Inhalt:
Die bevorstehende Anhörung lässt Kriminalkommissarin Nina Glück hoffen, den Schandfleck aus ihrer Vita bald ausradiert zu bekommen. Nicht einmal der neue Fall kann ihre Vorfreude mindern.
Geheimnisse aufzudecken gehört zu ihrem Beruf. Und nicht nur einmal versetzte sie ein solches in Alarmbereitschaft. Doch diesmal hat die Entdeckung nichts mit ihrem aktuellen Fall zu tun …
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Glück im Spiel
im Spiel
© 2020 Zoe Zander
Glück im Spiel
Krimi
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: Zander.Zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch
Die bevorstehende Anhörung lässt Kriminalkommissarin Nina Glück hoffen, den Schandfleck aus ihrer Vita bald ausradiert zu bekommen. Nicht einmal der neue Fall kann ihre Vorfreude mindern.
Geheimnisse aufzudecken gehört zu ihrem Beruf. Und nicht nur einmal versetzte sie ein solches in Alarmbereitschaft. Doch diesmal hat die Entdeckung nichts mit ihrem aktuellen Fall zu tun …
Mehr Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Liebe
Du hast nichts unversucht gelassen,
mir die Wahrheit zu vermitteln,
aber ich wollte sie nicht hören.
Doch, seit ich diese kenne,
bekomme ich die Auswirkungen
all der Lügen zu spüren.
Dennoch wolltest du mich schützen.
Dieses Spiel hast du allerdings verloren,
und ich frage mich, was passiert wäre,
wenn – ich mehr Mut bewiesen
und die neuartige Zweisamkeit getauscht
hätte gegen meine gewohnte Leere.
All diese Zeit sehnte ich mich nach dir,
nach unseren inhaltvollen Gesprächen
und vor allem nach deinem Lachen.
Und jetzt, wo du da bist, ertrage ich deine Nähe nicht,
weil sie mich an Gefühle erinnert,
die mir seit jeher Angst machen.
Zoe Zander
1
Nina klopfte auf den hölzernen Türrahmen, um auf sich aufmerksam zu machen. „Was hast du für mich?“, rief sie der Gerichtsmedizinerin zu und wartete das Nicken der Spurensicherung ab, erst dann trat sie über die Türschwelle.
„Eine wahre Schönheit“, seufzte Anita und schob der toten Frau die Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht.
„Wow“, entging Nina. „Das ist mein bisher bestaussehendes Opfer“, kam sie noch näher, ohne sich über die Leiche zu beugen.
Anita war mit ihrer Arbeit noch nicht fertig und sie konnte ziemlich ungemütlich werden, wenn man ihr dabei in die Quere kam.
„Einbruchsspuren?“, wendete sich Nina an die Kollegen der Spurensicherung.
„Die Tür stand sperrangelweit offen …“
„Draußen habe ich einen umgekippten Einkaufskorb gesehen“, bemerkte Nina.
„In der Küche steht auch einer“, deutete eine der weißen Gestalten zu einer der Innentüren.
„Dann gehört der Smart mit offenem Kofferraum wahrscheinlich ihr“, resultierte Nina und kehrte zurück vor das Haus, um den Wagen am Straßenrand näher in Augenschein zu nehmen.
„Ist das eine von diesen B-Promis?“, fragte Nina, als sie Anita auf dem Heimweg erblickte.
„B-Promis?“, kam ihr diese näher.
„Bloggerin oder Influencer – sie kommt mir bekannt vor …“
„Gott – ich dachte, nur mir geht es so“, stöhnte die Gerichtsmedizinerin, während sie neben dem Wagen stehen blieb und Nina dabei zusah, wie sie in seinem Inneren stöberte.
„Sieht aus, wie mit Zuckerguss überzogen“, lästerte sie über die pinke Lackierung. „Weiße Ausstattung, goldene Verzierungen, ein richtiges Girlieauto.“
„Woher willst du was über Girlies wissen?“, wunderte sich Anita.
„Auch wieder wahr. Aber so viel ist sicher – diese Karre hat mit Garantie ein Vermögen gekostet“, klappte sie die Sonnenblende runter, worauf ihr der Führerschein und die Fahrzeugpapiere entgegen fielen. „Chantal Beauty“, keuchte Nina, nur knapp um einen Lachanfall herumgekommen.
„Also der Name sagt mir rein gar nichts, aber …“
„Nicht unsere Welt.“
„Nein“, entgegnete Anita, auch wenn sie, zumindest beim Kleidungsstil, frisurtechnisch und beim Make-up weit mehr mit der jungen Frau gemeinsam hatte, als Nina.
„Kennst du schon die Todesursache?“
„Die Spuren sind eindeutig – sie wurde stranguliert. Ob ihr noch andere Verletzungen zugefügt wurden, kann ich dir erst nach der Obduktion sagen.“
„Vergewaltigt?“
„Die Kleidung schien unberührt, aber das heißt natürlich nichts.“
„Ich kann ja später bei dir vorbeischauen.“
„Aber komm nicht mit leeren Händen“, zwitscherte Anita fröhlich und setzte ihren Weg fort.
Nur kurz unterbrach Nina ihre Arbeit, um Anita zu winken, als sie mit ihrem Wagen vorbeifuhr, dann knöpfte sie sich den gepimpten Smart weiter vor. Aber der Wagen sah aus, als wäre er nur kurz davor gründlich gereinigt worden.
Nina zog sich den rechten Handschuh runter, dann ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die dritte Nummer auf ihrer Kurzwahlliste. „Oliver?“, fragte sie nach, kaum, dass sie am anderen Ende der Leitung ein genervtes Seufzen vernommen hatte. „Ja … es gibt tatsächlich eine Leiche. Du … frag mal nach, wer alles am Karl-Benz-Weg 27 gemeldet ist und finde raus, wo man die Leute antreffen oder erreichen kann … Chantal Beauty … Ne, die heißt wirklich so. Bitte zügig und – danke schon mal“, legte sie auf und drehte sich den Stimmen nach um. „Habt ihr was gefunden?“, zog sie sich den zweiten Handschuh runter und blickte zu den Männern hoch, die inzwischen ihre Overalls geöffnet und sich die Kapuzen von den Köpfen gezogen hatten.
„Nur etwas gewöhnlichen Straßendreck. Auf den ersten Blick der gleiche, wie auf ihren Schuhsohlen. Sie kann ihn also selbst reingeschleppt haben.“
„Und sonst nichts?“, klang sie enttäuscht.
„Etwas Sand auf der Türschwelle. Sonst nix – das Haus ist schon beinahe steril“, entgegnete ein anderer.
Nina blickte zurück zu dem Wagen. „Eine Schönheit mit Putzfimmel?“, hatte sie auch schon die erste Theorie parat.
„Das musst du rausfinden.“
„Tja …“, begab sie sich erneut zum Haus, streifte ihre Schuhe an der My-home-is-my-castle-Matte ab und betrat das Heim der toten Schönheit.
2
„Mit Sojamilch und ohne Zucker“, reichte sie ihr den Becher einer bekannten Café-Kette. „Und, was kriege ich von dir?“
Anita warf die benutzten Handschuhe quer durch den gesamten Raum und versenkte sie wie ein Basketballspieler im Mülleimer.
„Wie ich schon gesagt habe: Unsere wunderschöne Chantal wurde erwürgt. Dafür sprechen die typischen Einblutungen ins Gewebe und die Quetschung der Luftröhre. Der Täter kam von vorne“, zeichnete sie, da sie keine Handschuhe mehr trug, aus Entfernung die Blutergüsse mit dem Finger nach und hob den Kopf hoch, da die Tür von neuem aufgemacht wurde.
„Das heißt, sie hat den, der ihr das angetan hat, gesehen und womöglich sogar selbst ins Haus gelassen. Wir suchen eventuell nach jemanden, den sie kannte. Eifersucht?“, lieferte Sheriff gleich die erste Theorie.
„Möglich“, schlug Anita das Tuch auf und offenbarte Chantals Geheimnis. „Fragt sich nur, ob auf jemanden oder auf etwas?“
„Wow“, platzte aus Sheriff heraus.
Sogar Nina ließ sich zu einem lauten Pfiff hinreißen. „Das erweitert den Kreis der Verdächtigen um einiges“, betrachtete sie das stattliche – männliche Geschlechtsteil, ehe es Anita wieder bedeckte. „Das heißt, unsere Chantal war nicht von Natur aus so …“
„Bildschön?“, kam ihr Sheriff zuvor.
