuvor lediglich als Rauschen vernommen hatte, lautes panisches Kreischen war, das sie durch die Zugänge vom Spielfeld und den Zuschauerreihen erreichte.
Neugierig, was sich hinter den Mauern abspielte, lief sie los, doch ehe sie die erste Stufe erreichte, fing es an zu knistern, als würde jemand ununterbrochen Feuerwerkskörper zünden.
Sie stoppte, horchte sich um und erkannte schnell, dass dieses Knistern nichts mit irgendwelchen Knallfröschen zu tun hatte. Unbewusst fasste sie sich an die Stelle, an der sie sonst ihre Dienstwaffe trug, aber die hatte sie ausnahmsweise nicht dabei. Dennoch stürmte sie die Treppe hinauf, aber da kam ihr die in Panik geratene Masse auch schon entgegen und trug sie regelrecht aus dem Stadion hinaus, bis knapp vor die U-Bahnstation.
Nina kam erst frei, nachdem sie über eine Bordsteinkante gestolpert war und zwischen zwei parkende Autos geschoben wurde. Dabei fiel ihr das Handy aus der Jackentasche heraus.
„Scheiße“, hob sie es vom Boden auf, betrachtete einen Moment lang den Sprung im angeblichen Panzerglas und betätigte anschließend die Wiederwahl.
„Nur noch eine Station“, brummte ihr Iris vom anderen Ende zu.
„Steig sofort aus und fahr zurück!“, keuchte sie ins Telefon.
„Wieso?“
„Hier ist die Hölle los. Zuerst eine Explosion und nun schießt jemand auch noch wild um sich“, duckte sie sich, da es inzwischen auch schon vor dem Stadion knallte und das gleich an mehreren Stellen.
„Oh, Gott!“, knisterte es plötzlich im Hörer, dann brach die Verbindung ab und Nina wurde klar, dass Iris quasi schon um die Ecke war und hier jeden Augenblick auftauchen konnte.
Hoffentlich denkt sie nicht, ich mache Spaß, sorgte sie sich und wählte umgehend die nächsten Nummern, aber sowohl der Notruf, wie auch bei ihr im Büro und anderen Polizeistellen, deren Rufnummern sie auswendig kannte oder gespeichert hatte, waren besetzt. Also sah sie sich um, um …
Beinahe hätte sie die Augen verdreht, als ihr die Meldung ihres Ausbilders in den Sinn kam: „Wilde Schießerei auf der Straße? Wir sind nicht in Amerika!“
Vielleicht habe ich die Verschiebung der Kontinente verschlafen, dachte sie.
Die Leute liefen weiterhin panisch umher und es ertönten immer noch vereinzelt Schüsse – einer gar nicht so weit von ihr entfernt und der nächste – noch viel näher.
Die ganze Zeit geduckt, streckte sie lediglich den Hals in die Länge, um aus ihrem Versteck hinaus zu spähen. Dabei entdeckte sie eine Frau, die kurz zuvor an ihr vorbeigelaufen war. Nun lag sie tot bäuchlings auf dem Asphalt.
Als ihr ein Schuss direkt am Ohr vorbei sauste, holte sie ihren Schlüsselbund aus der Hosentasche und sperrte mit dem Dietrich den Wagen auf, hinter dem sie sich die ganze Zeit versteckte. Dann kletterte sie durch den Spalt in den Kofferraum hinein.
Draußen krachte es noch eine ganze Weile. Hier und da rannte noch jemand an dem Wagen vorbei, wobei Nina nicht erkennen konnte, ob der jemand auf der Flucht war oder hinter einem anderen her.
Nach einer sehr langen Zeit kehrte endlich Ruhe ein.
Nina wartete noch ein paar Minuten ab und genau dann, als sie ihr Versteck endlich verlassen wollte, klickte die Zentralverriegelung und jemand stieg ein.
Sie wollte schnell raus, ehe sich der Wagen in Bewegung setzte, als …
„Was heißt – weg?“
Nina stockte, denn die Stimme kannte sie. Im Dunkeln tastete sie sich die Rückseite der Rücksitzlehnen vor, bis sie den Hebel fand und die rechte Lehne umklappte.
