Inhalt:
Sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage – gilt bestimmt für viele Paare, aber nicht für Sam und Winston.
Nach der Rückkehr in die Heimat holt sie die Alltagsroutine bald ein.
Gerade als Sam den Blick wieder auf die Zukunft richtet, steht er plötzlich vor ihr – ein Relikt aus ihrer Vergangenheit. Mit einem Anliegen, das alles bisher Dagewesene toppt und ehe sie sich versieht, steht ihre Ehe vor dem Aus.
Nicht nur, um sich ihrer Gefühle klar zu werden, lässt sie sich auf ihren allerletzten Fight ein …
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Body Check Runde 2
Check
Runde zwei
von
Zoe Zander
© 2020 Zoe Zander
Bodycheck Runde zwei
SM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: zander.zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch
Sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage – gilt bestimmt für viele Paare, aber nicht für Sam und Winston.
Nach der Rückkehr in die Heimat holt sie die Alltagsroutine bald ein.
Gerade als Sam den Blick wieder auf die Zukunft richtet, steht er plötzlich vor ihr – ein Relikt aus ihrer Vergangenheit. Mit einem Anliegen, das alles bisher Dagewesene toppt und ehe sie sich versieht, steht ihre Ehe vor dem Aus.
Nicht nur, um sich ihrer Gefühle klar zu werden, lässt sie sich auf ihren allerletzten Fight ein …
Einzelheiten zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Labyrinth
Im Wirrwarr meiner eigenen Gedanken
vernehme ich eine laute Stimme.
Ich folge der filigranen Spur,
so dünn wie der Faden einer Spinne.
Im Funkeln der Diamanten
entdecke ich ein Paar Augen,
die mir schnell bewiesen,
als Wegweiser nichts zu taugen.
Ich verirre mich schließlich
in der Dunkelheit meiner Seele.
Doch kein einziger der Hilferufe
schafft es hinaus aus meiner Kehle.
Auch mit geübten Beinen
gelingt es mir nicht, zu entkommen.
Trotz erdrückender Last der Beweise
zeigt (m)ein Mann sich voreingenommen.
Die Sehnsucht nach Liebe
katapultiert mich in einen Thriller.
Nur einen Mann begehrt,
finde ich mich im Fokus vieler.
Auf der Flucht gerate ich
in den Griff fremder Hände.
Erst da erkenne ich die Gefahr,
und setze alles auf eine Wende …
Zoe Zander
Prolog
Unweit von Madagaskar, unmittelbar neben einer Bohrinsel, tauchte ein kleines Uboot mit der Aufschrift Lemuria auf.
Weit über der Meeresoberfläche, auf einer der oberen Ebenen, lief ein Mann mit schütterem Haar aufgeregt umher. Er mochte den Duft von Erdöl, den Geruch des Salzwassers konnte er hingegen nicht ausstehen. Alleine deshalb empfand er seinen Aufenthalt als reinste Qual.
„Ich weiß nicht, was mich mehr seekrank macht …“ In der Gischt der offenen See waren die Worte mit eindeutig zuordenbaren Akzent kaum zu verstehen. Dennoch blieb der kleine, nicht gerade mit Schönheit gesegnete Herr, der seit Stunden ununterbrochen über die zusammengeschweißten Gitterroste hin- und herlief, als versuchte er so dem starken Wind entgegen zu wirken, nun abrupt stehen und drehte sich der Stimme nach um. „Die unruhige See oder Sie“, beendete der andere den Satz.
„Humbug, nichts als Humbug!“, rief er laut, bedachte das viele Geld, das er in dieser Unterfangen bislang investiert hatte und war schon im Begriff, sein Zeit totschlagendes Herumlaufen fortzusetzen, aber die Antwort seines Gegenübers hielt ihn dann doch davon ab.
„Und dennoch sind Sie unzählige Meilen geflogen. Hierher, an diesen gottverlassenen Ort …“
„Ach – lassen Sie doch den Gott aus dem Spiel …“
Der Typ mit dem Akzent lachte unverfroren und verschmähend, während er den Arm mit dem Funkgerät hob und lediglich hinein brummte.
Der gottesfürchtige Mann kam einige Schritte näher, was ihn jedoch auch näher zum Rand der Ebene führte, weshalb er erneut stehen blieb. Zaudernd, ob ihm seine Neugierde die Gefahr, von einer Windböe erfasst und von der Plattform gerissen zu werden, wert war.
Es war schon Risiko genug, diese Bohrinsel mit einem Hubschrauber anzufliegen und obendrein auf dieser zu landen. Zum Glück musste er nicht noch mehr Kühnheit beweisen.
Ohne zu hören, was jemand von der Uboot-Besatzung per Funk seinem Komplizen berichtet hatte, stieß er im Inneren zum Himmel: „Allmächtiger!“ Ihm war klar, dass es positive Nachrichten gab, obwohl der Empfänger, der, wie er, seit Stunden dem rauen Wetter trotzte und dessen Anzug wie sein eigener ebenfalls mit Salzwasser getränkt war, genau bei dieser Nachricht ein Gesicht machte, als wäre er gerade eben der Hölle entstiegen. „Allmächtiger!“, stieß er erneut, nur viel lauter heraus. Dieses Mal durchaus mit Erleichterung, ja sogar Freude und Begeisterung. „Treffen Sie alle Vorkehrungen …“, wies er seinen Partner an und richtete den Blick zum Hubschrauberpiloten, der während des gesamten Aufenthaltes auf der Bohrinsel die Maschine weder verlassen noch den Funkkontakt mit dem Festland unterbrochen hatte.
Der Mann mit dem Funkgerät schweifte nur kurz in Gedanken ab. Er überlegte, für welchen der zurechtgelegten Pläne er sich entscheiden sollte: einfach und langwierig, oder riskant.
Sehr riskant – sagte er zu sich selbst und rief dem, nach Zigarrenrauch miefenden Mann hinterher: „Ich werde das Mädchen …“
Der Mann, dem seit der Landung ununterbrochen die Knie vor Angst schlotterten, drehte sich pfeilschnell um und warf seinem Komplizen einen Blick zu, so heftig, dass er beinahe in die Tiefe zu dem Uboot stürzte. „Ersparen Sie mir die Einzelheiten. Tun Sie, was notwendig ist“, wollte er nicht mehr wissen, als wie sein Gewissen vertrug. Dabei ließ er dieses Mal den Allmächtigen absichtlich aus dem Spiel. Er brauchte den Gott nicht mehr. Bald würde er so viel Geld besitzen, dass er sich seinen eigenen kaufen könnte …
1
„Was soll ich sagen, Sam …“, nahm er die Brille ab und steckte sie in die Brusttasche des offenen Sakkos. „Nach dem Überfall vor … Wie lange ist es her?“
„Das wissen Sie genau“, wurde sie herablassend, ruderte jedoch gleich wieder zurück. „Ich behaupte nicht, dass Sie es sich über all die Jahre gemerkt haben, aber Sie haben mit Garantie in meiner Akte nachgeschlagen, nachdem Ihre Assistentin Sie über meine Terminreservierung informierte.“
„Mich beim Schwindeln zu erwischen, wird nicht der Grund Ihres Besuches sein. Oder etwa doch?“
„Nein“, sagte sie barsch und hob sogleich die Hand hoch, ehe er vor Lachen losprusten konnte. „Ist etwa meine Anwesenheit der Grund für Ihre überschwänglich gute Laune?“
„Und wie, Sam. Sie haben es noch nicht mal über die Türschwelle geschafft und haben mehr gesprochen, wie in den 100 Sitzungen, die Sie in all den Jahren nach dem Überfall bei mir absolvierten.“
„Es waren 32, aber das wissen Sie auch, weil Sie bestimmt nachgesehen haben“, seufzte sie genervt – hätte sie behauptet, hätte er sie gefragt, aber er fragte nicht und hatte auch nicht vor zu fragen, denn er wusste, dass sie nicht genervt, sondern verunsichert war, da ihr dieses Therapeut-Patient-Ding nicht behagte.
„Jetzt kommen Sie endlich rein.“
„Ich habe Angst“, brach aus ihr heraus.
„Angst reinzukommen?“
„Nein!“, quietschte sie affektiert.
Der Therapeut dachte einen Moment lang nach. „Jetzt, nach all den Jahren?“, zeigte er sich irritiert.
„Ich bin angeschossen worden.“
„Oh, das …“, mit einer Handbewegung bat er sie von neuem herein, worauf sie endlich den Raum betrat und sich umgehend zu der Sitzecke begab, in der sie schon so oft gesessen hatte.
„Wie geht es Ihnen?“, er hingegen blieb neben der offenen Tür wie festgeklebt stehen.
„Ich habe Angst“, wiederholte sie, auch wenn es für seine Ohren deutlich entspannter klang.
Sam war allerdings nicht entspannt. Sie hatte lediglich ihren Berufsalltagsmodus eingeschaltet und das dazugehörende Pokerface aufgesetzt, das man allerseits von ihr gewöhnt war.
„Hm“, seufzte er, erwachte jedoch endlich aus seiner Lethargie und machte die Tür zu, dann erst begab er sich zu ihr. „Ich meine … Sind Sie wieder fit? Alles in Ordnung?“
„Nichts ist in Ordnung. Ich habe Angst.“
Nachdem er tief Luft geholt und diese wieder ausgeatmet hatte, setzte er sich zu ihr, lehnte sich zurück, legte das eine Knie übers andere und öffnete den Mund, fror jedoch zu einer Statue fest, bevor er auch nur einen Laut von sich gab.
