Inhalt:
Nur knapp mit dem Leben davongekommen wird Kriminalkommissarin Nina Glück klar, der Lösung ihres letzten Falls kein Stückchen näher gekommen zu sein.
Statt sich zu erholen, folgt sie dem Hilferuf eines alten Freundes, der unter Mordverdacht steht. Während sie Beweismittel sammelt, um seine Unschuld zu beweisen, sucht sie weiter im Alleingang nach der vermissten Freundin ihres Chefs.
Schon bald an die eigenen Grenzen geraten sieht sie sich gezwungen, gerade den Menschen um Unterstützung zu bitten, dem sie mit allen Mitteln versucht aus dem Weg zu gehen.
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Lesen mit Buchanimation:
Lesen ohne Buchanimation:
Glück am Abgrund
© 2019 Zoe Zander
Glück am Abgrund
Kriminalroman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: zander.zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch:
Für die Gerechtigkeit der Opfer missachtet Nina Glück schon mal die Vorschriften und überschreitet Grenzen. Um hierfür Rückendeckung von ihrem Chef zu bekommen, lässt sie sich dazu überreden, im Fall seiner vermissten Freundin zu ermitteln. Was sie anfangs für ein harmloses Beziehungsproblem hält, entwickelt sich für sie bald zu einem Horrortrip.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Verloren
Führe mich in das Reich deiner Schatten,
um diesen eine Gestalt zu verleihen.
Schenke mir dein Vertrauen und
ich werde dich von deinen Ängsten befreien.
Verloren im Sumpf aus Wünschen und Gefühlen,
zeige ich dir den Weg, wenn reichst du mir die Hand.
Und übergibst du mir die Kontrolle,
helfe ich dir bei der Suche nach dem Wunderland …
Als Eintritt – ein Versprechen:
Alles, wonach man sich tut verzehren …
Da gibt es nur einen Haken:
Es geht nicht um dich, sondern um meine Begehren…
Dich einmal des Willens beraubt,
gilt nur noch mein Verlangen.
Denn einmal mein Reich betreten,
bist du in diesem auf ewig gefangen.
Zoe Zander
1
Mühsam öffnete sie die Augen. Sie war umgeben von Dunkelheit.
Wie spät?, versuchte sie zu erahnen.
Als hätte sie eine beschlagene Brille aufgesetzt – alles um sie herum war in einen milchigen Schleier getaucht. Nur langsam fand sie sich in ihrer Umgebung zurecht … Zuerst das Lenkrad, dann das Armaturenbrett.
Während der Observierung eingeschlafen?, fragte sie sich. Sie konnte sich nicht entsinnen.
Es bimmelte im Takt eines Sekundenzeigers, als würde eine unsichtbare Uhr den Countdown einläuten. Ein ohrenbetäubendes Tröten gesellte sich hinzu.
Gesoffen?, fasste sie sich an die Schläfen und bemühte erneut ihr Gedächtnis.
Nach einem unerwarteten Knall wurde sie herumgeschleudert, wie eine einsame Socke im Wäschetrockner.
2
Der Körper schlief, nur das Gehör lauschte den Geräuschen und den Gesprächen um sie herum. Die Stimmen kamen und gingen. Nur eine begleitete sie rund um die Uhr. Erst nach dem endlich Ruhe eingekehrt war, öffnete sie die Augen.
„Hi“, flüsterte jemand.
Sie betrachtete das Lächeln mitten im dichten Bart.
„Schön, dich wieder zu sehen.“
Nina wollte sich an den Kopf fassen, um das Hämmern anzuhalten. Doch ihr Körper fühlte sich an, wie in Beton gegossen. Der kleinsten Bewegung unfähig.
„Was …?“, wollte sie fragen, doch die Stimme steckte tief in ihrer Kehle fest. „Wer …?“, versuchte sie es nochmals.
Ihr Gegenüber antwortete ihrem fragenden Blick. „Ich bin’s, Oskar.“
Sie schüttelte den Kopf, um das Gefühl, als säße ein Elefant auf ihrer Stirn, abzuschütteln.
„Erkennst du mich nicht?“
Die Worte rüttelten sie wach. Konzentriert sah sie ihm in die Augen.