„Milan?“, steckte sie den Kopf durch die entstandene Öffnung in den Innenraum.
Der Mann hinter dem Lenkrad legte umgehend auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz und spähte mit der Waffe in der Hand zwischen den zwei Sitzen hindurch zu ihr rüber. „Nina?“
Als sich ihre Blicke trafen, fragten sie gleichzeitig: „Was suchst du hier?“
„Ist mein Auto“, erklärte Milan als erster.
Nina sah sich um, wirkte dabei überrascht, als hätte sie nicht mitbekommen, dass es sich bei ihrem Versteck um einen Wagen handelte.
„Ja, aber hier, mitten in einer Schießerei?“
„Ich war in der Nähe, da habe ich …“, runzelte er mit einem Mal die Stirn. „Moment mal – es ist mein Auto, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“
„Weißt du, was hier los ist?“, kroch sie mühsam durch die schmale Öffnung auf den Rücksitz, klappte die Lehne wieder zurück und setzte sich hin.
„Alles deutet auf einen Terroranschlag hin“, strich er sich mit dem Zeigefinger über den nicht vorhandenen Oberlippenbart, griff dann schnell nach dem weggelegten Handy und drückte den eingehenden Anruf weg.
„Echt?“, sah sie sich um, noch ein wenig geduckt, weil sie der Ruhe nicht traute. „Ja aber … Du sitzt doch quasi an der Quelle – wird denn sowas nicht angekündigt? Oder zumindest anonyme Hinweise, Anzeichen oder sonst was?“, war es zwar nicht ihr Gebiet, aber da sich die Ermittlungen hin und wieder überlappten, glaubte sie, ein kleines bisschen Einblick in die Arbeit der Kollegen zu haben.
„Offenbar nicht“, bemerkte Milan, öffnete das Handschuhfach und warf die Waffe hinein.
Nina seufzte laut, wischte sich mit beiden Händen übers verschwitzte Gesicht, denn in dem Kofferraum war es stickig und vor allem sehr warm gewesen, da die Sonne die ganze Zeit darauf geknallt hatte. Bei einem erneuten Rundumblick entdeckte sie die ersten Ankömmlinge des Einsatzkommandos. Ohne ein Wort zum Abschied sprang sie aus dem Wagen und lief mit erhobenen Händen auf den ersten von ihnen zu. „Kriminalkommissarin Nina Glück – ich bin Zeugin. Wer ist der Einsatzleiter?“
2
„Du musst echt überall sein, wie?“, suchte sie der Chef in ihrem Büro auf und das wollte schon mal was heißen, denn sonst zitierte er nur jeden zu sich.
Nina hob den Blick von den Unterlagen, die auf ihrem Schreibtisch lagen, strich sich mit den Fingern provokativ durch ihr, wie sie fand, immer noch viel zu kurzes Haar und sah ihn an. „Das war jetzt eine echt saublöde Bemerkung.“
„Ja … Sorry“, kratzte er sich verlegen am Hinterkopf und machte in der Tür Platz für den Gast, denn seine unpassende Bemerkung war nur für eines gedacht – den Gast anzukündigen.
„Früher warst du nicht so frech zu den Vorgesetzten“, verkündete dieser und betrat ihr und Sheriffs Büro.
„Früher habe ich auch nicht“, bemerkte sie Oskar, der sich nicht, wie angenommen, längst zurückgezogen hatte, sondern weiterhin hinter dem Gast stand und das Gespräch verfolgte. „Vergiss es …“, brummte sie und wendete sich wieder ihren Unterlagen zu.
„Hast du deine Tage, weil du so mies gelaunt bist?“, kam er ohne Aufforderung näher, stellte sich neben sie und warf einen Blick auf ihren Schreibtisch, worauf sie sofort all die Fotos und andere Unterlagen ihres aktuellen Falls zu einem Haufen zusammen schob und die Tageszeitung mit dem Bericht über den Anschlag im Stadion oben drauf legte.