„Angst“, runzelte er die Stirn. „Sie hatten noch nie Angst. Weder vor dem Überfall, noch danach. Wieso jetzt? Und damit will ich nicht sagen, dass ein Schuss …“
„Es geht nicht um die Art der Waffe, auch nicht der Verletzung und …“
„Und?“, wurde er richtig neugierig, aber Sam kam nicht mehr dazu, ihn aufzuklären.
Tränen als eine Art Wellness, Stressbewältigung im Rahmen sexueller Handlungen …
Oh Gott!, verdrehte sie die Augen, weil ihr das erste entfesselte Mal mit Ian in Erinnerung gekommen war und das rief all die Hemmungen, Bedenken und anerzogene Denkmuster in ihr wieder auf den Plan, aber die antrainierte Selbstkontrolle setzte wider Erwarten aus.
„Und?“, fragte er nochmals nach.
Die harmlose Frage sprengte ihre Dämme und sie fand sich in einer Situation vor, die ihr bislang völlig fremd war.
„Hier“, steckte er ihr die Box mit Papiertüchern entgegen.
Während sie sich die eine Hand flach wie ein Schild vors Gesicht hielt, um die ungewohnte Schwäche vor ihm zu verbergen, zupfte sie mit den Fingern der anderen gleich mehrere Tücher heraus, um die Tränen zu trocknen. Aber, kaum waren die ersten weggewischt, kamen die nächsten und mit jedem Mal schienen es mehr zu sein.
„Sorry, aber – wow“, gestand der Therapeut, der sich ungefähr im Alter von Sams Verlobten befand, also etwas mehr als zehn Jahre älter war als sie selbst. Es war genau dieses Alter, warum sie sich damals für ihn entschieden hatte. Sie hatte gehofft, er wäre nicht so verklemmt und in irgendwelchen Strukturen gefangen wie ihre Eltern, was sie grundsätzlich dem Alter aller Erwachsenen zuschrieb. Damals fühlte sie sich zwar ebenfalls erwachsen, aber eben nicht alt.
Oh, Gott!, schossen ihr von neuem Tränen in die Augen, als hätte der Gedanke einen Auslöser betätigt. Der Gedanke: Ich bin alt und verklemmt!
„Okay“, pustete der Therapeut mit einem Atemzug über die Lippen. „Warum sollte es nach all den Jahren anders laufen …“, bemerkte er deutlich desillusioniert.
Sam konterte mit Kopfschütteln. Da sie aber jedes Mal, wenn sie den Versuch startete, einen Laut von sich zu geben, wieder mit Tränen überschüttet wurde, blieb sie weiterhin stumm.
Den Rest der Sitzung verbrachten sie schweigend. Auch nach dem Verlassen seiner Praxis schluchzte sie noch. Erst, als sie durch die Drehtür der Gemeinschaftspraxis ging, beruhigte sich ihr Gemüt.
„Zu spät“, knurrte sie sich selbst an.
2
„Nur noch eine Aufnahme“, kündigte die Verwalterin der Hilfseinrichtung für Kinder und Jugendliche an. „Könnten wir …?“, richtete sie die Worte an Sam.
„Nur zu“, sagte diese und schenkte ihr ein Lächeln, bei dem sonst jeder sofort Reißaus nehmen würde. Aber die Verwalterin erwies sich als widerstandsfähig und extrem hartnäckig.
Sam hatte keine Lust auf einen Streit. Nicht an diesem Tag, nicht in Winstons Beisein und schon gar nicht vor Kindern oder Jugendlichen, da gerade diese regelmäßig herkamen, um dem Streit, der tagein-tagaus bei ihnen zuhause wütete, zu entkommen.
„Mr. Muchiol“, tippte sie den Mann an, dessen Augen die gesamte Zeit an Sam hafteten, als hätte sie ihn hypnotisiert.
„Ja“, tauchte er kurzfristig aus seinen Gedanken auf und blinzelte sie an.
„Die letzte Aufnahme, darf ich?“, streckte sie ihren Arm nach ihm, um sich an seinem Ellenbogen einzuhaken und ihm so nah zu kommen, wie sie es sich seit ihrer ersten Begegnung wünschte.
„Klar doch“, stimmte er zu, wieder den Blick auf Sam gerichtet. Mehr noch. Er streckte sich nach seiner Verlobten, ergriff sie am Oberarm und zog sie mit einem kräftigen Ruck zu sich.
Sam war ebenso in Gedanken versunken. Der Besuch bei ihrem Therapeuten war schon Tage her, ließ sie aber immer noch nicht los. Die verlorene Beherrschung machte ihr zu schaffen.
War das nur eine Begleiterscheinung der Angst?, grübelte sie. Oder der Anfang dessen, das im Versagen endet und im Endeffekt auf genau das hinauslaufen wird, wovor ich mich so sehr fürchte?, schluckte sie schwer.
Zwar geistesabwesend, widersetzte sie sich dennoch nicht dem unerwarteten Zug und flog auf Winston zu wie ein Jo-Jo.
Um sie abzufangen und gleichzeitig aufzufangen, löste er sich aus dem besitzergreifenden Griff der Verwalterin, schloss Sam in seine Arme und genau in dem Augenblick, als der Fotograf den Auslöser betätigte, küsste er Sam auf den Mund.
„Das war doch das letzte Bild – wir sind jetzt also fertig“, machte er allen klar, den Blick auch weiterhin auf Sam gerichtet.
„Ja … Ja …“, stotterte die verdutzte Verwalterin, verärgert und enttäuscht zugleich.
„Na dann …“, sah er sie zum – für die Verwalterin – gefühlten allerersten Mal an, reichte ihr zum Abschied die Hand, die sie erst nach einem kurzen Moment der Besinnung annahm und schüttelte. „Stimmt etwas nicht?“, wunderte er sich über ihren missmutigen Gesichtsausdruck.
„Wie?“, sah sie ihn mit geweiteten Augen an. „Oh“, schluckte sie den Frust runter und lächelte ihn überschwänglich an. „Danke für das Interview und …“
„Gerne“, sprang er ihr ins Wort. Mit Sam an der Hand steuerte er die Tür des riesigen Aufenthaltsraumes an. „Von den Bildern hätte ich gerne Abzüge. Von jedem einzelnen“, kniff er Sam in den Po und schubste sie vorwärts.
„Sicher“, brummte die ehemalige Sozialarbeiterin und stieß vor Wut einen der Tische zur Seite, kaum war die Tür hinter dem turtelnden Pärchen zugegangen.
„Was ist der über die Leber gelaufen?“, fragte er, wog dabei Sams Arm in seiner Hand. Dieser fühlte sich wesentlich steifer an als sonst, wenn er sie daran durch eigene oder gemietete Räume zerrte, um mit ihr diese wundervollen Momente zu erleben, nach denen er von dem ersten Mal an süchtig geworden war.
„Mensch“, pustete sie die Luft so kräftig aus, dass sie deutlich vernahm, wie ihre Nüstern dabei flatterten. „Sie wollte ein Foto mit dir“, warf sie ihm einen Blick zu, prall gefüllt mit Gedanken und Gefühlen, die in ihr wüteten.
„Bei all den Aufnahmen wird sich bestimmt die eine oder andere finden lassen, die man abdrucken kann. Schließlich sind wir die letzten drei Stunden beinahe ununterbrochen fotografiert worden.“
„Genau – wir. Aber nicht du und sie.“
„Hm?“, runzelte er die Stirn.
„Sie will sich bestimmt eines der Bilder aufs Nachtkästchen stellen oder es zumindest ihren Freundinnen bei einem Kaffee und Kuchen-Nachmittag vorzeigen. Und auf solch einem Bild soll ich mit Garantie nicht mit drauf sein.“
„Du spinnst!“, plusterte er die Wangen auf.
„Mr. Muchiol, darf ich Ihnen einen Kaffee bringen? Möchten Sie diesen mit Zucker oder ohne? Soll ich die Vorhänge zuziehen? Blendet Sie die Sonne? Ist Ihnen nicht zu warm? Vielleicht zu kalt? Mr. Muchiol hier, Mr. Muchiol da … Kein einziges Wort zu Miss Brown …“
„Gott!“, seufzte er dermaßen angewidert, dass es für Sam keine Überraschung gewesen wäre, hätte er ihr daraufhin vor die Füße gespuckt. „Du bist eifersüchtig!“, fauchte er. Noch bevor sie entsetzt die Augen verdrehen konnte, zog er sie an dem Arm, den er immer noch in der Hand hielt, zu sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte. „Gott“, knurrte er diesmal erregt. „Du bist eifersüchtig …“, warf er ihr einen Blick zu, der alleine sie samt dem Kostüm und den Schuhen verschlingen konnte.
Winston grinste. In seinen Augen sah sie Funken sprühen, ja gar Feuerwerke explodieren und dazu noch seine entfesselte Lust.
Bevor sie entgegnen konnte: „Bilde dir nichts ein!“, fuhr er fort: „Das werde ich dir schon austreiben.“
Wie viele Menschen besaß auch Sam ein paar Trigger. Das Wort austreiben in Kombination mit einem Zwinkern inmitten genau dieses bärtigen Gesichtes gehörte eindeutig dazu und so verkniff sie sich das Verdrehen ihrer himmelblauen Augen und ließ sich von Winston auf den Rücksitz seines Drittwagens schieben.
Kaum nahm Winston auf dem Rücksitz neben ihr Platz und schlug die Tür zu, lenkte Lenz den dunklen SUV auch schon aus der Parklücke hinaus.