„Ich …“, sie presste die Lippen aneinander. Sie schmeckte eingetrocknetes Blut. In ihrer Nase hing ein unerträglicher Gestank. Im Kopf schlug ihr der Presslufthammer die Erinnerungsfragmente kurz und klein.
„Scheiße“, seufzte ihr Vorgesetzter und bedeckte sein Gesicht mit der Hand. „Scheiße“, seufzte er erneut und stand auf. Er kam auf sie zu, legte ihr seine Hand auf die bandagierte Hand. „Es tut mir so leid, Nina.“
Sie sah die Hand, die vorsichtig über den dicken Verband streifte. Kaum, dass sich die Hand entfernte, fielen ihre Augen zu und etwas Unbekanntes saugte sie in einen dunklen Wirbel hinein.
Hier und da erschienen einzelne Bilder in der Dunkelheit, die sie umgab. Schreie holten sie ein, ohne, dass sie erkennen konnte, woher sie kamen und wem die Stimmen gehörten – und wieder dieser erbärmliche Gestank.
3
Tag und Nacht wich die Stimme nicht von ihrer Seite. Erst als sie sich kurz hinter eine imaginäre Tür verzog, wagte Nina erneut die Augen zu öffnen. Der Arzt stand ihr so nahe, dass sie erschrocken zusammen fuhr.
„Wie fühlen Sie sich?“, erkundigte er sich.
„Als hätte mich ein Zug überrollt.“
Das freundliche Lächeln in seinem Gesicht verwandelte sich in eine traurige Sichel. „Ihr Name in allen Ehren, aber es war ein Wunder und nicht lediglich Glück, dass Sie noch am Leben sind.“
Nina zwinkerte, weil ihr der Druck im Kopf die Sicht trübte. „Meine Zeit ist wohl noch nicht gekommen.“ Nina versuchte zumindest eines ihrer Glieder zu bewegen. Beinahe der ganze Körper steckte entweder im Gips oder in dicken Verbänden. Sie schwitzte, es juckte und dann quälte sie auch noch der unerträgliche Gestank, der als einziger überpräsent in ihrem Gedächtnis geblieben war.
„Scherzen Sie nicht, Frau Glück. Wäre der eine Zug nicht auf der Strecke geblieben, hätte der andere nicht auf das andere Gleis ausweichen können und hätte statt des Hecks Ihres Wagens Sie zermalmt.“
Ihre Kraft reichte nicht, um sich mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen. Die Energie benötigte sie für anderes.
Nina betrachtete die Vasen voller Blumen und die Massen an Pralinenschachteln.
„Kann ich bitte eine haben?“, fragte sie schüchtern. Die Vorstellung, Süßes zu schmecken, trieb sie an, aus dem Bett zu steigen. Doch ihr Körper war dazu nicht imstande.
Der Arzt holte eine kleine Schachtel vom Tisch und legte sie auf ihr Bett. Nina machte sich sofort daran, die Folie runter zu reißen und die Schachtel zu öffnen. Nachdem der Arzt aus dem Zimmer gegangen war, lag die Schachtel offen in ihren Händen. Sie konnte sich jedoch nicht bedienen, da sie sowohl der Gips an ihrem rechten Arm, wie auch der Verband an ihrem linken Arm daran hinderten, sich das Stück Schokolade in den Mund zu führen.
„Scheiße …“, fluchte sie verzweifelt. Doch nicht nur, weil sie sich das süße Zeug nicht auf der Zunge hat zergehen lassen können.
Die Erinnerungsfragmente in ihrem Kopf fügten sich langsam zu einem kompletten Puzzle zusammen und das versetzte sie in Panik.
4
Nina warf die Arme in die Luft, als Ankündigung ihres wachen Zustandes. Kaum gingen ihre Lider hoch, sah sie sich um. Es dauerte eine Weile, bis sie unterscheiden konnte, was zum Traum und was zur Realität gehörte. Dann erblickte sie die offene Pralinenschachtel zwischen ihren steifen Armen.
„Mist“, fluchte sie erneut. Sie nahm sie in die Finger, hob sie ein Stückchen in die Luft und ließ sie wieder fallen.
„Magst du ein Stück?“, meldete sich der nächste Besuch an.
„Eines? Alle!“, jammerte sie verzweifelt.