„Seit wann hast du Geheimnisse vor mir?“
„Ich bezweifle, dass du wegen eines misslungenen Raubüberfalls hergekommen bist. Es sind also laufende Ermittlungen, die dich nichts angehen.“
„Puh, das wird ja immer schlimmer – spürst du etwa schon die Wechseljahre?“, spielte er den langen Zeitraum an, in dem sie keinen Kontakt hatten.
„Nein. Ich hab nur nicht mit dir gerechnet. Schon gar nicht zwei Mal hintereinander nach ganzen fünfzehn Jahren.“
„Da ist jemand sauer“, zwitscherte er.
„Ja und wie ich finde – zu Recht. Zudem habe ich viel zu tun“, schob sie den Stapel zur Seite und sah zu ihm hoch. „Was willst du?“
„Zeugenbefragung.“
Nina blinzelte, dann dämmerte ihr endlich. „Du? Seit wann?“
„Tja, Fleiß zahlt sich eben aus. Und Sprachkenntnisse und Erfahrung und …“
„Ich kotz gleich bei so viel Selbstüberschätzung.“
„Komm, gehen wir was essen“, wollte er auch schon wieder raus aus ihrem Büro.
„Ich sagte doch, ich hab zu tun, also zieh dir gefälligst meine protokollierte Aussage rein. Mehr habe ich eh nicht zu sagen.“
„Nicht dein Ernst?“
„Doch – mein voller Ernst“, holte sie wieder den Stapel zu sich und breitete die Unterlagen von neuem auf ihrem Schreibtisch aus.
Milan wartete kurz, aber da Nina tat, als wäre er längst weg und da ihm nur noch Sheriff die Aufmerksamkeit schenkte, auf die er bei seiner ehemaligen Flamme gehofft hatte, hörte er abrupt auf zu grinsen, als hätte er einen Knopf hierfür betätigt und verließ ihr Büro.
Eine Weile las sie weiter in den Protokollen der Spurensicherung und betrachtete die dazugehörende Fotodokumentation, dann … „Was ist?“, fragte sie ihren Kollegen, ohne den Kopf zu heben.
„Wer war das?“
„Milan Brkič.“
„Etwa – der Milan Brkič?“
Nina zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht, ich kenne nur den einen … und auch der ist schon einer zu viel.“
„Komm schon. Er ist eine ganz große Nummer in der Abteilung für Sondereinheiten.“
Doch Nina tat, als hätte sie dies überhört. „Ich hole mir jetzt einen Kaffee. Willst du auch einen?“, stand sie auf und schlurfte zur Tür. Ehe sie diese öffnete, wurde sie wie von Geisterhand aufgerissen, weshalb sie zur Seite sprang, um nicht damit eine übergebraten zu bekommen. „Wow – du auch? Und sogar zwei Mal am selben Tag?“, kommentierte sie das Auftauchen ihres Chefs.
„Echt Nina, musst du wirklich jedem auf den Schlips treten?“, jammerte er.
Statt etwas zu sagen, weitete sie nur die Augen.
„Willst du dich tatsächlich mit einer Beschwerde wegen unkooperativen Verhaltens herumschlagen? Jetzt, wo du extra die Kommission bemüht hast, um dein altes Verfahren neu aufzurollen?“
„Wegen dem Typ habe ich damals nur knapp an der Suspendierung geschrammt!“, fauchte sie ganz laut, weil sie sich sicher war, dass sich Milan noch in der Nähe befand.
„Besser suspendiert als tot!“, trat er plötzlich durch die offene Tür von Oskars Büro in den Gang hinaus.
„Er hatte keine Waffe!“, kehrte sie zurück zu ihrem Tisch, holte die Strickjacke von der Sessellehne und ihre Handtasche aus der Schublade ihres Schreibtisches, eilte erneut zur Tür und drängte sich an ihrem Chef vorbei.
„Nina?!“, sah er ihr nach, wie sie zuerst in Richtung seines Büros lief, dann jedoch stehen blieb, sich umdrehte und sich dann für das andere Treppenhaus entschied. Nur, um nicht an dem verhassten Mann vorbeilaufen zu müssen.