Wie so oft verlief die Fahrt sehr schweigsam. Während er die Male zuvor unter dem Vorwand, den Heilungsprozess ihrer Schusswunde zu begutachten, dann doch alles Mögliche mit ihr angestellt hatte, ohne der langsam verblassenden Narbe Beachtung zu schenken, legte er diesmal lediglich die Hand auf ihren Schenkel, der sich unter dem marineblauen Bleistiftrock befand.
Zuerst wollte sie seine Hand mit ihrer bedecken, sah dann jedoch davon ab. Alleine die Wärme, die seine große Handfläche ausstrahlte und die sich allmählich in ihrem Inneren ausbreitete, empfand sie schon als vielversprechendes Vorspiel. Auch, wenn etliche Feuer in ihrem Inneren loderten und einige davon tatsächlich mit dem Fototermin zu tun hatten, den sie beide als zwei der großzügigsten Spender dieser Einrichtung absolviert hatten, hielt sie sich zurück. Es gab gleich einige Fauxpas, die sie dem Mann vorwerfen konnte, der auf dem Rücksitz neben ihr fläzte und mit seiner Hand wie mit einem Bügeleisen über ihren Schenkel strich. Allerdings hielt sie keine einzige dieser Unpässlichkeiten für einen Grund zur Eifersucht. Und während sie sich noch genau diese Momente vor Augen führte, sich dabei wieder an das verpatzte Gespräch mit ihrem Therapeuten erinnerte, drehte sie den Kopf zur Seite, weg von Winston und schickte ihren Blick ohne ein bestimmtes Ziel durch das Fenster hinaus.
Für Winston hingegen war diese Bügelpartie keinesfalls der Auftakt einer Session.
Er war Mitte dreißig gewesen, als er Sam zum ersten Mal im Fernsehen bei der Meisterschaftsübertragung sah. Ein halbes Kind, dachte er damals und schämte sich tatsächlich für das Verlangen, das die Szenen des Zweikampfes in ihm hervorgerufen hatten.
Sie hat die Gegnerin beinahe in die Bodenmatte eingewebt!, grinste Winston bei der Erinnerung an die Sportübertragung. Alles andere als anmutig, kokett oder ja – sexy. Aber genau dieses Besondere, dieses Einzigartige machte ihn schon damals an ihr so tierisch an. Eifersucht!, kam ihm tatsächlich das Kotzen, weshalb er kurz in Erwägung zog, Lenz anzuweisen, zum Straßenrand zu fahren und anzuhalten.
Statt dem Feuer kühle Luft bei einem kurzen Stopp zukommen zu lassen, übertrug er die Hitze, die sein Gemüt zum Kochen brachte, auf ihr Bein. Auf diesen definierten Schenkel, der sich so weich anfühlen konnte, wenn sie sich fallen ließ und ihm erlaubte, Dinge mit ihr anzustellen, für die ihm jede andere Frau, im Kampfsport geübt oder nicht, bestimmt den Kopf abreißen würde.
Ich liebe dich – lasen sie sich gegenseitig von den Augen ab, als sie sich, wie auf Knopfdruck, im selben Augenblick dem anderen zuwandten und anschließend zu küssen anfingen.
3
Mit der Wahl des Wohnsitzes war weder er noch sie zufrieden. Auf Probe – hatten sie vereinbart.
Ihr Appartement hatte sie noch nicht gekündigt und das Meiste von seinem Hab und Gut befand sich momentan in der Garage seines Vaters. Oder seinem Jugendzimmer, das sein Vater immer noch für ihn parat hielt. Aber nur, weil er noch keine Zeit gefunden hatte, es zu renovieren und daraus einen weiteren Salon oder Bibliothek, womöglich Arbeitszimmer, vielleicht ein Gästezimmer, das nie genutzt werden würde, machen zu lassen. Welches der Vorhaben es am Ende werden würde, war sich sogar Winston nicht schlüssig, wobei Sam glaubte, dass nichts davon der Wahrheit entsprach und ihr Verlobter bei der ganzen Hetzjagd nach seinem Halbbruder einfach nur nicht dazu gekommen war, sich in einem seiner Pseudowohnsitze häuslich einzurichten und Wurzeln zu schlagen.
Sie waren beide noch auf der Suche, wobei auch das nicht wirklich der Wahrheit entsprach, denn keiner von ihnen verfügte über ausreichend Zeit, um sich nach einer passenden Immobilie umzusehen. Auch – weil sie sich immer noch nicht einig wurden, wonach eigentlich Ausschau gehalten werden sollte. Ein Loft oder ein mehrstöckiges Appartement inkl. Einrichtung a la Mr. Grey? Oder etwas in Richtung des verstorbenen Frank Smith?
„Kalt?“, bemerkte er ihre Gänsehaut.
Ja? Nein?, um Kleinlügen war sie nicht verlegen, wenn sie ihm Sorgen oder unangenehme Gedanken ersparen wollte, aber dieses Mal kam ihr keine der Möglichkeiten, die zur Wahl standen, passend vor. Also lächelte sie ihn nur an.
Doch dann … „Hm, ein kleines Bisschen kalt ist mir schon“, wog sie den Kopf hin und her, was Winston zum Schmunzeln brachte und in seinem Kopf etliche Phantasien entstehen ließ.
*
„Na dann“, er stieß die Tür auf, noch ehe es Lenz um den Wagen herum geschafft hatte. Winston sprang aus dem Wagen und zerrte sie ihm hinterher, ungeachtet ihrer Absätze und des engen Rocks.
„Ich gehe mir die Hände waschen …“
So viel Information in einem kleinen Satz, schmunzelte Sam und begab sich in den einen Raum, in dem sich außer einem Stuhl und einem Haken anstelle einer Glühbirne noch kein anderes Möbelstück befand.
Auch Sam hätte sich gerne frisch gemacht. Sie musste bei dem Shooting nicht wie ein Model posen, dennoch fand sie es anstrengend, zeitraubend, obendrein lästig und hätte sich nun gerne nicht nur die Spuren des Händeschüttelns abgewaschen, sondern auch noch kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt, um sich ein Reset zu gönnen. Nicht, dass sie dem Mann, dem sie von Tag zu Tag mit mehr Hingabe zu Füßen lag, ins Gesicht gähnte.
Weil ihr eben keine Erfrischung gegönnt war, zuckte sie wahrhaftig, als er beim Betreten des Raumes in die Hände geklatscht hatte. Zum Glück bemerkte er es nicht, auch nicht ihr müdes Blinzeln, denn bei seiner Ankunft war sie bereits vollständig entkleidet und kniete auf dem, mit Linoleum belegten Boden.
Linoleum!, graute es ihr jedes Mal, wenn sie dieses Zimmer betrat.
Winston hatte mal zwar zu ihr gesagt, dass es ihm egal war, ob sie auf verwitterten Holzdielen oder auf mit Gold durchwebten Marmor kniete. Er würde außer ihr nichts anderes wahrnehmen. Vor so viel Süßholzraspeln graute es ihr noch mehr, also versuchte sie den schrecklichen Bodenbelag, wie auch den Raufaserputz, die Sprossenfenster, die altmodischen Leisten und eigentlich alles, was sich in diesem Zimmer, dem Haus und überhaupt auf dem gesamten Grundstück befand – zu ignorieren.
Wie sie zu dieser Immobilie gekommen waren? Winston wollte keine einzige Sekunde mehr von ihr getrennt verbringen, war aber keinesfalls bereit, bei ihr einzuziehen. Das war ihm zu viel von ihrer Vergangenheit, vor allem von der, die mit der O-Elite und seinem toten Widersacher zu tun hatte. Mitten in der Stadt und dann auch noch in einem Hochhaus, in dem man eine Kleinstadt hätte unterbringen können, hieß für ihn eindeutig zu wenig Privatsphäre.
Da der Markt von heut auf morgen nichts Besseres anzubieten hatte … Er als Chef eines Bau- und Immobilienunternehmens keinen externen Makler beauftragen wollte … Sich es aber auch nicht erlauben konnte, einen seiner eigenen mit seinen extravaganten Wünschen und Anliegen vertraut zu machen, landeten sie kurzerhand hier. Genau da, wo sie kniete.
Ihre Fußspitzen zeigten akkurat zu den Zimmerecken, zwischen den Fersen wäre genug Platz für eine Sitzgelegenheit mit Aussicht.
Die Brust hatte sie auf dem Boden gebettet, wie auch ihr Gesicht. Die Arme hielt sie weit gestreckt, sodass sie trotz ausreichend Abstand mit den Fingerspitzen beinahe die Füße des abgenutzten Stuhles berührte.
Winston weidete sich in ihrem Anblick, und zwar jedes Mal, wenn er sie so vorfand. Gelegentlich dachte er darüber nach, wie unnatürlich ihr Körper verbogen war. Wie kräftezehrend es für sie sein musste. Dass vor allem die Gelenke darunter litten …
Dieses Mal waren es seine Nüstern, die flatterten. Und zwar vor Erregung.
Einmal, in einem einsamen Moment, wagte er es tatsächlich selbst diese Stellung einzunehmen. Der Hexenschuss hatte ihn drei Wochen außer Gefecht gesetzt. Statt an Konferenzen und Verhandlungsgesprächen teilzunehmen, verbrachte er die Tage auf dem Behandlungstisch seines Osteopathen und den Segeltörn, der schon von langem geplant war, musste er auch sausen lassen. Nur zwischen ihr und ihm blieb auch in dieser Zeit alles wie gewohnt und dafür hatte vor allem Sam gesorgt. Mit ihrer Demut, Hingabe und jeder Menge Geduld seinen Unarten gegenüber …
Geil – fiel ihm als Einziges dazu ein. Geiler Anblick, geiler Körper, geile Frau und auch er war geil.