Sheriff kam zu ihr ans Bett, nahm ein Stück aus der Schachtel und führte es ihr zu den Lippen. Sie machte den Mund auf und er legte ihr das kleine Stück Schokolade auf die Zunge. Nina schmatzte genüsslich, schloss die Augen und wartete, bis die Leckerei auf ihrer Zunge geschmolzen war. „Gott, war das gut“, stöhnte sie leise.
„Noch eines?“
„Aber ja!“, sah sie ihn mit einem Leuchten in den Augen an.
Nach dem dritten Stück verschluckte sie sich und fing an zu husten. Als Sheriff kein Glas in dem Durcheinander an Blumen und Pralinenschachteln finden konnte, eilte er aus dem Zimmer.
„Er saß tagelang an deinem Bett“, meldete sich Niko zum ersten Mal zum Wort. „Er ist ein Netter.“
„Ich kam mir vor, als hättest du mich verkauft“, fauchte sie ihn unerwartet an.
„Was?“, lachte er konfus.
„An dem Abend im Wald.“ Sie verstummte kurz, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben. „Kam dir nie in den Sinn, dass ich nicht interessiert bin?“
„Ich wollte doch nur sagen, dass ich nichts dagegen habe …“
„Habe ich dich gefragt?“
Niko schwieg.
„Ich will nicht teilen …“
Der Mann im Anzug und Krawatte musterte sie überrascht. Auch Nina konnte die Augen nicht von ihm lassen, allerdings aus anderen Gründen. Sie hatte eine Schwäche für Männer in Anzügen. Ein gut sitzender Anzug oder Uniform erregte sie mehr, als ein nackter Männerkörper.
„Ich weiß, dass ich neben Iris nicht die Einzige bin, mit der du deine Freizeit verbringst. Das ist kein Thema für mich. Ich will jedoch meine Freizeit sonst mit keinem anderen teilen. Keinen einzigen der schönen Momente. Ich will nicht überlegen, bevor ich sage: „Erinnerst du dich …“ Ob die Erinnerung tatsächlich mit dir, oder dem anderen zu tun hat. Ich will nicht meine Gefühle teilen.“ Auch nicht die Liebe, hätte sie gerne gesagt, aber das konnte sie nicht.
„Ich habe es nicht böse gemeint.“
Nina runzelte die Stirn, weil sie gierig auf eine weitere Praline war und sie sich nicht selbst bedienen konnte.
„Ich weiß. Und es ist wirklich schön zu wissen, dass du nicht eifersüchtig und besitzergreifend bist, aber …“
„Ich wollte dich nicht kränken.“
Niko verstand endlich und fütterte sie mit den Pralinen, bis die Schachtel leer war.
„Oh Gott, schmeckt das gut“, seufzte sie mit solcher Intensität und Gefühl, als hätte sie einen Orgasmus erlebt.
„Sie haben doch nicht die ganze Schachtel alleine gegessen?“, fragte der Arzt besorgt, als er gemeinsam mit Sheriff durch die Tür gekommen war. Aber da würgte sie bereits und spuckte alles wieder raus.
Erschöpft beugte sie sich über den Bettrand, unfähig sich alleine zurückzulehnen.
„Eine am Tag ist okay …“
„War ja nur eine“, entgegnete sie bedrückt und ließ sich von der gerufenen Schwester den Mund abwischen.
„Praline?“
„Schachtel.“
„Sie müssen sich schonen, auch den Magen. Sie haben geschätzte zwanzig Kilo verloren.“
Nina schluckte. Sie fühlte sich nicht schlank, lediglich ausgezehrt.
Sie sah dem Arzt nach, als er das Zimmer wieder verließ. Als wollte sie ihn fragen, wie es dazu gekommen war.
Niko sah auf die Uhr. „Ich muss gehen. Ich komme bald wieder. Und wegen … Es war nicht böse gemeint.“
Er beugte sich über sie und nach einem Augenblick Bedenkenzeit, küsste er sie auf den Mund. Zuerst zögernd, dann, nach einem Seufzer beider, innig und intensiver. Auch das Räuspern von Sheriff änderte nichts daran.
„Bis morgen“, lächelte er sie an.
Nina sagte nichts, drehte ihm den Kopf nach und starrte dann immer noch zur Tür, auch als er schon lange nichts mehr zu sehen war.