„Ich muss einer Spur nachgehen, solange sie noch heiß ist.“
„Der Zorn der Verschmähten? Wie unprofessionell!“, rief ihr Milan hinterher und sie blieb daraufhin wahrhaftig stehen.
„Also wirklich! Hättest du mich nicht vor fünfzehn Jahren abserviert, hättest du es zu einem anderen Zeitpunkt gemacht. War schließlich nicht das erste Mal“, wollte sie schon wieder weiter gehen.
„Ich will dich dabei haben“, machte er ihr unerwartet genau das Angebot, von dem sie Jahre lang träumte.
„Vergiss es!“, lief sie die Stufen hinunter.
3
Seine Finger erreichten den Verschluss ihres Büstenhalters. Ehe es ihm gelang, diesen mit nur einer Hand zu öffnen, drückte sie mit dem Oberarm seinen Arm nieder und setzte ihm deutlich Grenzen.
Seine vollen Lippen zu küssen fand sie hingegen besonders – und zwar von dem ersten Mal an, bei dem sie in diesen Genuss gekommen war. Niko konnte ebenfalls fabelhaft küssen, aber Sheriffs Mund war, ihrer Meinung nach, zum Küssen gemacht.
„Er kommt“, flüsterte sie ihm zu, worauf sie beide gleichzeitig aus dem Wagen stiegen und dem Verdächtigen hinterherliefen.
„Nehmen Sie die Hand aus der Tasche raus!“, legte er die Hand auf die Waffe in seinem Halfter.
„Hier!“, reichte sie dem Mann ein Papiertaschentuch.
„Dan-tschie!“
Noch während er sich die Nase putzte, legte sie ihm die Handschellen an und übergab ihn den Kollegen.
„Hätte ins Auge gehen können“, bemängelte Sheriff.
„Was? Das vollgerotzte Taschentuch?“, warf sie ihm nur kurz einen Blick zu und eilte voran zurück zum Wagen. „Ich habe gesehen, wie er das Ding reingestopft hat.“
„Du bist irgendwie – gereizt.“
„Wundert’s dich? Was sollte das im Wagen? Hätte ich ihm etwa ohne BH hinterlaufen sollen? Hast du sie noch alle?“
Sheriff lief ihr nach, packte sie am Oberarm und zog sie in die schmale Einfahrt des Mehrfamilienhauses zurück. „Liegt es wirklich an mir?“
Nina wand sich in seinen Armen, trudelte mit dem Blick umher, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Ist es die Schießerei …?“
„Weißt du noch, was deine Oma gesagt hat?“
„Was – das du alt bist? Nimm dir das nicht so zu Herzen. Sie hat mit vierzehn ihr erstes Kind bekommen …“
„Nein – das mit dem Fluch.“
„Nina“, klang er ratlos.
„Oskar hat recht, ich trete von einer Scheiße in die andere.“
„Bist du damals auch in irgendeine Scheiße getreten?“
„Nein, aber Milans Meinung nach habe ich Scheiße gebaut.“
„Erzähl mal …“
Nina fegte nur mit der Hand durch die Luft, als würde sie eine Mücke vertreiben.
4
Die Blicke waren ihr vertraut, allerdings gehörten gerade solche zu ihrem Alptraum, in dem sie nackt zum Dienst erschienen war. Gleich mehrmals musterte sie sich prüfend, aber ihre Kleidung war komplett, nicht zerknittert und sauber. Von den Seilabdrücken auf ihrer Haut – den Spuren der letzten Session mit Niko – war auch nichts mehr zu sehen. Und dennoch starrten sie sie an.
„Was ist?“, platzte es schließlich aus ihr heraus.
„Oskar will dich sprechen“, gab ihr jemand einen Hinweis.
„In welche Scheiße bin ich jetzt schon wieder getreten?“, knurrte sie leise, um sich ihre Zweifel oder eher Bedenken nicht anmerken zu lassen.