Ihre Arme lagen so knapp bei den Ohren, dass sie das Sausen, als er den Gürtel aus den Schlaufen zog und den Pfiff, beim Schwingen durch die Luft, kaum hörte und der Hieb sie so überraschte, wie die Ohrringe, die er ihr erst letzte Woche geschenkt hatte.
Ein Knurren? Ein Schnurren?, rätselte er. Er war kein Katzenfreund, obwohl er sich noch an den fetten Kater erinnern konnte, der seiner Mutter gehört hatte und der zeitgleich mit dieser aus seinem Leben verschwunden war. Als kleiner Junge hatte er ihn oft gestreichelt. Er mochte das Knistern, das dabei entstand, ebenso sein Schnurren und …
Winston zog das Sakko aus, warf es über die Lehne des wackeligen Stuhls, strich sich mit der Hand über den Ärmel des Hemdes, unter dem sich sein behaarter Unterarm befand und rief sich das Gefühl in Erinnerung. Sogar heute bescherte es ihm Gänsehaut und ließ die Haare auf seinem breiten Nacken tänzeln, wenn er an die Krallen dachte, die der Kater gewillt war, ihm in die zarte Kinderhaut zu rammen, es aber aus einem, Winston unbekannten Grund, nie getan hatte.
War das die Bullenpeitsche?, versuchte er sich zu entsinnen. Nein, bei dem Hieb stand er weit hinter ihr, um kräftig ausholen zu können. Das Wachs?, sah er kurz zur Decke, aber nur für einen Moment. Umgehend senkte er den Blick, damit ihm nicht entkam, wie der Gürtel für den Bruchteil einer Sekunde einen tiefen Graben in ihr Gesäß hinunterdrückte, bevor sich dieser in einen roten Streifen verwandelte. Ja, genau!, seine Augen erstrahlten bei der Erinnerung. Die Klammern!, war ihm, als wäre es erst ein paar Atemzüge her, als er die Arretierung gelöst hatte, worauf sich die Seilwinde in Windeseile zu drehen begann, dabei das Band aufgerollt wurde und Sam eine Klammer nach der anderen von der Haut gezogen bekam. Mit Absicht hatte er sie nicht gefesselt, ihr lediglich erlaubt, ihre Hände auf seinem Unterarm abzulegen. Wie der Kater damals ließ sie ihn ihre Nägel spüren. Als wäre sie dadurch mit ihm verschmolzen, fühlte er genau, was in ihrem Körper, in ihrem Kopf vorging. Ihren inneren Kampf, das Verlangen, das Band wie den Schmerz aufzuhalten, mit dem Wissen, dass auch die Lust und Befriedigung abrupt ihr Ende finden würden. Im Rhythmus ihres Herzschlags wie auch des Pulsierens in ihrem Becken, ließ sie ihn die Nägel spüren, ohne ihm auch nur einen einzigen Kratzer auf der Haut zu hinterlassen.
Ein tiefer befreiender Seufzer entsprang seiner Kehle, was ihm neuen Schwung bescherte und ihn zuschlagen ließ, wie noch nie zuvor.
Als hätte er selbst einen Hieb verpasst bekommen, hielt er mitten in der Bewegung an und sah sie prüfend an. Doch entgegen seiner Bedenken geschah nichts. Außer, aber das konnte er sich auch nur eingebildet haben, sie ihren wohlgeformten Hintern, dieses wunderbare Instrument, auf dem und mit dem er intensivst und mit Hingabe sondergleichen spielte, ein klein wenig höher in die Luft streckte. So – als …
„Mr. Muchiol hier, Mr. Muchiol da“, erklang ihre affektierte Stimme aufs Neue in seinem Ohr. Gleich darauf zierte ein weiterer roter Streifen wie Leuchtreklame ihr wundervolles Hinterteil. Dann erschien auch noch ihr Blick vor seinen Augen, das trübe Blau, wie kurz vorm Regen und er schlug ein weiteres Mal zu.
„Ich hasse Eifersucht, und zwar jede Art …“, trug er ihr sein Zischen oder eher Fauchen zu und bescherte ihr Gänsehaut, die sich, wie Schall in Wellen über ihren gesamten Körper verbreitete.
Ihr Zeigefinger klopfte unkontrolliert einige Male auf den verhassten Bodenbelag. Spätestens jetzt war es an der Zeit aufzuspringen und klarzustellen, dass Eifersucht hier nicht das Problem war. Das hieße allerdings, dieses wundervolle Gefühl abrupt zu beenden.
Eiskalt zu duschen war nicht ihr Ding, also setzte sie ihren Willen durch. Der protestierende Zeigefinger fügte sich und reihte sich zu all den anderen, weit gespreizten und auf dem abstoßenden Linoleum ruhenden Fingern dazu.
Die Striemen wie ein rotes Tuch anstarrend, schwenkte er ein weiteres Mal den schweren ledernen Gürtel und „Ah“, holte tief Luft, um weiter kundzutun, was seine Seele so schwer belastete und ihm die Galle zum Überkochen brachte.
Der Gürtel war schneller, als was ihm die erste Silbe über die Lippen gesprungen wäre. Er war auch nicht mehr aufzuhalten, als sie, statt das Codewort auszusprechen, die Hand erhob und wie ein Stoppschild ihm entgegen richtete.
Sofort ergriff er diese, zog sie daran hoch auf die Beine und ehe sie sich versah, schloss er sie in seine Arme.
„Das …“, seine Stimme zitterte genauso stark, wie ihr Körper.
„… haben wir beide zu verantworten“, sah sie ihm direkt in die Augen.
„Ich …“, fing er von neuem an.
„… habe es nicht gleich unterbunden, wie ich es hätte tun sollen, es aber eben nicht tat.“
„Du …“, versuchte er es ein weiteres Mal.
„… hast etwas getan, was nie wieder vorkommen wird. Das wissen wir beide“, sagte sie mit solcher Strenge in der Stimme, dass er geneigt war, sich umzusehen, ob jemand anderer zu ihm gesprochen hatte, weil ihr Körper gar nicht aufhören wollte zu zittern.
„Sam …“
„Wir klären das ein anderes Mal, okay?“ Sogar ihre Lippen zitterten, als stünde sie im eiskalten Wasser. „Ich kann jetzt … Nein, das stimmt nicht. Ich will jetzt nicht. Ich würde dies …“, sie schlängelte sich aus seiner Umarmung heraus, nahm seine Hand und platzierte die Handfläche auf ihrer pochenden Pobacke. Das Feuer, das darin wütete, kroch sofort seinen Arm hinauf. „Ich würde dies gerne fortsetzen, Sir“, rieb sie ihre Wange an seinem Bart.
„Warte hier“, hauchte er ihr ins Ohr, worauf sie alle Berührungspunkte löste, sodass er ohne Weiteres den Raum verlassen konnte.
Nach einer Weile kam er mit einer prall gefüllten Reisetasche zurück. Mit lautem Knall ließ er diese auf den Boden fallen und machte sich umgehend ans Werk.
Ungewollt führte er ihr dabei den nächsten Störfaktor vor Augen – die niedrigen Decken. Er musste sich nur etwas strecken, auf die Zehenspitzen stellen und schon konnte er den Ring an den Haken hängen, an dem wohl irgendwann in der Vergangenheit ein Lüster gehangen hatte. Dann öffnete er den Reißverschluss der Reisetasche und holte das erste Seil heraus.
Sam achtete genau auf jede seiner Bewegungen. Wie er das Seil in die Hand nahm, ob er es nur in einer Hand hielt oder auch mit der anderen zupackte. Es war ja schließlich nicht die erste Fesselung, die er an ihr vornehmen wollte.
Auch, wenn Tanzen nicht zu ihrer bevorzugten Freizeitbeschäftigung gehörte, beherrschte sie einige der Standardtänze. Am Anfang ihrer Beziehung bugsierte Winston sie noch in die gewünschte Stellung, brachte ihre Arme und Beine in die erforderliche Position. Inzwischen wusste sie schon anhand seines ersten Griffes – der Einleitung der Session, welcher Schritt als nächster folgen würde und kam ihm entgegen, indem sie ihre Arme hinter den Rücken führte, die Ellenbogen anwinkelte und die Unterarme übereinanderlegte.
Dass ihm ihr Vorgehen gefiel, drückte er mit einem Kuss aus, den er auf ihre nackte Schulter platzierte. Dann entfernte er sich wieder von ihr, allerdings erst, nach dem er die erste Schlaufe um das rechte Handgelenk, das neben ihrem linken Ellenbogen ruhte, gelegt hatte.
Die Schlaufe des zweiten Seilstrangs wurde um ihren rechten Knöchel festgezogen. Dann folgte noch Seilstrang Nummer drei und vier, am Schluss noch eine Schlinge um ihren Hals. Gerade bei dieser gab er sich besonders Mühe. Sie sollte nicht zu eng anliegen. Der Hals und Kopf sollten nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein. Zumindest nicht so sehr, dass es zu einer Verletzung führen konnte. Die Schlaufe sollte wiederum so eng sein, dass sie das Seil bei jedem Atemzug, bei jedem Schlucken oder Laut deutlich zu spüren bekäme.