„Bin ich Luft?“, fragte Sheriff nach einer Weile. Nina drehte den Kopf zu ihm. „Der Arzt hat gesagt, dass du Amnesie hast. An den scheinst du dich jedoch gut zu erinnern.“ Sein sarkastischer Unterton verdarb ihr die Lust auf weitere Schokolade.
Nina sah ihn stumm an. Je länger sie das tat, umso mehr Tränen drängten sich in ihre Augen, bis sie ihr schließlich in Strömen die Wangen runter liefen.
Sie schniefte laut.
„Du willst es mir nicht sagen.“
Nina nickte nur.
„Was dann?“
Nina zuckte zögerlich mit den Schultern.
„Kannst du es mir nicht sagen?“
Sie schüttelte kaum bemerkbar den Kopf.
Sheriff überlegte. Als er dann schließlich seine wagen Vermutungen in Worte fassen wollte, erschien ihr Vorgesetzter in der Tür. Er brachte einen Mann mit, den die beiden noch nie gesehen hatten.
„Nina?“, kam er direkt auf sie zu. „Das ist Doktor Gross. Er hat schon vielen Kollegen nach traumatischen Erlebnissen geholfen.“
Der Mann kam ebenso auf sie zu, reichte ihr die Hand und fasste sie vorsichtig an den Fingern, die aus ihrem Gips ragten.
„Welche Kollegen?“, fragte Nina überrascht nach. „Welche traumatischen Erlebnisse? Es war doch ein Unfall. Oder etwa nicht?“
„Amnesie“, erklärte ihr Chef.
„Schauen Sie, dass Sie wieder auf die Beine kommen. Dann können wir uns gerne einen Termin ausmachen.“
Die zwei verabschiedeten sich so schnell, wie sie gekommen waren und kaum verschwanden sie im Gang, beugte sich Nina erneut zur Seite und spuckte auf den Boden.
5
„Hallo Nina.“
Sie wandt ihren starren Blick vom Fenster ab und drehte sich zur Tür.
„Erinnerst du dich noch an mich?“
Ihre Mimik war wie versteinert. Das hielt ihn nicht davon ab, zu ihr ins Zimmer herein zu kommen.
„Ich bin’s, Martin.“ Er nahm den Stuhl vom Tisch, trug ihn zu ihr ans Bett und setzte sich. „Es tut mir leid, was dir widerfahren ist …“
„Was willst du?“, wurde sie direkt.
„Ich brauche deine Hilfe.“
„Phä!“, rief sie laut und hob die Arme an, um ihn auf ihren miserablen Allgemeinzustand aufmerksam zu machen.
Er bemühte sich um ein Lächeln, dann brach es aus ihm heraus: „Man will mir einen Mord anhängen.“
„Doch nicht etwa den an mir?“, fragte sie nach, auch wenn sie wusste, dass er nicht für ihren miserablen Zustand verantwortlich war.
„Nina, echt. Es fiel mir nicht leicht, hier her zu kommen. Ich belästige dich wirklich ungern.“
„Schieß los. Nein, warte“, hielt sie ihn auf. „Hol eine der Schokoladenschachteln. Ich brauche was Süßes.“
„Erinnerst du dich an unsere Zeit beim Elternverein?“
„Erinnere mich nicht. Das eine Jahr reichte, um mich nie wieder als Elternvertreterin zu melden oder mich sonst für was in der Schule freiwillig zu engagieren.“
Er grinste belustigt, bevor er schlagartig ernst wurde.
„Die Sandhas ist tot.“
„Wow“, sagte sie, als er ihr eine mit weißer Schokolade überzogene Praline in den Mund gelegt hatte. „Die ist doch schon seit drei Jahren tot“, sagte sie dann.
„Die Polizei sucht nach mir.“
Nina zeigte mit dem Finger auf eine Praline mit rosa Überzug.
„Es gibt angeblich eindeutige Beweise …“
„Gibt es die wirklich?“
„Kann nicht sein. Ich war an dem Tag gar nicht in der Stadt.“
„Na dann …“
Nach der dritten Praline bremste sie ihn ein, da ihr erneut übel wurde.