„Ja, genau – bildschön“, sagte Nina, ein wenig – nicht gekränkt, aber auf jeden Fall verstimmt.
„Also das …“, zeigte Anita mit dem Finger auf die Wölbung unter dem Tuch. „… war vom Gott gegeben. An den Rest hat der Schönheitschirurg oft genug Hand angelegt.“
„Ein weiterer Verdächtige also – oder sogar mehrere, falls nicht nur einer an dieser Gesamtkomposition beteiligt war.“
„Etwas erschaffen, um es dann zu töten?“, wunderte sich Anita.
„Diese Perfektion hat bestimmt genug Kohle gekostet. Vielleicht hatte …“, war sich Nina bei dem Geschlecht plötzlich nicht mehr so sicher. „… blieben ein paar Rechnungen offen“, spekulierte sie. „Andererseits – von einer … einem Toten kriegt man kein Geld mehr und aus dem Haus wurde nichts entwendet. Zumindest nicht auf den ersten Blick.“
„Ach ja, das war das richtige Stichwort. Oliver lässt ausrichten – Chantal wohnte alleine.“
„Kein Freund oder Freundin?“
„Nicht gemeldet.“
„Heißt für uns – Nachbarn abklappern“, stöhnte Nina und machte sich langsam auf den Weg.
„Bildschön?“, ließ sie sich auf den Beifahrersitz plumpsen.
„Du musst doch selbst zugeben, dass der Typ sogar tot wie mit Photoshop bearbeitet aussieht.“
„Typ?“
„Wie Anita gesagt hat – vom Gott gegeben.“
„Vielleicht hat dieser Gott bei Chantals Zeugung einen schlechten Tag gehabt? Die zwei Hände voll Oberweite waren bestimmt nicht als modisches Accessoire gedacht.“
„Stehen hier jetzt meine Ansichten auf dem Prüfstand oder wie?“, lachte er beinahe so verhöhnend wie Milan, wenn sie ihn mal kritisierte.
Nina überlegte eine Weile. Seine längst überholte Einstellung war allerdings nicht der Gegenstand ihrer Überlegungen.
„Wird sie uns bei der Lösung dieses Falles behindern? Deine Einstellung?“, erkundigte sie sich.
„Nicht, wenn du in Betracht ziehst, dass es jemand gewesen sein kann, der sich daran störte, weil man Gottes Werk so grundlegend veränderte. Das ist, als würde man aus einem Auto eine Küchenmaschine machen.“
„Störte?“, störte sie sich schon mal an der sonderbaren Ausdrucksweise.
Sheriff schmunzelte siegessicher.
„Wozu ein Auto in der Garage stehen haben, wenn man es nie fährt, dafür aber leidenschaftlich Kuchen bäckt und keine Küchenmaschine hat?“
„Ts!“, prustete er entsetzt.
„Fahr rechts ran“, deutete sie zu einer Parklücke. Nachdem er am Straßenrand stehen geblieben war, stieg sie aus und beugte sich runter, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Finde raus, wo all die operativen Eingriffe gemacht wurden. Solltest du recht haben, schwebt womöglich ein weiteres Leben in Gefahr.“ Nina schlug die Tür zu und lief dem Bus hinterher, der eben in die Stationsbucht reingefahren war.
Nina folgte mit ihrem Blick dem Dienstwagen, bis er im Verkehr verschwand. Dann kehrte sie gedanklich in sich hinein, aber anstatt sich Dingen klar zu werden, die seit dem Fund der Leiche an ihr nagten, fand sie eine gähnende Leere vor. Ratlos lehnte sie den Kopf an die Scheibe, doch gleich nachdem sie das Rütteln vernahm, setzte sie sich wieder gerade auf, weil sie befürchtete, sonst einschlafen zu können.
„Die Weißnix’s und die Kennnicht’s, fehlen nur noch die Ich-weiß-was-aber-ich-sag-nix’s“, brummte sie gelangweilt und klopfte an die nächste Tür.
„Ja“, erschien der Hausbesitzer nur mit einem Handtuch um die Lenden in der Tür.
„Kriminalpolizei Nina Glück“, zeigte sie ihm die Marke.
„Aber – hallo“, lehnte er sich lasziv an den Türrahmen und zwinkerte sie an.
„Hm?“, musterte sie sich, nachdem er sie gemustert hatte.
„Falls Sie Handschellen dabei haben, bin ich für jede Schandtat zu haben.“
„Diese blöde Anmache wäre mir tatsächlich eine Ohrfeige wert. Also was jetzt – das volle Programm auf dem Revier, oder ein vernünftiges Gespräch hier und jetzt?“
„Kommen Sie rein. Ich ziehe mir nur schnell was über.“
„Gute Idee“, kam sie der Einladung nach.
3
„Sie wissen schon, dass das ein Kerl war?“, nahm sie im Haus Nummer 5 ein älterer Herr in Empfang.
„Ja – ist uns bekannt. Und – wie haben Sie davon erfahren?“
„Er … Sie … Ach – das war von Anfang an kein Geheimnis. Er … Also sie war zu Ostern vor zwei Jahren in das Haus dort drüben eingezogen. Ein paar Tage später ist sie mit einem Kuchentablett von Haustür zu Haustür gezogen. Auf gute Nachbarschaft – Sie verstehen.“
„Und, war die Nachbarschaft gut?“
„Ja – sie war ruhig. Trotz, dass sie so jung war. Keine Partys, kein nächtliches Hupen vor der Tür, wie bei manch anderen. Schon gar nicht Streit.“
„Wow“, staunte Nina. „Kein Grillen im Garten?“
„Doch – aber da waren wir alle eingeladen und da es genug Steaks und Bier für jeden gegeben hat …“, lachte er, während er sich den runden Bauch streichelte.
„Und – niemand störte sich daran, dass es sich um eine transgender lebende Person handelte?“
„War nett anzusehen – sogar im Bikini. Davon“, kreiste er mit der Hand rund um sein bedecktes Gemächt, „… war dabei nix zu erkennen.“
„Haben Sie auch genau hingesehen?“
„Na klaro!“
„Na – wenn Sie schon so genau nachgesehen haben. Gab es einen Freund? Oder eine Freundin?“
„Ne“, schüttelte er sogar den Kopf. „Also – sie hatte schon Freunde und Bekannte. Aber so, wie Sie das meinen“, schüttelte er erneut den Kopf. „Wohl noch nicht den Richtigen gefunden.“
„Wohl den Falschen“, bemerkte Nina und verabschiedete sich, um zurück zum Tatort zu kehren.
Eine Weile stand sie neben dem pinken Kleinwagen und versuchte sich vorzustellen, wie Chantal den ersten Korb ins Haus trug und wieder zum Auto zurückkehrte, um den zweiten abzuholen …
Nina klatschte mit der Hand auf das Dach des Autos und eilte zum Haus. Der schmale Vorgarten war schnell durchquert. Mit dem passenden Schlüssel vom Schlüsselbund, den sie immer noch in der Jackentasche trug, riss sie das Siegel auf und sperrte die Tür auf. Dann ging sie in die Hocke und sammelte die Sachen auf, die sich bestimmt in dem umgekippten Einkaufskorb befunden hatten.
„Nach einer Grillparty sieht das nicht aus. Wohl eher nach einem veganen Treffen“, murmelte sie und schmunzelte bei dem Gedanken, wie ihr Sohn reagieren würde, wenn sie mit solchem Einkauf nach Hause käme. Dann nahm sie einen der Äpfel wieder heraus, wischte ihn an der Hose ab, bis er zu glänzen anfing und biss ab. Mit dem Apfel in der einen und dem Korb in der anderen Hand betrat sie von neuem das Haus und trug den Einkauf in die Küche. Nachdem sie den Inhalt des anderen Korbes durchgesehen hatte, knöpfte sie sich den Kühlschrank und die Vorratskammer vor.
Nach den Lebensmitteln widmete sie sich den Klamotten, den Hygieneartikeln und anschließend der Einrichtung.
4
„Pst.“
Nina blieb stehen, musterte zuerst ihre Hose, dann die Schuhe und kontrollierte schließlich ihre Taschen.
„Pst“, erreichte sie, als sie gerade den ersten Schritt setzte.
„Pst“, entdeckte sie einen Finger, der in dem dunklen Durchgang zur Kaffeeküche steckte und sie mit einer eindeutigen Bewegung zu sich lockte.