Winston fing an, die Seilstränge um ihren Körper zu wickeln und zu flechten. Bis von jedem nur noch ein Stückchen übrig blieb. Die losen Enden steckte er unter die feste Schnürung und betrachtete anschließend sein Werk.
Die Lippen zu einer Schnute gezogen, bewegte er diese im Kreis, als würde er Gesichtsgymnastik betreiben. Auch, wenn es in dem dichten Bart kaum zu erkennen war, er spürte es deutlich. Das Ziehen entlang des Unterkiefers reichte bis zu seinen Ohren. Nein, er war über ihre Eifersuchtsszene immer noch nicht hinweg. Entsprechend eng war Sams Fesselung auch ausgefallen.
Verärgert runzelte er die Stirn und streckte schon den Arm aus, um das eine oder andere Seil ein wenig zu lockern, als er ein Geräusch vernahm, das ihr über die vollen, rosaroten Lippen gerutscht war.
Wieder dieses Schnurren oder Knurren, vielleicht lediglich ein Seufzer. Da einer der Seilstränge wie ein Knebel zwischen ihren Lippen steckte, konnte er bei bestem Willen das Geräusch nicht eindeutig identifizieren. Dennoch nahm er es sich zum Anlass, nichts an der Fesselung zu ändern. Er vertraute darauf, dass sie sich bemerkbar machen würde, ginge ihr etwas total gegen den Strich. Egal wie viel Demut sie ihm im Spiel entgegenbrachte, sie konnte gewaltig auf den Tisch hauen. Und nicht nur auf den Tisch, wie er schon mal selbst am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte.
Den nächsten Kuss platzierte er ihr diesmal auf die rechte Schulter.
Seil Nummer sechs und sieben wurden aus der Tasche entnommen, beide durch den Ring geführt, den er zu Beginn an den Haken gehängt hatte und ihre Enden an der bereits abgeschlossenen Fesselung verknotet.
Ein Seilende behielt er in der Hand. Kurz davor, daran zu ziehen, stoppte er und sah sie an, wie sie angestrengt atmete. Die feste Schnürung hinderte ihren Brustkorb, sich wie gewohnt zu dehnen und das eine Seil zog ihr die Mundwinkel beinahe bis zu den Ohren. Es sah aus, als würde ihn Joker angrinsen. Fies angrinsen und verhöhnen. Und wieder kam ihm die Eifersuchtsszene in den Sinn. Kurz presste er die Lippen aneinander, dann wischte er ihr den Batzen Spucke von der Unterlippe weg und zog fest an dem Seil, das er in der Hand hielt.
Sam drehte eine Pirouette während sie hoch in die Luft stieg.
Gott! Lass dich nicht von Wut leiten!, ermahnte er sich selbst. Die Wutausbrüche seines Vaters waren auch nach all den Jahren immer noch in seinem Gedächtnis präsent. Zu seinem Schutz musste er jedoch gestehen, dass seine Mutter jedem testosterongesteuerten Wesen hinterher gelaufen war. Das war sogar ihm, einem kleinen Jungen, nicht entgangen.
Ich würde dich nie betrügen. Nie!, sprachen seine Augen zu Sam, während er ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Die Strähnen, die ihr auf der Wange klebten, blieben.
Kaum berührt, bewegte sie den Kopf in seine Richtung, um die Berührung auszukosten. Zuerst wollte er sich entziehen, beließ die Hand dennoch eine Weile an derselben Stelle. Und während sie mit seinem Handrücken kuschelte, zog er ein weiteres Mal an dem Seil.
Die nächste Drehung folgte. Ein Seufzen ertönte, ein paar Rippen knackten und eine ihrer Fersen landete direkt vor seinem Gesicht.
Winston band das Ende des Seils fest, um es loslassen zu können. Aus der Tasche der Weste, die er über dem Hemd trug, holte er ein mehrspuriges Wartenbergerrad heraus.
Sanft tippte er damit ihre Nasenspitze an. Sams Blick folgte der Gerätschaft, weshalb sie kurzfristig zu schielen begann. Weil ihr das auf den Magen schlug, schloss sie für einige Augenblicke die Augen. Genau diese Zeit nutzte er dafür aus, um die Manschettenknöpfe abzulegen und die Ärmel hochzukrempeln.
Kein Zucken, auch nicht der Versuch sich zu entziehen. Lediglich die Zehen spreizte sie so weit, dass es den Anschein machte, sie würde versuchen, das Spielzeug wie mit einer Hand zu ergreifen, als er ihr mit diesem über die Fußsohle geglitten war. Das ließ ihn dann doch diese Eifersuchtssache vergessen und zauberte ihm ein amüsiertes Schmunzeln ins Gesicht. Grund genug, ihr mit dem Folterwerkzeug erneut über die Fußsohle zu rollen.
Schon bei der Anwendung des klassischen, einspurigen Rads hörte sie jedes Mal auf nachzudenken, ob es lediglich ein Kitzeln oder wahrhaftig schmerzhaft war, sondern folgte ausschließlich den Impulsen, die der Kontakt mit dem Folterinstrument bei ihr erzeugte. Als hätten sämtliche Nervenbahnen in ihrem Körper ihre Wege verlegt, mündeten sie plötzlich allesamt in ihrem Becken.
So lange sie sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte, löste er den Knoten, zupfte an dem Seil, worauf sie wie eine Feder kurz in die Luft stieg, sich dabei ein weiteres Mal um ihre Achse drehte und mit einem Mal wie ein Hampelmann mit weit gespreizten Gliedern von der Decke baumelte.
Das Geräusch, entsprungen ihrer Kehle berührte ihn wie ihre Hand, die so wundersame Dinge mit seiner Körperbehaarung anstellen und ihm auch sonst ganz besonderen Genuss bereiten konnte.
Winston klemmte das Rad unter einen Seilstrang. Und zwar unter dem Strang, der eine Hand breit unter ihrem Nabel platziert war, sodass die Räderborsten den empfindsamsten Punkt, den ihr Körper besaß, berührten. Er wollte beide Hände frei haben, um sich des Hemdes zu entledigen, kam vorerst jedoch nicht dazu …
„Wow – stopp, stopp“, lachte er sie grunzend, ja beinahe grölend an, nachdem die Berührung eine regelrechte Explosion an Gefühlen in ihr auslöste und sie vom Vorspiel beinahe direkt ins Nirwana beförderte. Trotz, dass er das Rad augenblicklich entfernte, dauerte es mehrere Minuten, bis ihr Zucken nachließ und das Beben in ihrem Inneren abflachte. Nur ihr Schnaufen dauerte auch weiterhin an.
„Oh“, weitete er die Augen unter den dichten Augenbrauen. „Ein tolles Werkzeug. Hätte ich geahnt, wie sehr du es liebst, hätte ich es schon viel früher abgestaubt.“
Die Bondage war eng – Sam befand sich kurz vorm Hyperventilieren. Ihr erregter Körper verbrauchte mehr Sauerstoff, als wie sie ihm frischen zufügen konnte. Gelegentlich befiel sie Schwindel, der ihre Augen mit einem Nebelschleier bedeckte.
Winston presste die Lippen aufeinander, während seine Augen weiterhin vor Freude funkelten. Dann knöpfte er sein Hemd auf, klemmte das Rad an dieselbe Stelle und …
„Gott, ich schaffe es nicht einmal das Hemd abzuwerfen, so schnell bist du!“, rief er begeistert, aber sie vernahm es kaum, denn der Druck in ihrem Becken entlud sich in Richtung ihres Kopfes und betäubte kurzfristig ihr Gehör.
„Oh, Mann!“, wäre zu verstehen, wenn sie nicht den Seilknebel zwischen den Zähnen hätte.
Sam unternahm einige Versuche, sich zusammen zu rollen, ihren Körper wie eine Faust zu schließen, aber neben der fehlenden Kraft ließ es die Fesselung nicht zu.
Er gönnte ihr eine Pause und zog sich neben dem Hemd auch gleich die Hose aus. Beim nächsten Durchgang trug er nur noch die Shorts und Socken.
Mit Daumen und Zeigefinger öffnete er die Auster und rollte die Borsten direkt über die offengelegte Perle. Die Antwort kam postwendend und fiel so heftig wie noch nie aus.
Er hatte schon Fische um ihr Leben zappeln gesehen, aber seine Verlobte war ein Fang sondergleichen.
„Dies ist wahrhaftig eine Perle …“, saugte er sich daran fest.
Der, mit dünnen Schweißfilm bedeckte Körper bäumte sich auf. Sie bekam Schlagseite, kippte in der Hängebondage kopfüber um und stieß mit der Nasenspitze gegen seinen verborgenen Schatz.
Der Aar regte sich sofort. Anfangs versuchte Winston sich ihrem heißen Atem zu entziehen, tänzelte etwas unbeholfen umher, ohne ihre Perle auch nur für einen Atemzug lang freizugeben.
Sam zuckte, zappelte, rüttelte an den Fesseln und schnaufte sich zunehmend in einen Ohnmachtsanfall hinein.
„Du machst mir jetzt einen Strich durch die Rechnung, aber … Dafür werde ich dich ein anderes Mal zur Verantwortung ziehen“, knurrte er sie an, zog den Bund der Shorts bis zu den Schenkeln runter. „Zunge raus!“, herrschte er sie an und kaum war ihre Zungenspitze zum Vorschein gekommen, schob er sein strammes Glied über den roten Teppich, mit dem sie den Seilknebel bedeckte, in ihren Mund hinein.