„Wie du weißt, bin ich selbständig. Die Gerüchte machen sich mittlerweile bemerkbar. Wenn die Geschäfte einbrechen, steht meine Existenz auf der Kippe. Ich habe schließlich vier Kids zu ernähren.“
„Ich kann dir nichts versprechen.“
„Versprich mir nur, dass DU dir diese Beweise ansiehst, bitte.“
„Das lässt sich sicher machen.“
Er wirkte erleichtert.
„Darf ich auch eine?“
„Die mit der Macadamia-Nuss gehören alle mir!“
Glück am Abgrund
© 2019 Zoe Zander
Glück am Abgrund
Kriminalroman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: zander.zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch:
Für die Gerechtigkeit der Opfer missachtet Nina Glück schon mal die Vorschriften und überschreitet Grenzen. Um hierfür Rückendeckung von ihrem Chef zu bekommen, lässt sie sich dazu überreden, im Fall seiner vermissten Freundin zu ermitteln. Was sie anfangs für ein harmloses Beziehungsproblem hält, entwickelt sich für sie bald zu einem Horrortrip.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Verloren
Führe mich in das Reich deiner Schatten,
um diesen eine Gestalt zu verleihen.
Schenke mir dein Vertrauen und
ich werde dich von deinen Ängsten befreien.
Verloren im Sumpf aus Wünschen und Gefühlen,
zeige ich dir den Weg, wenn reichst du mir die Hand.
Und übergibst du mir die Kontrolle,
helfe ich dir bei der Suche nach dem Wunderland …
Als Eintritt – ein Versprechen:
Alles, wonach man sich tut verzehren …
Da gibt es nur einen Haken:
Es geht nicht um dich, sondern um meine Begehren…
Dich einmal des Willens beraubt,
gilt nur noch mein Verlangen.
Denn einmal mein Reich betreten,
bist du in diesem auf ewig gefangen.
Zoe Zander
1
Mühsam öffnete sie die Augen. Sie war umgeben von Dunkelheit.
Wie spät?, versuchte sie zu erahnen.
Als hätte sie eine beschlagene Brille aufgesetzt – alles um sie herum war in einen milchigen Schleier getaucht. Nur langsam fand sie sich in ihrer Umgebung zurecht … Zuerst das Lenkrad, dann das Armaturenbrett.
Während der Observierung eingeschlafen?, fragte sie sich. Sie konnte sich nicht entsinnen.
Es bimmelte im Takt eines Sekundenzeigers, als würde eine unsichtbare Uhr den Countdown einläuten. Ein ohrenbetäubendes Tröten gesellte sich hinzu.
Gesoffen?, fasste sie sich an die Schläfen und bemühte erneut ihr Gedächtnis.
Nach einem unerwarteten Knall wurde sie herumgeschleudert, wie eine einsame Socke im Wäschetrockner.
2
Der Körper schlief, nur das Gehör lauschte den Geräuschen und den Gesprächen um sie herum. Die Stimmen kamen und gingen. Nur eine begleitete sie rund um die Uhr. Erst nach dem endlich Ruhe eingekehrt war, öffnete sie die Augen.
„Hi“, flüsterte jemand.
Sie betrachtete das Lächeln mitten im dichten Bart.
„Schön, dich wieder zu sehen.“
Nina wollte sich an den Kopf fassen, um das Hämmern anzuhalten. Doch ihr Körper fühlte sich an, wie in Beton gegossen. Der kleinsten Bewegung unfähig.
„Was …?“, wollte sie fragen, doch die Stimme steckte tief in ihrer Kehle fest. „Wer …?“, versuchte sie es nochmals.
Ihr Gegenüber antwortete ihrem fragenden Blick. „Ich bin’s, Oskar.“
Sie schüttelte den Kopf, um das Gefühl, als säße ein Elefant auf ihrer Stirn, abzuschütteln.
„Erkennst du mich nicht?“
Die Worte rüttelten sie wach. Konzentriert sah sie ihm in die Augen.
„Ich …“, sie presste die Lippen aneinander. Sie schmeckte eingetrocknetes Blut. In ihrer Nase hing ein unerträglicher Gestank. Im Kopf schlug ihr der Presslufthammer die Erinnerungsfragmente kurz und klein.