„Hast du dein Verlangen nicht mehr im Griff, oder was soll das hier werden?“, fauchte sie ihren Chef an, doch der legte sich zuerst den Finger über die Lippen, dann die ganze Hand und versuchte sie schließlich mit wilder Gestikulation der anderen Hand zum Schweigen zu bewegen.
Nachdem sie endlich verstummte, sah er nach, ob sie unbemerkt geblieben waren, und seufzte laut, worauf er sich sogleich wieder die Hände über den Mund legte.
„Was ist los? Ist dir was nicht bekommen?“, fauchte sie von neuem – jedoch flüsternd.
„Du hast ja in ein paar Wochen die Anhörung.“
„Ja, aber ich denke, nach Milans Verhaftung …“
„Halte dich bitte, was Ona angeht, zurück.“
„Was?“, wurde sie lauter, worauf er sofort wieder die Arme hob, doch ehe er damit zu wedeln anfangen konnte, ging sie mit ihren Händen dazwischen, bis sie schlussendlich mit den Händen umher schlugen, als würden sie sich prügeln. „Was ist los, Oskar!“, brüllte sie ihn an.
Der Mann steckte sofort die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich an die Wand, aber bevor er zu sprechen begann, sah er von neuem nach, ob sie immer noch unentdeckt geblieben waren. „Man will dir ordentlich auf den Zahn fühlen.“
„Und deshalb machst du so einen Aufstand?“
„Nimm es nicht auf die leichte Schulter.“
„Das ist eine Kommission und keine Inquisition“, belehrte sie ihn.
„Bist du dir sicher?“, erreichten sie Schritte, worauf er fluchtartig die kleine Kochnische verließ.
Nina wartete noch einen Moment, ob er zurückkehren würde. Aber nachdem die Schritte sich wieder entfernten, kehrte lediglich die Ruhe ein und so holte sie ihre Tasse aus dem Schrank und füllte sie randvoll mit kaltem Wasser, um es gleich wieder in den Abfluss zu schütten und die Tasse zurück zu räumen.
„Na dann …“, verließ sie ebenso die winzige Küche und begab sich zu ihrem Büro, nur um am halben Wege auf Sheriff zu treffen.
„Fallbesprechung beim Chef“, eilte er auch schon weiter.
„O-kay“, staunte sie über Sheriffs plötzlichen Arbeitseifer, machte auf der Stelle kehrt und ging ihm nach.
„Also – zum Stand der Ermittlungen“, startete er den Bericht noch ehe die Tür ganz offen stand.
„Was?“, hob Oskar den Kopf hoch, während er auf allen vieren am Boden hockte. Ihm war die Kontaktlinse herausgefallen und noch hegte er die Hoffnung, sie wieder zu finden.
„Also …“, kam Sheriff bis zum Tisch, räumte ihn, ohne zu fragen, leer und setzte sich dann, statt auf einen der Stühle, auf die Tischkante.
„Und – was ist der Stand deiner Ermittlung?“, fragte Nina, die in der offenen Tür stehen geblieben war, sich an den Rahmen lehnte und die Arme vor der Brust kreuzte.
„Bescheiden“, hob er sogleich den Finger hoch. „Vorläufig. Der Name ist in allen Schönheitskliniken unbekannt, also habe ich ein Foto verschickt und warte noch die letzten Antworten ab. Vielleicht hat er sich unter einem falschen Namen eingetragen.“
„Er?“, fragte Oskar.
„Sie wird nicht um eine Namensänderung angesucht haben, um dann erst mit einem falschen Namen wo einzuchecken“, brummte Nina und kam langsam näher.
„Und womit kannst du aufwarten?“, spottete er.
„Wir sollten die Suche außerhalb der Nachbarschaft ausweiten.“
„Wieso? Ist das etwa ein Trans-Viertel?“, war er verdutzt.
„Wie?“, funkte Oskar wieder dazwischen.
„Nein, aber es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass es jemand von den Nachbarn war. Chantal war beliebt. Niemand und das ist wirklich erwähnenswert – niemand hat ein böses Wort über sie gesagt.“
„Und das kaufst du ihnen ab?“
„Warum nicht?“
„Weil niemand mit Absicht den Verdacht auf sich lenken will!“
„Jemand, der sie wegen ihrer transgender Lebensweise umgebracht hat, wird sie nachher nicht als Bereicherung und liebenswürdigen Menschen bezeichnen.“
„Okay, jetzt bin ich im Bilde“, brummte Oskar.
„Echt jetzt?“, quiekte Sheriff. Allerdings galt seine Frage nicht dem Chef, sondern seiner Kollegin. „Willst du etwa mit solchen Argumenten vor der Kommission bestehen?“
„Veranstaltest du deshalb dieses Theater?“, entgegnete sie ruhig.
„Theater? Wenigstens jetzt solltest du dich an die Vorschriften halten. Oder soll dir die Decke endgültig auf den Kopf fallen?“
Nina beugte sich vor. „Ist dir was auf den Kopf gefallen, oder ist das etwa eine Fieberblase?“, betrachtete sie die minimale Unebenheit auf seiner Oberlippe.
„Ja“, wollte er sich schon mit dem Daumen drüberstreichen, verkniff sich das dann im allerletzten Augenblick. „Die kriege ich immer zu dieser Jahreszeit.“
„Solltest was dagegen unternehmen“, bemerkte sie besorgt.
„Ich hab noch nichts gefunden, was dauerhaft … Konzentrieren wir uns auf das hier“, klatschte er mit der Hand auf die leergeräumte Tischplatte.
„Chantal ließ alle Eingriffe im Ausland machen.“ Nina holte ein zusammengerolltes Heft aus der Jackentasche. „Vorwiegend in Thailand, aber auch in der Türkei“, warf sie das Heft den Männern vor die Nase. „Sechs Eingriffe in den letzten zwei Jahren. Im Winter ließ sie sich operieren, im Sommer drehte sie TS-Pornos. Damit finanzierte sie wohl nicht nur die OPs, sondern auch ihr Heim, das Auto und was noch so anfiel.“
„Ganz schön geschäftstüchtig für …“, hielt er das Heft in den Händen und blätterte darin.
„Vierundzwanzig?“, hakte Nina nach. „Die Sängerin war ihr Vorbild. Also – für die Schönheitschirurgie. Drum kam sie mir so bekannt vor.“
„Na – vielleicht hat es einer der netten Nachbarn rausgefunden und sie dann nicht mehr für so bereichernd und liebenswürdig gefunden?“, hing Sheriff an seiner Theorie fest.
„Vielleicht hat es wirklich einer rausgefunden und hatte Lust bekommen, ein paar Szenen mit ihr nachzuspielen? Hm? Als Alternative zu deiner Moralapostel-Theorie, oder?“
Sheriff holte tief Luft und als sie schon mit einer lautstarken Argumentation rechnete, pustete er diese lediglich raus. „Möglich. Und – wie willst du das rauskriegen?“
„Da wir nicht Hausdurchsuchungen für ein ganzes Viertel beantragen können …“ Nina seufzte. „Erstmal schauen, ob die Filme hierzulande erhältlich sind. Hat sich das jemand aus dem Ausland zukommen lassen – sehe ich kaum Möglichkeiten, ihn zu finden. Also zurück zum Tatort und von neuem nach Spuren suchen.“
5
„Vielleicht sollten wir doch die Hausdurchsuchung für – na, zumindest diese Straße bewirken“, bemerkte Sheriff, nachdem sie hinter allen Vorhängen Bewegungen vernommen haben.
„Mach es – wenn du denkst, es bringt was. Und bis du den Beschluss bekommst, sehen wir uns hier drin um. Einverstanden?“
„Hier ist Sand“, deutete er auf die Türschwelle. „Hast du den etwa übersehen?“, blieb er noch vor der Türschwelle stehen.
Nina blieb nur einen Schritt weiter als er stehen, drehte sich zu ihm um, aber richtete den Blick an seiner Schulter vorbei zur Straße. Es war nicht der gleiche Ausblick, wie von der Tür ihres Elternhauses, aber doch weitaus schöner, wie aus dem vierten Stock einer Plattenbausiedlung.