Sam konterte umgehend mit lautem Röcheln.
Mit seiner Zungenfertigkeit und dem spitzfindigen Spielzeug wollte er sie besänftigen, aber als hätte er erst damit eine unbekannte Kraft entfesselt.
Er war noch nie beim Bullenreiten gewesen und auch mit einer Peitsche in seiner Hand würde er es nie wagen, sie mit solch einem Tier zu vergleichen. Dennoch war ihm, als säße er im Sattel einer wildgewordenen Bestie. Nicht nur einmal glitt sie ihm aus den Händen und nur der Knebel verhinderte, dass er währenddessen nicht aus ihrem Mund hinausgerutscht war.
„Komm her“, raunte er, ergriff das Seil, das um ihren Hals geschnürt war und hielt sie daran fest, während der Rest ihres Körpers einen sinneraubenden Tanz vollführte.
Winston stand die ganze Zeit wie festgewachsen. Ihr Ruckeln und Zappeln erledigte die ganze Arbeit, seine eigene Ekstase ließ nicht lange auf sich warten.
Das laute Grollen entstand tief in seiner Kehle. Es klang wie ein Vulkan vor dem Ausbruch und auch dieser ließ nicht lange auf sich warten. Um nicht selbst ins Wanken zu geraten, ließ er das Rad fallen, hielt sie weiterhin an dem Seil am Hals wie auch an der glühenden Stelle fest und zog sie fest an sich.
Die Spannung unter seinen Händen verwandelte den sonst so biegsamen Körper kurz in einen Felsen, dann schlagartig in eine Stoffpuppe.
Einen Augenblick lang hielt er sie lediglich fest. Dann schloss er die zu einer stattlichen Murmel angeschwollene Perle zwischen seine Finger ein und drückte zu. Die Marionette ohne jedwede Körperspannung verwandelte sich für einen Atemzug lang erneut zu einer Felsenstatue, sackte sogleich wieder in sich zusammen und gab sein bestes Stück frei.
Ihr Röcheln klang nicht unbedenklich. Es kam auch noch nie vor, dass sein Geschenk, wie er es zu nennen pflegte, nach seinem Höhepunkt gleich wieder und dann auch noch unkontrolliert in einer Fontäne über ihre Lippen gekommen war. Den Blick auf ihre Augen gerichtet, von denen ausschließlich das Weiße zu sehen war, schubste er mit dem Fuß den Haufen seinen Klamotten zur Seite, um Platz zu schaffen, wenn er sie gleich von den Seilen befreien würde.
Er ließ sich Zeit. Nicht, weil er sich der Gefahr nicht bewusst wäre, die von einer festen Schnürung und schlecht durchbluteten Gliedmaßen kam. Sam war noch weit weg. Auch, wenn er gerne in ihre Sphären eintauchen und sie bei ihrem Flug begleiten würde, nahm er die Seile Strang für Strang langsam von ihrem Körper, um nicht eine Bruchlandung auszulösen.
Irgendwann plumpste sie in seine Arme und er setzte sich gemeinsam mit ihr auf den Boden. Während er mit einem Arm festhielt, streifte er ihr die letzten Stränge von der geröteten und mit deutlichen Spuren übersäten Haut. Beim kurzen Kontrollblick begegnete er ihren Augen. Die Lider waren ein klein wenig offen und verrieten ihm, dass ihr Blick immer noch in ihr Inneres gekehrt war.
Als Allerletztes war der Knebel dran. Durchnässt, mit Spuckeschaum und Sperma überzogen, klemmte er zwischen ihren Zähnen. Er musste warten, bis sie zur Landung ansetzte, um ihn ihr entfernen zu können und gegen seine Lippen zu tauschen.
Ihr Kopf war auf seiner Schulter gebettet. Mit der linken Hand hielt er sie fest, mit der rechten pflückte er ihr die langen Haare aus dem verschwitzten Gesicht.
„Ich gestehe“, flüsterte er ihr zu. „Ich habe auf ein paar Tränen gehofft“, wischte er ihr mit der Daumenkuppe unterm Auge.
„Hm“, gab sie ihm als Antwort, ohne ihn anzusehen.
Ihre Lider fühlten sich an, wie aus Blei gegossen. Und, obwohl sie den Mund die ganze Zeit offen hatte, besaß sie jetzt nicht ausreichend Kraft, um die Lippen zu bewegen. Nur ihre Gedanken schienen von der Session nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Kaum hatte er die fehlenden Tränen erwähnt, kam ihr wieder die Sitzung mit ihrem Therapeuten in den Sinn. Und vor allem die allgegenwärtige Angst.
„Martha hat bestimmt schon das Abendbrot aufgetischt“, versuchte er sie zu irgendeiner Regung zu motivieren.
„Ich werde wohl nach der Dusche gleich ins Bett fallen“, versuchte sie sich als Bauchredner.
„Habe ich mein Spielzeug etwa kaputt gemacht?“, gluckste er amüsiert.
„Fühlt sich zumindest so an“, brummte sie weiter, auch wenn sie weniger die anstrengende Session, wie die harmlose Bemerkung bezüglich der fehlenden Tränen im Sinn hatte.
4
„Wo bist du?“, säuselte er ins Telefon.
„Auf dem Weg zum Hotel“, stieg sie aus dem Taxi, wartete, bis der Hotelpage ihre Koffer aus dem Wagen auslud und sich samt diesen ins Hotel begab. Erst dann betrat sie selbst die Lobby und nahm sich den, sie vor der Sonne schützenden Hut vom Kopf.
„Wie ist es in Nashville gelaufen?“
„Überraschend gut“, erhob sie die Augenbrauen. Weniger, weil sich Winston nach ihren privaten Geschäften erkundigte. Überraschend war nicht nur der Ausgang ihres Kurztrips auf den Spuren von Johnny Cash, sondern auch das Sichten des Empfangskomitees vor dem Check-in des Hotels mitten in der arabischen Wüste.
„Ach so?“, klang er verwundert. „Kehrst du jetzt etwa den Hochhäusern den Rücken und wechselst in die Spielhausbranche?“, kicherte er kindisch.
Sam sah auf die Uhr. Auch, weil der Mann, der ihr ungewohnterweise soeben zugewunken hatte, nicht der war, mit dem sie sich verabredet hatte und mit ihrer richtigen Verabredung auch, ihrem Wissen nach, keinen regelmäßigen Kontakt pflegte.
„Was ist gestern bei der Prüfung rausgekommen?“, erkundigte sich zur Abwechslung Sam.
Nach einem befreienden Seufzer folgte die Antwort: „Wir bekommen Schadenersatz. Du hattest recht. Der Kran entsprach nicht den Anforderungen …“
„Das wird die Aktionäre bestimmt freuen.“
„Weißt du, worüber ich mich freuen würde?“
Sam warf einen Blick über die Schulter, zurück zum Eingang des Hotels, aber außer ihr war weit und breit kein weiterer Gast zu sehen. Zumindest keiner, der nicht längst mit irgendwem in ein Gespräch vertieft wäre. Der Mann, der bei der Anmeldung stand, wartete offensichtlich auf sie. Und dass, obwohl sie nicht verabredet waren und er es gewöhnlich pflegte, um diese Zeit mit seinen Geschäftspartnern einem gemeinsamen Hobby nachzugehen. Zudem hatte er ihr früher noch nie zugewunken gehabt und sie obendrein der Meinung war, dass er gar solche Gesten als unpassend empfand.
Weshalb dieses Theater?, rätselte sie.
„Ich hätte dich auch gerne hier bei mir“, flüsterte sie in den Hörer.
„Hilf mir etwas auf die Sprünge. Ich habe dich schon so lange nicht gesehen, dass ich gar nicht weiß, wie du aussiehst. Noch immer blond?“
„Hm“, Sam schmunzelte, wohl wissend, worauf er hinaus wollte.
„Immer noch schlank und vollbusig?“
„Ich hatte im Flugzeug Nachschlag verlangt, also das mit dem schlank kann man wohl vergessen“, brummte sie, weil ihr das Essen wahrhaftig schwer im Magen lag.
„U-n-d …?“, trällerte er durch die Oktaven. „Was hast du an? Etwa dieses weiße Kleid? Mit dem versteckten Reißverschluss?“
Sam erinnerte sich an das eine Mal, als er sie gefesselt und geknebelt hatte und dann ewig lang brauchte, bis er den Reißverschluss fand, um ihr das Kleid auszuziehen. Am Ende konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu lachen. Das hat zwar nicht zur Vereitelung seines Plans für den Abend geführt, lediglich die Ausführung etwas in die Länge gezogen.
„Nein. Das blaue, das so gut zu deinem silbergrauen Anzug passt …“
„Oh, gut, dass du es sagst. Der muss endlich in die Reinigung.“
„Was steht sonst noch bei dir an?“
„Neben dem öden Treffen mit den Aktionären?“
„Es gehört zu deinem Job. Tut mir leid, dass es dir keine Freude bereitet.“
„Sag bloß, dass dir all die Meetings, Präsentationen und Klausuren Spaß machen.“
„Das ist wie das Umziehen vor dem Sport.“
„Notwendiges Übel?“
„Nein – Vorspiel.“
„Apropos Vorspiel …“, knurrte er.
Sam schwieg und wartete. Nicht nur darauf, was ihr Verlobter als Nächstes sagen würde. Sie war stehen geblieben. Das sonderbare Verhalten ihres Geschäftspartners, wegen dem sie nicht hergeflogen war und mit dem sie auch in absehbarer Zeit kein Treffen geplant hatte, behagte ihr nicht.