„Scheiße“, seufzte ihr Vorgesetzter und bedeckte sein Gesicht mit der Hand. „Scheiße“, seufzte er erneut und stand auf. Er kam auf sie zu, legte ihr seine Hand auf die bandagierte Hand. „Es tut mir so leid, Nina.“
Sie sah die Hand, die vorsichtig über den dicken Verband streifte. Kaum, dass sich die Hand entfernte, fielen ihre Augen zu und etwas Unbekanntes saugte sie in einen dunklen Wirbel hinein.
Hier und da erschienen einzelne Bilder in der Dunkelheit, die sie umgab. Schreie holten sie ein, ohne, dass sie erkennen konnte, woher sie kamen und wem die Stimmen gehörten – und wieder dieser erbärmliche Gestank.
3
Tag und Nacht wich die Stimme nicht von ihrer Seite. Erst als sie sich kurz hinter eine imaginäre Tür verzog, wagte Nina erneut die Augen zu öffnen. Der Arzt stand ihr so nahe, dass sie erschrocken zusammen fuhr.
„Wie fühlen Sie sich?“, erkundigte er sich.
„Als hätte mich ein Zug überrollt.“
Das freundliche Lächeln in seinem Gesicht verwandelte sich in eine traurige Sichel. „Ihr Name in allen Ehren, aber es war ein Wunder und nicht lediglich Glück, dass Sie noch am Leben sind.“
Nina zwinkerte, weil ihr der Druck im Kopf die Sicht trübte. „Meine Zeit ist wohl noch nicht gekommen.“ Nina versuchte zumindest eines ihrer Glieder zu bewegen. Beinahe der ganze Körper steckte entweder im Gips oder in dicken Verbänden. Sie schwitzte, es juckte und dann quälte sie auch noch der unerträgliche Gestank, der als einziger überpräsent in ihrem Gedächtnis geblieben war.
„Scherzen Sie nicht, Frau Glück. Wäre der eine Zug nicht auf der Strecke geblieben, hätte der andere nicht auf das andere Gleis ausweichen können und hätte statt des Hecks Ihres Wagens Sie zermalmt.“
Ihre Kraft reichte nicht, um sich mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen. Die Energie benötigte sie für anderes.
Nina betrachtete die Vasen voller Blumen und die Massen an Pralinenschachteln.
„Kann ich bitte eine haben?“, fragte sie schüchtern. Die Vorstellung, Süßes zu schmecken, trieb sie an, aus dem Bett zu steigen. Doch ihr Körper war dazu nicht imstande.
Der Arzt holte eine kleine Schachtel vom Tisch und legte sie auf ihr Bett. Nina machte sich sofort daran, die Folie runter zu reißen und die Schachtel zu öffnen. Nachdem der Arzt aus dem Zimmer gegangen war, lag die Schachtel offen in ihren Händen. Sie konnte sich jedoch nicht bedienen, da sie sowohl der Gips an ihrem rechten Arm, wie auch der Verband an ihrem linken Arm daran hinderten, sich das Stück Schokolade in den Mund zu führen.
„Scheiße …“, fluchte sie verzweifelt. Doch nicht nur, weil sie sich das süße Zeug nicht auf der Zunge hat zergehen lassen können.
Die Erinnerungsfragmente in ihrem Kopf fügten sich langsam zu einem kompletten Puzzle zusammen und das versetzte sie in Panik.
4
Nina warf die Arme in die Luft, als Ankündigung ihres wachen Zustandes. Kaum gingen ihre Lider hoch, sah sie sich um. Es dauerte eine Weile, bis sie unterscheiden konnte, was zum Traum und was zur Realität gehörte. Dann erblickte sie die offene Pralinenschachtel zwischen ihren steifen Armen.
„Mist“, fluchte sie erneut. Sie nahm sie in die Finger, hob sie ein Stückchen in die Luft und ließ sie wieder fallen.
„Magst du ein Stück?“, meldete sich der nächste Besuch an.
„Eines? Alle!“, jammerte sie verzweifelt.
Sheriff kam zu ihr ans Bett, nahm ein Stück aus der Schachtel und führte es ihr zu den Lippen. Sie machte den Mund auf und er legte ihr das kleine Stück Schokolade auf die Zunge. Nina schmatzte genüsslich, schloss die Augen und wartete, bis die Leckerei auf ihrer Zunge geschmolzen war. „Gott, war das gut“, stöhnte sie leise.