„Der Sand stammt weder aus dem Vorgarten, noch von der Straße. Allerdings haben wir sowohl im Vorgarten, wie auch auf dem Gehweg Spuren davon gefunden. Wir können also genau bestimmen, auf welchem Wege dieser hergetragen wurde.“
„Im Profil der Schuhsohle?“
„Wenn niemand eine Spur wie Hensel und Gretel gelegt hat, dann ist das anzunehmen. Allerdings sind alle von Chantals Schuhsohlen spiegelglatt“, ging sie zur Garderobe und hob gleich mehrere Paare High Heels hoch, um ihm die Sohlen zu zeigen. „Ich habe den Schuhabtreter absaugen lassen.“
„Und?“
„Der überschaubaren Ausbeute nach machte sie es regelmäßig.“
„Was – die Türmatte absaugen?“
„Ja“, sagte sie mit ernster Stimme, obwohl er amüsiert kicherte. „Es ist kaum etwas in dem Beutel gelandet. Die Spurensicherung hatte dennoch ihr Vergnügen gehabt, aber auf der Matte kein einziges Sandkorn vorgefunden.“
„Der Täter war also ein Dreckschwein.“
„Das war er so oder so. Aber …“, sie legte die Schuhe zurück und begab sich wieder vor die Haustür. „Der eine Einkaufskorb stand bereits in der Küche. Der andere lag hier, neben dem Eingang. Der Inhalt war zerstreut, die Äpfel angeschlagen. Und da hier alles perfekt ist, gehe ich davon aus, dass sie kein Obst mit braunen Flecken gekauft hat. Und da diese Flecken ziemlich groß und nicht nur oberflächlich waren, stand der Korb wohl nicht am Boden und wurde lediglich umgekippt. Er war ihr eher aus der Hand gefallen oder gerissen und zu Boden geschmissen worden.“
„Na ja, dass der Typ nicht an ihrer Tür angeklopft hat, um seine Tat vorher anzukündigen, ehe er ihr die Hände auf den Hals legte, war anzunehmen.“
„Er hat ihr aber auch nicht in einem Gebüsch aufgelauert – denn …“, deutete sie um sie herum.
„Kein Gebüsch“, bemerkte er die bunten Blumenbeete, die jedoch viel zu niedrig waren, als, dass sich jemand darin hätte verstecken können.
„Der Spur des Sandes nach hat er sich entweder in einem Wagen oder zwischen den Autos versteckt und war ihr nachgelaufen.“
„Lange Schritte, was?“
„So is’es.“
„Bei all den Neugierigen …“, deutete er zu den Fenstern, wo sich bei manchen jetzt noch der Vorhang bewegte und ihnen den Eindruck vermittelte, dass sie immer noch unter Beobachtung standen.
„Ich habe schon gefragt. Niemanden ist was aufgefallen. Es gibt hier weit und breit keinen Spielplatz und niemand rund herum hat in seinem Garten eine Sandkiste stehen.“
„Der Sand lässt dir wohl keine Ruhe.“
„Nein. Zudem ist das die einzige Spur, die wir haben.“
„Und?“
„Also – es könnte sein, dass der Täter mit dem Auto kam, es in einer Seitengasse abgestellt hat und hierher gelaufen ist. Also – zumindest die letzten paar Meter gelaufen ist.“
„Wie kommst du darauf?“
„Der Sand saß in den Rillen des Sohlenprofils fest. Beim Laufen jedoch …“
„Erschütterungen, die den Sand dazu brachten, raus zu rieseln. Ich verstehe … Du hältst daran fest, dass es wer von außerhalb war.“
„Ich hänge nicht daran fest, ich deute nur die Beweise.“
„Und – wie deutest du das hier?“, streckte er die Arme nach ihr aus, legte ihr die Hände an die Taille und zog sie zu sich.
„Dass du deine Viren verbreiten möchtest?“, drückte sie ihn von sich und flüchtete sich weiter ins Haus hinein.
„Ich dachte, wir wären so weit, um Dinge miteinander zu teilen?“
„Nur, weil du dein Auto in der Garage meines Hauses parken wolltest, müssen wir noch lange nicht im Partnerlook herumlaufen“, tippte sie sich an die Oberlippe.
„Apropos, deine Garage …“, folgte er ihr in die Küche.
„Die Äpfel sind der Wahnsinn“, murmelte sie mit vollem Mund.
„Du isst gerade ein Beweisstück!“, verlor er kurz die Fassung.
„Die halten sich schließlich nicht ewig. Und Lebensmittel sind kostbar. Und der da ist ja sowas von lecker“, geriet sie regelrecht in Ekstase.
„Ist doch nur ein Apfel“, griff er ebenso in den Korb und …
„Wenn du die nicht wäschst, brauchst dich nicht wundern, wenn deine Lippen blühen.“
„Als ob …“, stockte er kurz und biss dann doch rein, ohne ihn gewaschen zu haben.
„Du hast doch keine Ahnung, wo die herkommen und ob sie nicht mit irgendeinem Dreck gespritzt wurden …“, stockte sie selbst, kam dem Korb näher und fing an, erneut darin zu stöbern. „Das sieht nach einem dieser türkischen Märkte aus. Sowas kriegt man nicht im gängigen Supermarkt.“
„Und?“, zuckte er mit den Schultern.
„Wenn es keiner von ihrer Nachbarn ist – ist er ihr vielleicht von diesem Markt nachgefahren. Ich werde mich mal in der Gegend umsehen“, aß sie den Apfel fertig und wollte den Kern schon in den Müll werfen, als ihr auffiel, dass dieser leer war. „Nach dem Termin bei meiner Anwältin“, riss sie ein Blatt von der Küchenrolle ab und wickelte den Kern darin ein, um ihn mitzunehmen und unterwegs zu entsorgen.
„Bereitest du dich doch noch für die Anhörung vor? Oskar befürchtete, du würdest es nicht ernst genug nehmen.“
„Die Anwältin soll meinen Ex aus meinem Haus rausbekommen. Und – ich nehme die Anhörung sehr ernst, auch wenn ich deshalb nicht in Panik gerate und ebenso keine schlaflosen Nächte bekomme“, ging sie ein paar Schritte, dann kehrte sie zurück, stibitzte sich noch einen Apfel aus dem Korb und ließ ihn schließlich alleine zurück.
*
„Sagen Sie mir, dass es sich gelohnt hat, die Rechtsschutzversicherung weiter einzuzahlen“, reichte sie der Anwältin die Hand.
„Ich habe Ihnen geraten, ihm kein Wohnrecht einzuräumen.“
„Haben Sie. Ebenso haben Sie gesagt, dass sich das Verfahren andernfalls noch Wochen, wenn nicht gar Monate ziehen könnte.“
„Eine starke Frau wie Sie hätte die paar Tage bestimmt auch noch durchgehalten.“
„Ich fühlte mich aber nicht stark genug, um das durchzuziehen.“
„Dann hoffe ich sehr, dass Sie es jetzt sind. Denn das werden Sie sein müssen … Ihr Exmann hat Sie angezeigt.“
Nina blieb die Luft weg. „Ich glaube, ich muss mich setzen.“
„Möchten Sie ein Glas Wasser?“
„Ja, unbedingt.“
Die Anwältin schüttete etwas von dem Inhalt der Glaskaraffe ins Glas und reichte ihr dieses. „Er klagt auf Schadenersatz. Wegen der zerschlagenen Scheiben und noch anderer Sachen, die bei dem Einsatz zu Bruch gegangen sind.“
„Mich persönlich?“
„Und nicht nur das. Er klagt zudem auf unterlassene Hilfeleistung.“
„Wie bitte?“, nahm sie gleich noch einen zweiten Schluck.
„Also, um es wortwörtlich zu wiedergeben – Sie hätten sich geweigert, irgendetwas zu unternehmen …“
„Es wäre echt besser gewesen, er hätte ihn erschossen“, seufzte Nina, stellte das Glas am Boden ab und bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen.
„Ich rate Ihnen, dies vor der Richterin nicht unbedingt zu erwähnen.“
„Wieso nicht? Es klingt danach, als hätte ich verloren, noch ehe die Verhandlung angefangen hat.“
„Geben Sie die Hoffnung nicht auf.“
„Hoffnung? Seit ich von der Schwangerschaft erfahren habe, habe ich gehofft, es würde … Irgendwas würde besser, schöner oder einfach nur fröhlicher wenden. Es kann doch nicht sein, dass mein Sohn bis in alle Ewigkeiten dafür gestraft wird, weil ich seinen Vater damals geheiratet habe. Sie finden, ich hätte damals durchhalten sollen? Hätte ich schon damals darauf bestanden, dass er auszieht, hätte er mich auf Unterhalt geklagt. Damit hat er mir nämlich gedroht und wie man sieht … Wie hätte ich das stemmen sollen? Es gab Tage, da nahm ich mit Freude die Einladungen zu Spielfreunden an, damit mein Kind was Warmes zum Essen bekam. Und war dankbar, weil es in der Nachbarschaft ältere Jungs gab, die uns die Klamotten geschenkt haben, aus denen sie rausgewachsen waren.“
„Heben Sie sich Ihren Zorn für die Verhandlung auf. Aber bleiben Sie sachlich, Frau Glück.“
Glück im Spiel
im Spiel
© 2020 Zoe Zander
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Das Buch
Die bevorstehende Anhörung lässt Kriminalkommissarin Nina Glück hoffen, den Schandfleck aus ihrer Vita bald ausradiert zu bekommen. Nicht einmal der neue Fall kann ihre Vorfreude mindern.