Winston hingegen erwartete von ihr zumindest ein geknurrtes „Ja?“, aber da es nicht gekommen war, fuhr er nach kurzem Schweigen fort. „Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Vor vier Tagen? Gott, ist das lange her. Ich weiß gar nicht mehr, wie du dich anfühlst …“
Sam nahm seine Worte mit gemischten Gefühlen an. Sie mochte Anrufe dieser Art … Wenn sie im Taxi saß, alleine in ihrem Büro über den Plänen und Verträgen brütete oder wie jetzt, ohne ihn unterwegs war. Ihr Verlobter neigte jedoch dazu, sie auch bei Treffen und während geschäftlicher Sitzungen anzurufen, um sie wortwörtlich zu quälen. Im Gegenteil zu seiner Vermutung verging sie dabei nicht vor Lust. Es war ihr schlichtweg peinlich. Die eingefahrenen Muster ihres über Jahre eingeübten Arbeitsalltags konnte sie bislang nicht ablegen.
Diesmal entschied sich Sam, den Spieß umzudrehen. „Was hast du an, wenn nicht den silbergrauen Anzug, den ich so liebe, weil er sich so wahnsinnig weich anfühlt, wenn ich dir über die Hosenbeine streichle?“
„Hast du etwa einen Anzugfetisch? Ich dachte, ich bin dein Fetisch“, klang er enttäuscht.
„Noch lieber als den silbergrauen mag ich den dunklen, den mit dem metallischen, stahlblauen Schimmer.“
„Hä?“, ging er im Geiste seinen gesamten Anzugbestand durch. Was meint sie mit …?, runzelte er die Stirn, während er mit der freien Hand den Rand des Bademantelausschnitts knetete. „Oh!“, wurde ihm klar. „Der gehört wieder mal gestutzt“, ließ er das Frottee los und versuchte auf die Art mit den Fingern durch sein Brusthaar zu gleiten, wie es Sam wusste zu tun. Aber nur sie besaß diese Gabe, sodass er Gefallen daran gefunden hatte und damit aufhörte, sich zu rasieren. Seine Finger jedoch beherrschten diese Kunst nicht. Wenn er sich durch die Behaarung strich, fühlte sich sein Bart lediglich nach borstigen Haaren an. Wie ein Wildschwein. Oder ein ungepflegter Hund …
Winston erschauerte.
„Wage es nicht“, drohte sie, warf dabei einen Blick zur Seite und begab sich zu der Säule, um sich kurz anzulehnen und dem Mann, der ihr sehr charmant zulächelte, deutlich zu zeigen, dass sie kein Treffen vereinbart hatten und er sich gedulden musste, wenn er an diesem Tag etwas von ihr wollte.
„Was sind das für Töne von einer Sub? Ehrst du etwa auf diese Art und Weise deinen Herrn?“
„Ich würde meinen Herrn gerne ehren, nur leider bin ich Tausende von Kilometern entfernt“, seufzte sie bedrückt.
„Lass dir was einfallen, aber hurtig!“, herrschte er sie mit einem tiefen Ton an.
„Wie ich meinen Herrn kenne, trägt er diesen anthrazitfarbenen Bademantel mit der schmalen Kordel, der ab Bauchnabel abwärts immer aufgeht und mir Blick darauf gewährt, was mein Herr immer als Belohnung für mich bereithält.“
„Möglich“, brummte er erregt.
„Wäre ich jetzt bei meinem Herrn, was ich bedauerlicherweise nicht bin“, seufzte sie theatralisch, worauf er laut stöhnte, „würde ich jetzt vor ihm knien und mit der Zungenspitze den Nagel seiner großen Zehe nachzeichnen …“
Sie vernahm Geräusche und resultierte daraus, dass er schnell die Socken auszog, um sich in die Situation besser versetzen zu können.
„Als nächstes würde ich seinen Riss verwöhnen, denn wenn ich diesen anhauche …“
Nun hauchte er in den Hörer.
„… erbebt der Boden unter meinen Füßen.“
„Und weiter? Ich muss bald los, die Aktionäre lässt man nicht warten“, spornte er sie an.
„Willst du einen Quickie oder was Intensives?“, fauchte sie ihn an.
„Hmm, mach einfach weiter.“
„Sind deine Waden noch nass? Denn wenn sie nass sind, bilden die Haare Muster, die – folgt man ihnen mit dem Blick – hypnotische Wirkung haben. Auf mich jedenfalls und ich liebe den Duft, der darin haust.“
„Haust? Übrigens – ich habe das Duschgel vergessen, also habe ich das vom Hotel verwendet. Nix besonderes“, bemerkte er lapidar.
„Es geht nicht um das Duschgel, es geht um den Duft, den du ständig mit dir trägst …“ Sam holte tief Luft. Nach vier Tagen roch sie selbst nicht mehr nach ihm, aber seinen Duft trug sie immer noch in ihrer Nase.
„Meinst du etwa, ich stinke?“, war er entsetzt.
Sam seufzte. „Ich habe Zeit, aber du solltest die Aktionäre echt nicht warten lassen. Also …“
„Du tust es schon wieder!“, wies er sie in die Schranken.
„Du lässt mir ja keine andere Wahl“, schluchzte sie bemitleidenswert.
Winston ging zum Fenster seines Hotelzimmers und blickte durch die dicht gewebten Gardinen in die Tiefe. Trotz des Regens war die Straße voll von Menschen, die sich unter Regenschirmen versteckten.
„Du magst es zwar nicht, wenn ich mit den Fingern über deine Schenkel streichle, als würde ich sie modellieren …“
Winston war kitzlig. Gegen die Behauptung, die sie mal in irgendeinem Zeitungsartikel gelesen hatte, war er auch im erregten Zustand immer noch kitzlig und zuckte jedes Mal unkontrolliert, wenn sie sich mit den Fingern durch seine dichte Körperbehaarung wühlte. Spätestens an dieser Stelle war das Vorspiel zu Ende und sie musste direkt zur Sache kommen.
Sam schmatzte genüsslich, Winston röhrte wie ein Elch, im Hintergrund klopfte jemand an seine Hotelzimmertür.
„Ich mag es, wenn sich mein Speichel in deinen Haaren verfängt und erst diese sinneraubende Atemnot, wenn dein dicker Kolben tief in meinem Rachen steckt …“
Am anderen Ende der Leitung ertönte ein hysterisches Kreischen einer Frau.
„Scheiße!“, meldete sich Winston.
Sam zog ihre Stirn in Falten und wartete auf eine Erklärung.
„Zimmerservice“, blieb er knapp.
„Vor oder nach …?“, erkundigte sie sich und überlegte unterdessen, ob sie schadenfroh oder entsetzt sein sollte.
„Sieh zu, dass du bald nach Hause kommst. Dann darfst du mir dieses Missgeschick aus den Erinnerungen blasen.“
Sam sah zum Empfang, wo der Mann geduldig darauf wartete, bis sie ihr Telefonat beendete. „Glauben Sie mir, Sir, am liebsten würde ich gleich den nächsten Flug nehmen …“, gestand sie ihrem Verlobten.
„Pass gut auf dich auf, Honey.“
„Bleiben Sie achtsam, Sir“, schluckte sie den Kloß hinunter, den ihr schon länger das Atmen erschwerte.
Nur kurz hörte sie noch seinem Kichern zu, dann legte sie auf.
„Sir, welche Überraschung!“, beförderte sie das ungute Gefühl in die Warteschleife, setzte das eingeübte Geschäftslächeln auf und ging auf den Wartenden zu.
„Ich war nicht dazu gekommen, Sie im Krankenhaus zu besuchen. Nun wurde mir zugetragen, dass Sie sich mit einem Bekannten eines Bekannten …, na, Sie wissen schon, von mir treffen.“
„Sir, das klingt …“
„Oh nein!“, lachte er genauso oberflächlich-freundlich, wie sie es von früher von ihm gewohnt war. „Das war keine anzügliche Bemerkung. Ich kenne Musafir zwar nur flüchtig, aber als ich um Rat gefragt wurde, musste ich umgehend an Sie denken und habe Sie empfohlen.“
„Das ist mir sehr wohl bekannt, Sir. Verdanke ich etwa Sheikh Umar ibn Musafir unser Wiedersehen?“
Nun versiegte das Lachen in seiner Kehle und auch sein Gesicht bekam endlich den Ausdruck von, na ja, zumindest halber Ehrlichkeit.
„Nein.“
Sam zeigte auf eine der Sitzgelegenheiten, die sich abseits des Tumults am Rande der Empfangshalle befanden. „Was kann ich für Sie tun, Sir?“
Der Sheikh ließ ausnahmsweise ihr den Vortritt und folgte ihr bis zu den zwei weißen ledernen Sesseln. Sie hatten noch nicht einmal Platz genommen, stand schon ein Mitarbeiter des angrenzenden Restaurants parat, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Ehe Sam ablehnen konnte, bestellte der Sheikh einen Fruchtcocktail für sie. Einen von denen, die sie während ihrer Geschäftstreffen gelegentlich getrunken hatte.