„Noch eines?“
„Aber ja!“, sah sie ihn mit einem Leuchten in den Augen an.
Nach dem dritten Stück verschluckte sie sich und fing an zu husten. Als Sheriff kein Glas in dem Durcheinander an Blumen und Pralinenschachteln finden konnte, eilte er aus dem Zimmer.
„Er saß tagelang an deinem Bett“, meldete sich Niko zum ersten Mal zum Wort. „Er ist ein Netter.“
„Ich kam mir vor, als hättest du mich verkauft“, fauchte sie ihn unerwartet an.
„Was?“, lachte er konfus.
„An dem Abend im Wald.“ Sie verstummte kurz, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben. „Kam dir nie in den Sinn, dass ich nicht interessiert bin?“
„Ich wollte doch nur sagen, dass ich nichts dagegen habe …“
„Habe ich dich gefragt?“
Niko schwieg.
„Ich will nicht teilen …“
Der Mann im Anzug und Krawatte musterte sie überrascht. Auch Nina konnte die Augen nicht von ihm lassen, allerdings aus anderen Gründen. Sie hatte eine Schwäche für Männer in Anzügen. Ein gut sitzender Anzug oder Uniform erregte sie mehr, als ein nackter Männerkörper.
„Ich weiß, dass ich neben Iris nicht die Einzige bin, mit der du deine Freizeit verbringst. Das ist kein Thema für mich. Ich will jedoch meine Freizeit sonst mit keinem anderen teilen. Keinen einzigen der schönen Momente. Ich will nicht überlegen, bevor ich sage: „Erinnerst du dich …“ Ob die Erinnerung tatsächlich mit dir, oder dem anderen zu tun hat. Ich will nicht meine Gefühle teilen.“ Auch nicht die Liebe, hätte sie gerne gesagt, aber das konnte sie nicht.
„Ich habe es nicht böse gemeint.“
Nina runzelte die Stirn, weil sie gierig auf eine weitere Praline war und sie sich nicht selbst bedienen konnte.
„Ich weiß. Und es ist wirklich schön zu wissen, dass du nicht eifersüchtig und besitzergreifend bist, aber …“
„Ich wollte dich nicht kränken.“
Niko verstand endlich und fütterte sie mit den Pralinen, bis die Schachtel leer war.
„Oh Gott, schmeckt das gut“, seufzte sie mit solcher Intensität und Gefühl, als hätte sie einen Orgasmus erlebt.
„Sie haben doch nicht die ganze Schachtel alleine gegessen?“, fragte der Arzt besorgt, als er gemeinsam mit Sheriff durch die Tür gekommen war. Aber da würgte sie bereits und spuckte alles wieder raus.
Erschöpft beugte sie sich über den Bettrand, unfähig sich alleine zurückzulehnen.
„Eine am Tag ist okay …“
„War ja nur eine“, entgegnete sie bedrückt und ließ sich von der gerufenen Schwester den Mund abwischen.
„Praline?“
„Schachtel.“
„Sie müssen sich schonen, auch den Magen. Sie haben geschätzte zwanzig Kilo verloren.“
Nina schluckte. Sie fühlte sich nicht schlank, lediglich ausgezehrt.
Sie sah dem Arzt nach, als er das Zimmer wieder verließ. Als wollte sie ihn fragen, wie es dazu gekommen war.
Niko sah auf die Uhr. „Ich muss gehen. Ich komme bald wieder. Und wegen … Es war nicht böse gemeint.“
Er beugte sich über sie und nach einem Augenblick Bedenkenzeit, küsste er sie auf den Mund. Zuerst zögernd, dann, nach einem Seufzer beider, innig und intensiver. Auch das Räuspern von Sheriff änderte nichts daran.
„Bis morgen“, lächelte er sie an.
Nina sagte nichts, drehte ihm den Kopf nach und starrte dann immer noch zur Tür, auch als er schon lange nichts mehr zu sehen war.
„Bin ich Luft?“, fragte Sheriff nach einer Weile. Nina drehte den Kopf zu ihm. „Der Arzt hat gesagt, dass du Amnesie hast. An den scheinst du dich jedoch gut zu erinnern.“ Sein sarkastischer Unterton verdarb ihr die Lust auf weitere Schokolade.