Geheimnisse aufzudecken gehört zu ihrem Beruf. Und nicht nur einmal versetzte sie ein solches in Alarmbereitschaft. Doch diesmal hat die Entdeckung nichts mit ihrem aktuellen Fall zu tun …
Mehr Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Liebe
Du hast nichts unversucht gelassen,
mir die Wahrheit zu vermitteln,
aber ich wollte sie nicht hören.
Doch, seit ich diese kenne,
bekomme ich die Auswirkungen
all der Lügen zu spüren.
Dennoch wolltest du mich schützen.
Dieses Spiel hast du allerdings verloren,
und ich frage mich, was passiert wäre,
wenn – ich mehr Mut bewiesen
und die neuartige Zweisamkeit getauscht
hätte gegen meine gewohnte Leere.
All diese Zeit sehnte ich mich nach dir,
nach unseren inhaltvollen Gesprächen
und vor allem nach deinem Lachen.
Und jetzt, wo du da bist, ertrage ich deine Nähe nicht,
weil sie mich an Gefühle erinnert,
die mir seit jeher Angst machen.
Zoe Zander
1
Nina klopfte auf den hölzernen Türrahmen, um auf sich aufmerksam zu machen. „Was hast du für mich?“, rief sie der Gerichtsmedizinerin zu und wartete das Nicken der Spurensicherung ab, erst dann trat sie über die Türschwelle.
„Eine wahre Schönheit“, seufzte Anita und schob der toten Frau die Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht.
„Wow“, entging Nina. „Das ist mein bisher bestaussehendes Opfer“, kam sie noch näher, ohne sich über die Leiche zu beugen.
Anita war mit ihrer Arbeit noch nicht fertig und sie konnte ziemlich ungemütlich werden, wenn man ihr dabei in die Quere kam.
„Einbruchsspuren?“, wendete sich Nina an die Kollegen der Spurensicherung.
„Die Tür stand sperrangelweit offen …“
„Draußen habe ich einen umgekippten Einkaufskorb gesehen“, bemerkte Nina.
„In der Küche steht auch einer“, deutete eine der weißen Gestalten zu einer der Innentüren.
„Dann gehört der Smart mit offenem Kofferraum wahrscheinlich ihr“, resultierte Nina und kehrte zurück vor das Haus, um den Wagen am Straßenrand näher in Augenschein zu nehmen.
„Ist das eine von diesen B-Promis?“, fragte Nina, als sie Anita auf dem Heimweg erblickte.
„B-Promis?“, kam ihr diese näher.
„Bloggerin oder Influencer – sie kommt mir bekannt vor …“
„Gott – ich dachte, nur mir geht es so“, stöhnte die Gerichtsmedizinerin, während sie neben dem Wagen stehen blieb und Nina dabei zusah, wie sie in seinem Inneren stöberte.
„Sieht aus, wie mit Zuckerguss überzogen“, lästerte sie über die pinke Lackierung. „Weiße Ausstattung, goldene Verzierungen, ein richtiges Girlieauto.“
„Woher willst du was über Girlies wissen?“, wunderte sich Anita.
„Auch wieder wahr. Aber so viel ist sicher – diese Karre hat mit Garantie ein Vermögen gekostet“, klappte sie die Sonnenblende runter, worauf ihr der Führerschein und die Fahrzeugpapiere entgegen fielen. „Chantal Beauty“, keuchte Nina, nur knapp um einen Lachanfall herumgekommen.
„Also der Name sagt mir rein gar nichts, aber …“
„Nicht unsere Welt.“
„Nein“, entgegnete Anita, auch wenn sie, zumindest beim Kleidungsstil, frisurtechnisch und beim Make-up weit mehr mit der jungen Frau gemeinsam hatte, als Nina.
„Kennst du schon die Todesursache?“
„Die Spuren sind eindeutig – sie wurde stranguliert. Ob ihr noch andere Verletzungen zugefügt wurden, kann ich dir erst nach der Obduktion sagen.“
„Vergewaltigt?“
„Die Kleidung schien unberührt, aber das heißt natürlich nichts.“
„Ich kann ja später bei dir vorbeischauen.“
„Aber komm nicht mit leeren Händen“, zwitscherte Anita fröhlich und setzte ihren Weg fort.
Nur kurz unterbrach Nina ihre Arbeit, um Anita zu winken, als sie mit ihrem Wagen vorbeifuhr, dann knöpfte sie sich den gepimpten Smart weiter vor. Aber der Wagen sah aus, als wäre er nur kurz davor gründlich gereinigt worden.
Nina zog sich den rechten Handschuh runter, dann ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die dritte Nummer auf ihrer Kurzwahlliste. „Oliver?“, fragte sie nach, kaum, dass sie am anderen Ende der Leitung ein genervtes Seufzen vernommen hatte. „Ja … es gibt tatsächlich eine Leiche. Du … frag mal nach, wer alles am Karl-Benz-Weg 27 gemeldet ist und finde raus, wo man die Leute antreffen oder erreichen kann … Chantal Beauty … Ne, die heißt wirklich so. Bitte zügig und – danke schon mal“, legte sie auf und drehte sich den Stimmen nach um. „Habt ihr was gefunden?“, zog sie sich den zweiten Handschuh runter und blickte zu den Männern hoch, die inzwischen ihre Overalls geöffnet und sich die Kapuzen von den Köpfen gezogen hatten.
„Nur etwas gewöhnlichen Straßendreck. Auf den ersten Blick der gleiche, wie auf ihren Schuhsohlen. Sie kann ihn also selbst reingeschleppt haben.“
„Und sonst nichts?“, klang sie enttäuscht.
„Etwas Sand auf der Türschwelle. Sonst nix – das Haus ist schon beinahe steril“, entgegnete ein anderer.
Nina blickte zurück zu dem Wagen. „Eine Schönheit mit Putzfimmel?“, hatte sie auch schon die erste Theorie parat.
„Das musst du rausfinden.“
„Tja …“, begab sie sich erneut zum Haus, streifte ihre Schuhe an der My-home-is-my-castle-Matte ab und betrat das Heim der toten Schönheit.
2
„Mit Sojamilch und ohne Zucker“, reichte sie ihr den Becher einer bekannten Café-Kette. „Und, was kriege ich von dir?“
Anita warf die benutzten Handschuhe quer durch den gesamten Raum und versenkte sie wie ein Basketballspieler im Mülleimer.
„Wie ich schon gesagt habe: Unsere wunderschöne Chantal wurde erwürgt. Dafür sprechen die typischen Einblutungen ins Gewebe und die Quetschung der Luftröhre. Der Täter kam von vorne“, zeichnete sie, da sie keine Handschuhe mehr trug, aus Entfernung die Blutergüsse mit dem Finger nach und hob den Kopf hoch, da die Tür von neuem aufgemacht wurde.
„Das heißt, sie hat den, der ihr das angetan hat, gesehen und womöglich sogar selbst ins Haus gelassen. Wir suchen eventuell nach jemanden, den sie kannte. Eifersucht?“, lieferte Sheriff gleich die erste Theorie.
„Möglich“, schlug Anita das Tuch auf und offenbarte Chantals Geheimnis. „Fragt sich nur, ob auf jemanden oder auf etwas?“
„Wow“, platzte aus Sheriff heraus.
Sogar Nina ließ sich zu einem lauten Pfiff hinreißen. „Das erweitert den Kreis der Verdächtigen um einiges“, betrachtete sie das stattliche – männliche Geschlechtsteil, ehe es Anita wieder bedeckte. „Das heißt, unsere Chantal war nicht von Natur aus so …“
„Bildschön?“, kam ihr Sheriff zuvor.
„Ja, genau – bildschön“, sagte Nina, ein wenig – nicht gekränkt, aber auf jeden Fall verstimmt.