„Der Typ ist echt lästig und ich hab wirklich andere Dinge zu tun, als ihm ständig zu erklären, dass er dich lediglich anfragen kann, ich dir aber nicht den Befehl erteilen werde, ihn zu unterstützen. Abgesehen davon …“, holte er tief Luft und lehnte sich in seinem breiten Sessel zurück. „Abgesehen davon wundert sich hier jeder, ich eingeschlossen, warum du nicht willst.“
„Weil er nur jemanden sucht, der für ihn als Sündenbock hinhalten soll, wenn was in die Hosen geht. Und offensichtlich hält er mich für diese Rolle wie geschaffen. Er wird dann sagen, dass er es eigentlich hätte wissen müssen, er mir aber unbedingt die Chance geben wollte, mich zu beweisen. Wetten?“
„Bist du nicht ein bisschen paranoid?“, stockte er umgehend. „Entschuldige.“
„Ach – hör endlich auf! Ja, du hast mich gebeten, nach deiner verschwundenen Sub zu suchen, aber an all dem, was danach passierte, trägst du keine Schuld.“
„Wir haben uns getrennt. Sie ist zu ihrem Mann zurück.“
„Kommt vor. Falls du dich nach einer Runde Mitleid sehnst – bist du bei mir an der falschen Adresse.“
„Mitleid von dir ist, als würde man mir Salz in die Wunden streuen.“
„Soll ich ihm etwa nur deshalb helfen, damit ich dir nicht pausenlos über den Weg laufe und dich nicht ständig an Ona erinnere?“
Oskar schwieg.
„Mann, das ist so jämmerlich!“, verzog sie das Gesicht und überlegte eine Weile. Seit sie bei der Polizei angefangen hatte, träumte sie von Milans Job. Und jetzt, wo genau dieser Job zum Greifen nah war, stand genau Milan ihr im Weg. „Okay, aber nur, wenn du Sheriff ebenso abkommandierst. Ich will mich mit dem Arschloch nicht alleine herumschlagen und dann habe ich wenigstens jemanden, der mich davon abhält, ihm an die Gurgel zu gehen.“
„Gott, du vereinst all diese unausstehlichen Fernsehkommissare in eine Person. Echt zum Würgen.“
„Oh, schön, das jährliche Mitarbeitergespräch ist somit auch erledigt. Wo muss ich unterschreiben?“, schenkte sie ihm ein aufgesetztes Lächeln.
Oskar seufzte und wartete einen Augenblick, aber sie meinte es mit der vorgeschriebenen Feedbackrunde ernst, weshalb er schließlich aus einer der Schubladen ein Formular herausholte, einige der Kästen ankreuzte und es ihr vorlegte. Nachdem sie ihre Unterschrift darunter gesetzt hatte, stand sie auf und wollte gehen, als er sie mit einer Frage aufhielt: „Steht schon ein Datum für deine Anhörung fest?“
Nina blieb stehen, aber es dauerte noch ewig lang, bis sie sich umdrehte und ihn ansah. „Ja – und?“
„Ich wünsche dir viel Glück.“
„Ich brauche kein Glück. Ich brauche nur eine Kommission, die fähig ist, die Wahrheit zu erkennen und die sich von Blendern nicht blenden lässt“, verließ sie sein Büro.
*
„Ich habe gedacht, wir fahren gemeinsam“, rief er ihr schon von der Stadiontreppe zu, kaum, dass er es durch den dunklen Durchgang an die frische Luft geschafft und sie zu sehen bekommen hatte. Dann lief er die letzten Stufen hinauf, kam um die Abgrenzung aus Beton herum und stieg noch die paar Sitzreihen hoch.
„Ich habe mein eigenes Taxi“, bemerkte sie kalt und machte einen Schritt zur Seite, worauf er endlich den knienden Sheriff bemerkte.
„Ein Anstandswauwau?“
„Im Gegenteil zu dir verteilt er seine Duftmarke nicht in der ganzen Stadt.“
Sheriff stand, sich räuspernd, auf. „Vielleicht sollte ein anderer die Ermittlungen übernehmen, was denkt ihr?“
„Bin voll dafür“, wendete sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Begraben wir das Kriegsbeil“, kam er ihnen näher. Als wollte sie seinem Blick ausweichen, drehte sie sich langsam im Kreis herum und sah sich in dem Stadion um. Doch überall anders sah alles wie gewohnt aus. Oder eher, da Nina in ihrem gesamten Leben nur dieses Stadion von innen zu sehen bekommen hatte, so aus, wie sie es von diesem einen Mal in Erinnerung hatte.