Nina sah ihn stumm an. Je länger sie das tat, umso mehr Tränen drängten sich in ihre Augen, bis sie ihr schließlich in Strömen die Wangen runter liefen.
Sie schniefte laut.
„Du willst es mir nicht sagen.“
Nina nickte nur.
„Was dann?“
Nina zuckte zögerlich mit den Schultern.
„Kannst du es mir nicht sagen?“
Sie schüttelte kaum bemerkbar den Kopf.
Sheriff überlegte. Als er dann schließlich seine wagen Vermutungen in Worte fassen wollte, erschien ihr Vorgesetzter in der Tür. Er brachte einen Mann mit, den die beiden noch nie gesehen hatten.
„Nina?“, kam er direkt auf sie zu. „Das ist Doktor Gross. Er hat schon vielen Kollegen nach traumatischen Erlebnissen geholfen.“
Der Mann kam ebenso auf sie zu, reichte ihr die Hand und fasste sie vorsichtig an den Fingern, die aus ihrem Gips ragten.
„Welche Kollegen?“, fragte Nina überrascht nach. „Welche traumatischen Erlebnisse? Es war doch ein Unfall. Oder etwa nicht?“
„Amnesie“, erklärte ihr Chef.
„Schauen Sie, dass Sie wieder auf die Beine kommen. Dann können wir uns gerne einen Termin ausmachen.“
Die zwei verabschiedeten sich so schnell, wie sie gekommen waren und kaum verschwanden sie im Gang, beugte sich Nina erneut zur Seite und spuckte auf den Boden.
5
„Hallo Nina.“
Sie wandt ihren starren Blick vom Fenster ab und drehte sich zur Tür.
„Erinnerst du dich noch an mich?“
Ihre Mimik war wie versteinert. Das hielt ihn nicht davon ab, zu ihr ins Zimmer herein zu kommen.
„Ich bin’s, Martin.“ Er nahm den Stuhl vom Tisch, trug ihn zu ihr ans Bett und setzte sich. „Es tut mir leid, was dir widerfahren ist …“
„Was willst du?“, wurde sie direkt.
„Ich brauche deine Hilfe.“
„Phä!“, rief sie laut und hob die Arme an, um ihn auf ihren miserablen Allgemeinzustand aufmerksam zu machen.
Er bemühte sich um ein Lächeln, dann brach es aus ihm heraus: „Man will mir einen Mord anhängen.“
„Doch nicht etwa den an mir?“, fragte sie nach, auch wenn sie wusste, dass er nicht für ihren miserablen Zustand verantwortlich war.
„Nina, echt. Es fiel mir nicht leicht, hier her zu kommen. Ich belästige dich wirklich ungern.“
„Schieß los. Nein, warte“, hielt sie ihn auf. „Hol eine der Schokoladenschachteln. Ich brauche was Süßes.“
„Erinnerst du dich an unsere Zeit beim Elternverein?“
„Erinnere mich nicht. Das eine Jahr reichte, um mich nie wieder als Elternvertreterin zu melden oder mich sonst für was in der Schule freiwillig zu engagieren.“
Er grinste belustigt, bevor er schlagartig ernst wurde.
„Die Sandhas ist tot.“
„Wow“, sagte sie, als er ihr eine mit weißer Schokolade überzogene Praline in den Mund gelegt hatte. „Die ist doch schon seit drei Jahren tot“, sagte sie dann.
„Die Polizei sucht nach mir.“
Nina zeigte mit dem Finger auf eine Praline mit rosa Überzug.
„Es gibt angeblich eindeutige Beweise …“
„Gibt es die wirklich?“
„Kann nicht sein. Ich war an dem Tag gar nicht in der Stadt.“
„Na dann …“
Nach der dritten Praline bremste sie ihn ein, da ihr erneut übel wurde.
„Wie du weißt, bin ich selbständig. Die Gerüchte machen sich mittlerweile bemerkbar. Wenn die Geschäfte einbrechen, steht meine Existenz auf der Kippe. Ich habe schließlich vier Kids zu ernähren.“
„Ich kann dir nichts versprechen.“
„Versprich mir nur, dass DU dir diese Beweise ansiehst, bitte.“
„Das lässt sich sicher machen.“
Er wirkte erleichtert.
„Darf ich auch eine?“
„Die mit der Macadamia-Nuss gehören alle mir!“