„Also das …“, zeigte Anita mit dem Finger auf die Wölbung unter dem Tuch. „… war vom Gott gegeben. An den Rest hat der Schönheitschirurg oft genug Hand angelegt.“
„Ein weiterer Verdächtige also – oder sogar mehrere, falls nicht nur einer an dieser Gesamtkomposition beteiligt war.“
„Etwas erschaffen, um es dann zu töten?“, wunderte sich Anita.
„Diese Perfektion hat bestimmt genug Kohle gekostet. Vielleicht hatte …“, war sich Nina bei dem Geschlecht plötzlich nicht mehr so sicher. „… blieben ein paar Rechnungen offen“, spekulierte sie. „Andererseits – von einer … einem Toten kriegt man kein Geld mehr und aus dem Haus wurde nichts entwendet. Zumindest nicht auf den ersten Blick.“
„Ach ja, das war das richtige Stichwort. Oliver lässt ausrichten – Chantal wohnte alleine.“
„Kein Freund oder Freundin?“
„Nicht gemeldet.“
„Heißt für uns – Nachbarn abklappern“, stöhnte Nina und machte sich langsam auf den Weg.
„Bildschön?“, ließ sie sich auf den Beifahrersitz plumpsen.
„Du musst doch selbst zugeben, dass der Typ sogar tot wie mit Photoshop bearbeitet aussieht.“
„Typ?“
„Wie Anita gesagt hat – vom Gott gegeben.“
„Vielleicht hat dieser Gott bei Chantals Zeugung einen schlechten Tag gehabt? Die zwei Hände voll Oberweite waren bestimmt nicht als modisches Accessoire gedacht.“
„Stehen hier jetzt meine Ansichten auf dem Prüfstand oder wie?“, lachte er beinahe so verhöhnend wie Milan, wenn sie ihn mal kritisierte.
Nina überlegte eine Weile. Seine längst überholte Einstellung war allerdings nicht der Gegenstand ihrer Überlegungen.
„Wird sie uns bei der Lösung dieses Falles behindern? Deine Einstellung?“, erkundigte sie sich.
„Nicht, wenn du in Betracht ziehst, dass es jemand gewesen sein kann, der sich daran störte, weil man Gottes Werk so grundlegend veränderte. Das ist, als würde man aus einem Auto eine Küchenmaschine machen.“
„Störte?“, störte sie sich schon mal an der sonderbaren Ausdrucksweise.
Sheriff schmunzelte siegessicher.
„Wozu ein Auto in der Garage stehen haben, wenn man es nie fährt, dafür aber leidenschaftlich Kuchen bäckt und keine Küchenmaschine hat?“
„Ts!“, prustete er entsetzt.
„Fahr rechts ran“, deutete sie zu einer Parklücke. Nachdem er am Straßenrand stehen geblieben war, stieg sie aus und beugte sich runter, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Finde raus, wo all die operativen Eingriffe gemacht wurden. Solltest du recht haben, schwebt womöglich ein weiteres Leben in Gefahr.“ Nina schlug die Tür zu und lief dem Bus hinterher, der eben in die Stationsbucht reingefahren war.
Nina folgte mit ihrem Blick dem Dienstwagen, bis er im Verkehr verschwand. Dann kehrte sie gedanklich in sich hinein, aber anstatt sich Dingen klar zu werden, die seit dem Fund der Leiche an ihr nagten, fand sie eine gähnende Leere vor. Ratlos lehnte sie den Kopf an die Scheibe, doch gleich nachdem sie das Rütteln vernahm, setzte sie sich wieder gerade auf, weil sie befürchtete, sonst einschlafen zu können.
„Die Weißnix’s und die Kennnicht’s, fehlen nur noch die Ich-weiß-was-aber-ich-sag-nix’s“, brummte sie gelangweilt und klopfte an die nächste Tür.
„Ja“, erschien der Hausbesitzer nur mit einem Handtuch um die Lenden in der Tür.
„Kriminalpolizei Nina Glück“, zeigte sie ihm die Marke.
„Aber – hallo“, lehnte er sich lasziv an den Türrahmen und zwinkerte sie an.
„Hm?“, musterte sie sich, nachdem er sie gemustert hatte.
„Falls Sie Handschellen dabei haben, bin ich für jede Schandtat zu haben.“
„Diese blöde Anmache wäre mir tatsächlich eine Ohrfeige wert. Also was jetzt – das volle Programm auf dem Revier, oder ein vernünftiges Gespräch hier und jetzt?“
„Kommen Sie rein. Ich ziehe mir nur schnell was über.“
„Gute Idee“, kam sie der Einladung nach.
3
„Sie wissen schon, dass das ein Kerl war?“, nahm sie im Haus Nummer 5 ein älterer Herr in Empfang.
„Ja – ist uns bekannt. Und – wie haben Sie davon erfahren?“
„Er … Sie … Ach – das war von Anfang an kein Geheimnis. Er … Also sie war zu Ostern vor zwei Jahren in das Haus dort drüben eingezogen. Ein paar Tage später ist sie mit einem Kuchentablett von Haustür zu Haustür gezogen. Auf gute Nachbarschaft – Sie verstehen.“
„Und, war die Nachbarschaft gut?“
„Ja – sie war ruhig. Trotz, dass sie so jung war. Keine Partys, kein nächtliches Hupen vor der Tür, wie bei manch anderen. Schon gar nicht Streit.“
„Wow“, staunte Nina. „Kein Grillen im Garten?“
„Doch – aber da waren wir alle eingeladen und da es genug Steaks und Bier für jeden gegeben hat …“, lachte er, während er sich den runden Bauch streichelte.
„Und – niemand störte sich daran, dass es sich um eine transgender lebende Person handelte?“
„War nett anzusehen – sogar im Bikini. Davon“, kreiste er mit der Hand rund um sein bedecktes Gemächt, „… war dabei nix zu erkennen.“
„Haben Sie auch genau hingesehen?“
„Na klaro!“
„Na – wenn Sie schon so genau nachgesehen haben. Gab es einen Freund? Oder eine Freundin?“
„Ne“, schüttelte er sogar den Kopf. „Also – sie hatte schon Freunde und Bekannte. Aber so, wie Sie das meinen“, schüttelte er erneut den Kopf. „Wohl noch nicht den Richtigen gefunden.“
„Wohl den Falschen“, bemerkte Nina und verabschiedete sich, um zurück zum Tatort zu kehren.
Eine Weile stand sie neben dem pinken Kleinwagen und versuchte sich vorzustellen, wie Chantal den ersten Korb ins Haus trug und wieder zum Auto zurückkehrte, um den zweiten abzuholen …
Nina klatschte mit der Hand auf das Dach des Autos und eilte zum Haus. Der schmale Vorgarten war schnell durchquert. Mit dem passenden Schlüssel vom Schlüsselbund, den sie immer noch in der Jackentasche trug, riss sie das Siegel auf und sperrte die Tür auf. Dann ging sie in die Hocke und sammelte die Sachen auf, die sich bestimmt in dem umgekippten Einkaufskorb befunden hatten.
„Nach einer Grillparty sieht das nicht aus. Wohl eher nach einem veganen Treffen“, murmelte sie und schmunzelte bei dem Gedanken, wie ihr Sohn reagieren würde, wenn sie mit solchem Einkauf nach Hause käme. Dann nahm sie einen der Äpfel wieder heraus, wischte ihn an der Hose ab, bis er zu glänzen anfing und biss ab. Mit dem Apfel in der einen und dem Korb in der anderen Hand betrat sie von neuem das Haus und trug den Einkauf in die Küche. Nachdem sie den Inhalt des anderen Korbes durchgesehen hatte, knöpfte sie sich den Kühlschrank und die Vorratskammer vor.
Nach den Lebensmitteln widmete sie sich den Klamotten, den Hygieneartikeln und anschließend der Einrichtung.
4
„Pst.“
Nina blieb stehen, musterte zuerst ihre Hose, dann die Schuhe und kontrollierte schließlich ihre Taschen.
„Pst“, erreichte sie, als sie gerade den ersten Schritt setzte.
„Pst“, entdeckte sie einen Finger, der in dem dunklen Durchgang zur Kaffeeküche steckte und sie mit einer eindeutigen Bewegung zu sich lockte.
„Hast du dein Verlangen nicht mehr im Griff, oder was soll das hier werden?“, fauchte sie ihren Chef an, doch der legte sich zuerst den Finger über die Lippen, dann die ganze Hand und versuchte sie schließlich mit wilder Gestikulation der anderen Hand zum Schweigen zu bewegen.