„Eine einzige Bombe? Reichte das Geld etwa für weitere nicht aus?“ Dann sah sie Milan direkt in die Augen. „Oder sind die anderen nur nicht hochgegangen?“
„Entschuldigt mich kurz“, eilte Milan seinen Männern hinterher.
„Echt krass“, deutete Sheriff auf die zerstörten Sitze und den verkohlten Krater im Beton.
„Krass?“, richtete Nina den Blick zum Himmel, aber das Flugobjekt, von dem Brummen der Rotorenblätter sie angelockt wurde, schwebte direkt vor der Sonne und war somit für sie nicht sichtbar. Also senkte sie den Blick wieder und betrachtete die Verwüstung. „Hätte Iris sich nicht verspätet, würde ich jetzt nicht hier neben dir stehen. Das war mein Platz“, deutete sie zu der einen Stelle, an der nicht einmal mehr von der Verankerung der Sitze etwas übrig geblieben war.
„Nina …“, wollte er ihr die Hand auf die Schulter legen, aber sie wich ihm aus.
„Ich hab Verstärkung angefordert“, kam Milan zurück.
„Weiß man schon was über die Opfer?“
„Ich habe bereits die Unterlagen angefordert und lasse sie in dein Büro bringen“, entgegnete Milan und dieses Mal, ohne sie anzugrinsen, als wollte er ihr jeden Augenblick ein Drink spendieren oder sie zu sich nach Hause einladen.
„Gut, schaffst du es in einer Stunde?“
„Ja … sicher, aber willst du nicht erstmal hier weiter machen?“
„Werden wir auch, sobald wir grünes Licht bekommen. Ich habe keinen Bock, nochmals einer Explosion beizuwohnen“, bückte sie sich, um einen unbekannten Splitter aufzuheben, der in der Sonne glänzte, als es leise pfiff und unmittelbar neben diesem Splitter ein kleines Loch in dem Krater entstand.
„Weg hier!“, packte sie beide am Arm und schob sie zur Seite, dann griff sie nach dem glänzenden Gegenstand und dem Projektil und lief den Männern die Treppe, die von den Sitzplätzen in die Eingangshalle führte, hinterher.
„Hast du den Tatort nicht absichern lassen?“, fauchte sie Milan an, kaum, dass sie sich in Sicherheit wog. Dabei zog sie sich den löchrigen Handschuh runter und schüttelte die Hand, um sich durch die Luftbewegung Kühlung für die verbrannten Fingerkuppen zu verschaffen.
„Klar doch, bin ja kein Anfänger.“
„Dann muss es ein Scharfschütze gewesen sein“, blickte sie zu der Decke, als könnte sie durch Stahlbeton sehen. Doch sie überlegte lediglich, welche Gebäude sich rund um das Stadion befanden.
„Vielleicht solltest du …“, richtete Sheriff das Wort an Nina.
„Eine Stunde“, statt auf Sheriffs Worte einzugehen, sah sie Milan an.
Als er nickte, drehte sie sich um und verließ den Tatort.
„Ist sie immer so launisch?“, ätzte Milan.
„In der letzten Zeit lief es nicht so gut für sie“, kam Sheriff über die Lippen, auch wenn er nicht vorhatte, sie in Schutz zu nehmen. Vor allem, weil er der Meinung war, sie hatte es nicht nötig.
„Für Nina lief es doch noch nie gut“, neckte ihn Milan.
„Übrigens – ich bin Sharif Maqbool“, reichte er ihm die Hand, anstatt auf die Meldung einzugehen.
„Ihr Neuer? Sie hat den Ruf, nichts anbrennen zu lassen“, teilte Milan weiter aus.
„Ja – du bist ein Arschloch“, zog Sheriff die Hand unverrichteter Geste zurück.
„Hat sie das gesagt?“
„Nein – bei uns hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung. Und das hier ist meine“, lief er ihr hinterher.