Nachdem sie endlich verstummte, sah er nach, ob sie unbemerkt geblieben waren, und seufzte laut, worauf er sich sogleich wieder die Hände über den Mund legte.
„Was ist los? Ist dir was nicht bekommen?“, fauchte sie von neuem – jedoch flüsternd.
„Du hast ja in ein paar Wochen die Anhörung.“
„Ja, aber ich denke, nach Milans Verhaftung …“
„Halte dich bitte, was Ona angeht, zurück.“
„Was?“, wurde sie lauter, worauf er sofort wieder die Arme hob, doch ehe er damit zu wedeln anfangen konnte, ging sie mit ihren Händen dazwischen, bis sie schlussendlich mit den Händen umher schlugen, als würden sie sich prügeln. „Was ist los, Oskar!“, brüllte sie ihn an.
Der Mann steckte sofort die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich an die Wand, aber bevor er zu sprechen begann, sah er von neuem nach, ob sie immer noch unentdeckt geblieben waren. „Man will dir ordentlich auf den Zahn fühlen.“
„Und deshalb machst du so einen Aufstand?“
„Nimm es nicht auf die leichte Schulter.“
„Das ist eine Kommission und keine Inquisition“, belehrte sie ihn.
„Bist du dir sicher?“, erreichten sie Schritte, worauf er fluchtartig die kleine Kochnische verließ.
Nina wartete noch einen Moment, ob er zurückkehren würde. Aber nachdem die Schritte sich wieder entfernten, kehrte lediglich die Ruhe ein und so holte sie ihre Tasse aus dem Schrank und füllte sie randvoll mit kaltem Wasser, um es gleich wieder in den Abfluss zu schütten und die Tasse zurück zu räumen.
„Na dann …“, verließ sie ebenso die winzige Küche und begab sich zu ihrem Büro, nur um am halben Wege auf Sheriff zu treffen.
„Fallbesprechung beim Chef“, eilte er auch schon weiter.
„O-kay“, staunte sie über Sheriffs plötzlichen Arbeitseifer, machte auf der Stelle kehrt und ging ihm nach.
„Also – zum Stand der Ermittlungen“, startete er den Bericht noch ehe die Tür ganz offen stand.
„Was?“, hob Oskar den Kopf hoch, während er auf allen vieren am Boden hockte. Ihm war die Kontaktlinse herausgefallen und noch hegte er die Hoffnung, sie wieder zu finden.
„Also …“, kam Sheriff bis zum Tisch, räumte ihn, ohne zu fragen, leer und setzte sich dann, statt auf einen der Stühle, auf die Tischkante.
„Und – was ist der Stand deiner Ermittlung?“, fragte Nina, die in der offenen Tür stehen geblieben war, sich an den Rahmen lehnte und die Arme vor der Brust kreuzte.
„Bescheiden“, hob er sogleich den Finger hoch. „Vorläufig. Der Name ist in allen Schönheitskliniken unbekannt, also habe ich ein Foto verschickt und warte noch die letzten Antworten ab. Vielleicht hat er sich unter einem falschen Namen eingetragen.“
„Er?“, fragte Oskar.
„Sie wird nicht um eine Namensänderung angesucht haben, um dann erst mit einem falschen Namen wo einzuchecken“, brummte Nina und kam langsam näher.
„Und womit kannst du aufwarten?“, spottete er.
„Wir sollten die Suche außerhalb der Nachbarschaft ausweiten.“
„Wieso? Ist das etwa ein Trans-Viertel?“, war er verdutzt.
„Wie?“, funkte Oskar wieder dazwischen.
„Nein, aber es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass es jemand von den Nachbarn war. Chantal war beliebt. Niemand und das ist wirklich erwähnenswert – niemand hat ein böses Wort über sie gesagt.“
„Und das kaufst du ihnen ab?“
„Warum nicht?“
„Weil niemand mit Absicht den Verdacht auf sich lenken will!“
„Jemand, der sie wegen ihrer transgender Lebensweise umgebracht hat, wird sie nachher nicht als Bereicherung und liebenswürdigen Menschen bezeichnen.“
„Okay, jetzt bin ich im Bilde“, brummte Oskar.
„Echt jetzt?“, quiekte Sheriff. Allerdings galt seine Frage nicht dem Chef, sondern seiner Kollegin. „Willst du etwa mit solchen Argumenten vor der Kommission bestehen?“
„Veranstaltest du deshalb dieses Theater?“, entgegnete sie ruhig.
„Theater? Wenigstens jetzt solltest du dich an die Vorschriften halten. Oder soll dir die Decke endgültig auf den Kopf fallen?“
Nina beugte sich vor. „Ist dir was auf den Kopf gefallen, oder ist das etwa eine Fieberblase?“, betrachtete sie die minimale Unebenheit auf seiner Oberlippe.
„Ja“, wollte er sich schon mit dem Daumen drüberstreichen, verkniff sich das dann im allerletzten Augenblick. „Die kriege ich immer zu dieser Jahreszeit.“
„Solltest was dagegen unternehmen“, bemerkte sie besorgt.
„Ich hab noch nichts gefunden, was dauerhaft … Konzentrieren wir uns auf das hier“, klatschte er mit der Hand auf die leergeräumte Tischplatte.
„Chantal ließ alle Eingriffe im Ausland machen.“ Nina holte ein zusammengerolltes Heft aus der Jackentasche. „Vorwiegend in Thailand, aber auch in der Türkei“, warf sie das Heft den Männern vor die Nase. „Sechs Eingriffe in den letzten zwei Jahren. Im Winter ließ sie sich operieren, im Sommer drehte sie TS-Pornos. Damit finanzierte sie wohl nicht nur die OPs, sondern auch ihr Heim, das Auto und was noch so anfiel.“
„Ganz schön geschäftstüchtig für …“, hielt er das Heft in den Händen und blätterte darin.
„Vierundzwanzig?“, hakte Nina nach. „Die Sängerin war ihr Vorbild. Also – für die Schönheitschirurgie. Drum kam sie mir so bekannt vor.“
„Na – vielleicht hat es einer der netten Nachbarn rausgefunden und sie dann nicht mehr für so bereichernd und liebenswürdig gefunden?“, hing Sheriff an seiner Theorie fest.
„Vielleicht hat es wirklich einer rausgefunden und hatte Lust bekommen, ein paar Szenen mit ihr nachzuspielen? Hm? Als Alternative zu deiner Moralapostel-Theorie, oder?“
Sheriff holte tief Luft und als sie schon mit einer lautstarken Argumentation rechnete, pustete er diese lediglich raus. „Möglich. Und – wie willst du das rauskriegen?“
„Da wir nicht Hausdurchsuchungen für ein ganzes Viertel beantragen können …“ Nina seufzte. „Erstmal schauen, ob die Filme hierzulande erhältlich sind. Hat sich das jemand aus dem Ausland zukommen lassen – sehe ich kaum Möglichkeiten, ihn zu finden. Also zurück zum Tatort und von neuem nach Spuren suchen.“
5
„Vielleicht sollten wir doch die Hausdurchsuchung für – na, zumindest diese Straße bewirken“, bemerkte Sheriff, nachdem sie hinter allen Vorhängen Bewegungen vernommen haben.
„Mach es – wenn du denkst, es bringt was. Und bis du den Beschluss bekommst, sehen wir uns hier drin um. Einverstanden?“
„Hier ist Sand“, deutete er auf die Türschwelle. „Hast du den etwa übersehen?“, blieb er noch vor der Türschwelle stehen.
Nina blieb nur einen Schritt weiter als er stehen, drehte sich zu ihm um, aber richtete den Blick an seiner Schulter vorbei zur Straße. Es war nicht der gleiche Ausblick, wie von der Tür ihres Elternhauses, aber doch weitaus schöner, wie aus dem vierten Stock einer Plattenbausiedlung.
„Der Sand stammt weder aus dem Vorgarten, noch von der Straße. Allerdings haben wir sowohl im Vorgarten, wie auch auf dem Gehweg Spuren davon gefunden. Wir können also genau bestimmen, auf welchem Wege dieser hergetragen wurde.“
„Im Profil der Schuhsohle?“
„Wenn niemand eine Spur wie Hensel und Gretel gelegt hat, dann ist das anzunehmen. Allerdings sind alle von Chantals Schuhsohlen spiegelglatt“, ging sie zur Garderobe und hob gleich mehrere Paare High Heels hoch, um ihm die Sohlen zu zeigen. „Ich habe den Schuhabtreter absaugen lassen.“
„Und?“
„Der überschaubaren Ausbeute nach machte sie es regelmäßig.“
„Was – die Türmatte absaugen?“
„Ja“, sagte sie mit ernster Stimme, obwohl er amüsiert kicherte. „Es ist kaum etwas in dem Beutel gelandet. Die Spurensicherung hatte dennoch ihr Vergnügen gehabt, aber auf der Matte kein einziges Sandkorn vorgefunden.“
„Der Täter war also ein Dreckschwein.“
„Das war er so oder so. Aber …“, sie legte die Schuhe zurück und begab sich wieder vor die Haustür. „Der eine Einkaufskorb stand bereits in der Küche. Der andere lag hier, neben dem Eingang. Der Inhalt war zerstreut, die Äpfel angeschlagen. Und da hier alles perfekt ist, gehe ich davon aus, dass sie kein Obst mit braunen Flecken gekauft hat. Und da diese Flecken ziemlich groß und nicht nur oberflächlich waren, stand der Korb wohl nicht am Boden und wurde lediglich umgekippt. Er war ihr eher aus der Hand gefallen oder gerissen und zu Boden geschmissen worden.“
„Na ja, dass der Typ nicht an ihrer Tür angeklopft hat, um seine Tat vorher anzukündigen, ehe er ihr die Hände auf den Hals legte, war anzunehmen.“
„Er hat ihr aber auch nicht in einem Gebüsch aufgelauert – denn …“, deutete sie um sie herum.
„Kein Gebüsch“, bemerkte er die bunten Blumenbeete, die jedoch viel zu niedrig waren, als, dass sich jemand darin hätte verstecken können.
„Der Spur des Sandes nach hat er sich entweder in einem Wagen oder zwischen den Autos versteckt und war ihr nachgelaufen.“
„Lange Schritte, was?“
„So is’es.“
„Bei all den Neugierigen …“, deutete er zu den Fenstern, wo sich bei manchen jetzt noch der Vorhang bewegte und ihnen den Eindruck vermittelte, dass sie immer noch unter Beobachtung standen.
„Ich habe schon gefragt. Niemanden ist was aufgefallen. Es gibt hier weit und breit keinen Spielplatz und niemand rund herum hat in seinem Garten eine Sandkiste stehen.“
„Der Sand lässt dir wohl keine Ruhe.“
„Nein. Zudem ist das die einzige Spur, die wir haben.“
„Und?“
„Also – es könnte sein, dass der Täter mit dem Auto kam, es in einer Seitengasse abgestellt hat und hierher gelaufen ist. Also – zumindest die letzten paar Meter gelaufen ist.“
„Wie kommst du darauf?“
„Der Sand saß in den Rillen des Sohlenprofils fest. Beim Laufen jedoch …“
„Erschütterungen, die den Sand dazu brachten, raus zu rieseln. Ich verstehe … Du hältst daran fest, dass es wer von außerhalb war.“
„Ich hänge nicht daran fest, ich deute nur die Beweise.“
„Und – wie deutest du das hier?“, streckte er die Arme nach ihr aus, legte ihr die Hände an die Taille und zog sie zu sich.
„Dass du deine Viren verbreiten möchtest?“, drückte sie ihn von sich und flüchtete sich weiter ins Haus hinein.
„Ich dachte, wir wären so weit, um Dinge miteinander zu teilen?“
„Nur, weil du dein Auto in der Garage meines Hauses parken wolltest, müssen wir noch lange nicht im Partnerlook herumlaufen“, tippte sie sich an die Oberlippe.
„Apropos, deine Garage …“, folgte er ihr in die Küche.
„Die Äpfel sind der Wahnsinn“, murmelte sie mit vollem Mund.
„Du isst gerade ein Beweisstück!“, verlor er kurz die Fassung.
„Die halten sich schließlich nicht ewig. Und Lebensmittel sind kostbar. Und der da ist ja sowas von lecker“, geriet sie regelrecht in Ekstase.
„Ist doch nur ein Apfel“, griff er ebenso in den Korb und …
„Wenn du die nicht wäschst, brauchst dich nicht wundern, wenn deine Lippen blühen.“
„Als ob …“, stockte er kurz und biss dann doch rein, ohne ihn gewaschen zu haben.
„Du hast doch keine Ahnung, wo die herkommen und ob sie nicht mit irgendeinem Dreck gespritzt wurden …“, stockte sie selbst, kam dem Korb näher und fing an, erneut darin zu stöbern. „Das sieht nach einem dieser türkischen Märkte aus. Sowas kriegt man nicht im gängigen Supermarkt.“
„Und?“, zuckte er mit den Schultern.
„Wenn es keiner von ihrer Nachbarn ist – ist er ihr vielleicht von diesem Markt nachgefahren. Ich werde mich mal in der Gegend umsehen“, aß sie den Apfel fertig und wollte den Kern schon in den Müll werfen, als ihr auffiel, dass dieser leer war. „Nach dem Termin bei meiner Anwältin“, riss sie ein Blatt von der Küchenrolle ab und wickelte den Kern darin ein, um ihn mitzunehmen und unterwegs zu entsorgen.
„Bereitest du dich doch noch für die Anhörung vor? Oskar befürchtete, du würdest es nicht ernst genug nehmen.“
„Die Anwältin soll meinen Ex aus meinem Haus rausbekommen. Und – ich nehme die Anhörung sehr ernst, auch wenn ich deshalb nicht in Panik gerate und ebenso keine schlaflosen Nächte bekomme“, ging sie ein paar Schritte, dann kehrte sie zurück, stibitzte sich noch einen Apfel aus dem Korb und ließ ihn schließlich alleine zurück.
*
„Sagen Sie mir, dass es sich gelohnt hat, die Rechtsschutzversicherung weiter einzuzahlen“, reichte sie der Anwältin die Hand.
„Ich habe Ihnen geraten, ihm kein Wohnrecht einzuräumen.“
„Haben Sie. Ebenso haben Sie gesagt, dass sich das Verfahren andernfalls noch Wochen, wenn nicht gar Monate ziehen könnte.“
„Eine starke Frau wie Sie hätte die paar Tage bestimmt auch noch durchgehalten.“
„Ich fühlte mich aber nicht stark genug, um das durchzuziehen.“
„Dann hoffe ich sehr, dass Sie es jetzt sind. Denn das werden Sie sein müssen … Ihr Exmann hat Sie angezeigt.“
Nina blieb die Luft weg. „Ich glaube, ich muss mich setzen.“
„Möchten Sie ein Glas Wasser?“
„Ja, unbedingt.“
Die Anwältin schüttete etwas von dem Inhalt der Glaskaraffe ins Glas und reichte ihr dieses. „Er klagt auf Schadenersatz. Wegen der zerschlagenen Scheiben und noch anderer Sachen, die bei dem Einsatz zu Bruch gegangen sind.“
„Mich persönlich?“
„Und nicht nur das. Er klagt zudem auf unterlassene Hilfeleistung.“
„Wie bitte?“, nahm sie gleich noch einen zweiten Schluck.
„Also, um es wortwörtlich zu wiedergeben – Sie hätten sich geweigert, irgendetwas zu unternehmen …“
„Es wäre echt besser gewesen, er hätte ihn erschossen“, seufzte Nina, stellte das Glas am Boden ab und bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen.
„Ich rate Ihnen, dies vor der Richterin nicht unbedingt zu erwähnen.“
„Wieso nicht? Es klingt danach, als hätte ich verloren, noch ehe die Verhandlung angefangen hat.“
„Geben Sie die Hoffnung nicht auf.“
„Hoffnung? Seit ich von der Schwangerschaft erfahren habe, habe ich gehofft, es würde … Irgendwas würde besser, schöner oder einfach nur fröhlicher wenden. Es kann doch nicht sein, dass mein Sohn bis in alle Ewigkeiten dafür gestraft wird, weil ich seinen Vater damals geheiratet habe. Sie finden, ich hätte damals durchhalten sollen? Hätte ich schon damals darauf bestanden, dass er auszieht, hätte er mich auf Unterhalt geklagt. Damit hat er mir nämlich gedroht und wie man sieht … Wie hätte ich das stemmen sollen? Es gab Tage, da nahm ich mit Freude die Einladungen zu Spielfreunden an, damit mein Kind was Warmes zum Essen bekam. Und war dankbar, weil es in der Nachbarschaft ältere Jungs gab, die uns die Klamotten geschenkt haben, aus denen sie rausgewachsen waren.“
„Heben Sie sich Ihren Zorn für die Verhandlung auf. Aber bleiben Sie sachlich, Frau Glück.“