5
Sie tänzelte wie ein Bär über heiße Kohle, als er ihr die Klammer von dem Nippel abzog und ihn danach zwischen den Fingern zwirbelte. Seine Küsse erstickten den lauten Aufschrei, weshalb es von ihr außer Keuchen und Stöhnen nichts zu hören gab.
Nach einer Weile löste er seine Lippen von ihren und schubste sie von sich weg. Nina stieß rückwärts mit dem Bein gegen das Bett und fiel auf die Matratze.
Als er ihr die zweite Klammer abzog und den Busen zu kneten anfing, nahm er ihren anderen Nippel vorsichtig zwischen die Zähne und steigerte allmählich den Druck.
Auch Nina biss ihre Zähne zusammen, presste die Lippen aneinander und legte den Kopf so weit in den Nacken, wie es ihr im Liegen möglich war.
Irgendwann kam sie dagegen nicht mehr an und schrie auf. Gleich, nachdem sie den Mund geöffnet hatte, warf er sie um, küsste sie zuerst auf die offene Handfläche, die sie auf ihrem Steißbein gebettet hatte und drückte ihr anschließend die gefesselten Arme mit seinem eigenen Körper nieder.
Sie verbog den Rücken, bis ihr ein unangenehmes Ziehen Grenzen setzte. Aber nur dann, wenn sie den Po hoch genug hob, konnte er trotz ihrer gefesselten Beine den Akt vollbringen und darauf hatte sie es seit Anfang dieser Session abgesehen gehabt.
Ihre Gedanken schweiften ab. Je größer ihr Verlangen wurde, selbst Hand an sich zu legen, was ja nicht ging und ihr das Vergnügen deshalb verwehrt blieb, umso präsenter wurde die Erinnerung an die letzte Nacht mit Sheriff.
Ehe dies für sie genau in das hinausarten konnte, was sie von Anfang ihres polyamoren Selbstversuches befürchtete, hob sie ihm ihren Po noch mehr empor und presste gleichzeitig die Stirn in die Matratze. Dann lieferte sie sich dem Rhythmus seiner Bewegung und der Musik seines Stöhnens aus, bis …
„Ja …“, jauchzte sie, obwohl nur er gekommen war. Dennoch war das Vergnügen auf beiden Seiten gleich groß gewesen.
Während er sich umgehend ins Bad begab, blieb sie liegen. Gemeinsam zu duschen gehörte nicht zu ihren Vorlieben. Nach dem Sex weiterhin in Fesseln zu verweilen hingegen schon. Obwohl gefangen, konnte sie ihre Gedanken so schön schweifen lassen …
„Für welchen von uns beiden wirst du dich am Schluss entscheiden?“, schien er über ihre Bedenken bestens Bescheid zu wissen.
Niko deckte den Tisch, während sie sich in seinen Bademantel hüllte und von neuem in Gedanken versank.
„Hätte ich es etwa tun sollen?“, kehrte sie zu einem ganz anderen Thema zurück.
„Kannst du wirklich mit diesem Typen zusammenarbeiten, obwohl du ihm nicht mehr vertraust?“, wusste er ihre Frage richtig zuzuordnen.
„Dreizehn Menschen sind tot, fast fünfzig schwer verletzt …“, stocherte sie in dem Salat, den er auf ihren Wunsch kredenzt hatte.
„Hm“, brummte er, auch wenn sie den Verdacht hegte, dass es nicht nur daran lag, weil er den Mund voll hatte.
Sie unterhielten sich nicht über den Inhalt ihrer Arbeit und wenn, dann vernahm der andere das Meiste davon nur wie das Rauschen der Klospülung hinter verschlossener Tür. Es war da, aber man ignorierte es.
„Es tut mir sehr leid“, verkündete sie plötzlich.
„Ach – hör doch auf, Iris ist dir nicht böse.“
„Und du?“
„Wieso sollte ich? Dir ist nichts passiert, Iris ist nichts passiert – alles bestens.“
Nina legte ihm die Hand auf seine, worauf er sich zu ihr neigte und sie auf den Mund küsste.