Sam hätte sich am liebsten mit beiden Händen ins Gesicht geklatscht, um nicht der Paranoia zu verfallen. Alles in ihr schrie danach, sich umgehend zu verabschieden und das Weite zu suchen. Sie war üblicherweise die jene, die sich alle Einzelheiten merkte, um Interesse zumindest vorheucheln zu können, wenn alles andere schon nicht der Rede wert war. Er war der, der sich erst nach einem halben Jahr ihren Namen gemerkt hatte und sich auch sonst keine Mühe gab, irgendwas zu behalten, weil er stets jemanden an der Seite hatte, der ihm soufflierte, wenn er mal Fakten brauchte. Nur, dass Sam diesmal wahrhaftig das Gefühl hatte, er war ganz alleine gekommen.
„Man bat mich, ein Treffen zu vermitteln. Nur deshalb bin ich hier und raube Ihnen Ihre kostbare Zeit.“
Sam war übel von so vielen Schmeicheleien. Schon als sich Winston um sie bemühte, fand sie seine Avancen widerlich. Dennoch war sie hier und gerade jetzt bemüht, die hervorgerufenen Gefühle zu unterdrücken, um die Botschaft zu erkennen, die sie in dem merkwürdigen Verhalten und sonderbaren formulierten Sätzen ihres Gegenübers vermutete.
„Sie wollen mich hoffentlich nicht für ein Attentat anheuern“, sprach sie die Umstände ihrer letzten Begegnung an.
„Keinesfalls“, antwortete er umgehend, ließ sich jedoch mit weiteren Auskünften Zeit. Erst nach einer ganzen Weile rückte er mit der Sprache raus: „Danilo Rascharow möchte Sie unbedingt treffen.“
Sam nahm ihre Handtasche fester in die Hand und wollte aufstehen, als er sich nach ihr streckte und nur andeutete, ihr seine Hand aufs Knie zu legen, um sie zurückzuhalten.
„Das klingt danach, als hätte ich mit meiner unüberlegten Bemerkung ins Schwarze getroffen.“
„Ich bin nur der Vermittler. Mein Auftrag ist es, Sie um ein Treffen zu bitten. Mehr nicht.“
„Sie glauben doch nicht etwa, dass sich etwas völlig Harmloses hinter seinem Anliegen verbirgt und ich mir unnötig Gedanken mache?“
„Nein.“
„Wieso sind Sie dann hier?“
„Er hat mir einen Gefallen getan. Als es darum ging, mich für den Dienst, den er mir erwies, erkenntlich zu zeigen, verzichtete er auf das Geld und materielle Entschädigung und bat mich stattdessen, Sie zu einem Treffen mit ihm zu überreden. Sie mögen entscheiden, wann und wo. Das Einzige, was ich dazu noch sagen kann: Mir schien, es ist ihm sehr wichtig.“
„Ich habe den Verlobten seiner Tochter erschossen.“
„Wie ich hörte, hat Mr. Muchiol um Ihre Hand angehalten.“
„Ja“, seufzte sie.
Da war sie wieder, diese Angst, die sie von innen versuchte aufzufressen. Dieser Schmerz ging über jede bislang erlebte Session hinaus. Sie konnte ihn kaum aushalten. Und sie hasste ihn wie nichts anderes in ihrem Leben.
„Wenn Sie Mr. Rascharow nicht trauen, kann ich …“
„Sie sagten doch, Sie trauen ihm selbst nicht.“
„Ich treffe mich auch nicht unter vier Augen mit ihm.“
Sam stand schneller auf, als was er erneut versuchen konnte, sie zum Bleiben zu bewegen. „Das muss ich mit meinem Verlobten besprechen.“ Sam nickte ihm zum Abschied zu und eilte, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, zum Empfang, um sich endlich den Schlüssel zu ihrer Suite aushändigen zu lassen, in der ihr Gepäck längst auf sie wartete.
5
Seit Sam von dem großen Muchiol Konzern zu der kleinen, aber nicht weniger erfolgreicher MIR Enterprises gewechselt hatte, hatte sich vieles in ihrem Berufsalltag verändert. Sie hetzte auch weiterhin neuen Aufträgen hinterher, allerdings war sie an keine Vorgaben mehr gebunden und musste sich niemandem mehr verantworten, ausschließlich nur noch Memos und kurze Erfolgsberichte vorlegen. Das Tagespensum ihrer Aufgaben war seit dem jedoch nicht einmal mehr in einem 48-Stunden Tag unterzubringen. Auch dann nicht, wenn sie auf das Firmenfuhrwerk samt Fahrer oder Pilot zugriff.
Dennoch hinkte sie ihrer Arbeit nicht hinterher, erledigte eben mehrere Aufgaben zur selben Zeit und delegierte trotzdem kaum etwas weiter, obgleich sie über mehr Mitarbeiter verfügte, als ihr ehemaliger Vorgesetzter.
Während die wenigen Männer in gleichwertigen Positionen die Architekten und Baumeister, die für den Immobilien-Konzern tätig waren, zu Rate zogen, konsultierte Sam weiterhin ihre persönlichen Favoriten – meist kleine, selbständige Kreativköpfe, die ihren Projekten das gewisse Etwas verliehen und wegen genau diesem sie bei ihren Auftraggebern so gefragt war.
Früher belächelte man ihre Unart – so bezeichnete man das tatsächlich – statt sich von ihr inspirieren zu lassen. Auch das war nun anders. Die Konkurrenz in eigenen Reihen schlief nicht und sie musste immer öfter nach neuen Kontakten Ausschau halten. Obwohl im gleichen Becken schwimmend, warben ihr die Haie die Quellen und Zulieferanten ab, sodass sie sich ständig etwas Neues einfallen lassen musste, um aus der Masse, nicht nur ihres Rockes wegen, herauszustechen.
„Sagen Sie Bob, das kann er besser“, ergriff sie den abwaschbaren Filzstift und kreiste einige Stellen auf der Projektion des Entwurfes an. „Das gibt es schon an jeder Straßenecke. Wie ich gehört habe, rechnen Sie für seine Dienste das Doppelte von dem Budget ab, mit dem ich bislang unsere Konten belastete. Dann soll er für das viele Geld wenigstens Etwas noch nie Dagewesenes präsentieren.“
Die Männer im Raum sahen sich gegenseitig an, dann richteten sie ihren Blick auf dem Chef des kleinen, aber sehr gefragten Unternehmens.
„Und womit überraschst du uns heute, Sam?“, ergriff Winston das Wort. „Doch nicht etwa mit dem Baumhaus, wegen dem du mit dem Firmenflugzeug nach Nashville geflogen bist.“
Dieser Krieg ging auf ihre Kappe, denn Männer hielten ja bekanntlich zusammen. In ihrer Reihe war auch weiterhin kein Platz für eine Frau. Nicht einmal für eine wie Sam.
Nachdem das verachtende Lachen versiegt war, steckte Sam ihr Tablet an den Projektor an und startete die Präsentation.
„Nein, kein Baumhaus. Auch, wenn der Vorschlag, mit dem Firmenjet mitzufliegen, der sowieso nach Nashville geflogen wäre, um deinen Großonkel abzuholen, deine Idee war“, suchte sie Blickkontakt zu ihrem Verlobten, der sie daraufhin zähnefletschend angrinste.
Auf der Wand aus Milchglas erschien eine Zeichnung. Kein Plan, eher ein Aquarell. Obwohl das Bild verspielt und bei diesem Publikum deplatziert wirkte, überzeugte es alle Anwesenden mit der angedeuteten Größe.
„Ein Hochhaus?“, der Widersacher, der sich ihren besten Newcomer auf dem Architektenhimmel unter den Nagel gerissen hatte, klang enttäuscht.
Sie mobbten sie und zogen ihr Bestreben ins Lächerliche, aber in Wirklichkeit hatten alle Respekt vor ihr, wenn nicht gar Angst.
„Ein Hochhaus?“, wiederholte Winston, als wollte er es selbst nicht glauben. Ein stinknormales Hochhaus, von denen es rund um den Globus bereits Unmengen gab.
Sam strich über den Touchscreen ihres Tablets, worauf das bunte Bild von einem maßgetreuen Entwurf abgelöst wurde.
„Wo bleibt die Pointe?“, erkundigte sich Winston.
„Es gibt keine Pointe“, verkündete Sam. „Diesmal“, fügte sie hinzu. „Stahlbeton, Glasfassade … Na ja, das klassische Programm.“
Der Entwurf war keinesfalls klassisch und stach aus dem bekannten Bild der ebenso bekannten Musikstadt hervor.
„Ich verstehe nicht …“, wunderte sich Konstantin, der Sohn eines aus Griechenland stammenden Herzchirurgen. „Wo soll das Ding hin?“
Als hätte sie genau auf diese Frage gewartet, strich sie ein weiteres Mal über den Bildschirm und auf der Wand erschien ein Ausschnitt des Ortsbildes mit einer großen Lücke zwischen den bereits vorhandenen Hochhäusern.
„Das ist doch eine Bronson-Baustelle“, war allen bekannt.
Egal wie groß, bekannt und gefragt das Muchiol-Unternehmen auch war, es war nicht das einzige auf dem Markt. Der Platz auf der Erde war begrenzt und die Immobilien-Gurus waren auch nichts anderes wie Rüden, deren Machtkampf darin bestand, die meist bebaute Fläche für sich zu beanspruchen. Wie Duftmarken verteilten sie ihre Bauten rund um den Planeten.
„Jack Bronson lässt sich lieber seinen Wichsarm abhacken, ehe er dieses Fleckchen Erde verkauft“, hielt sich jemand mit seiner Meinung nicht zurück.
„Jack verkauft auch nicht“, Sam sah auf die Uhr, die an der Wand hing und die Uhrzeiten von verschiedenen Orten dieser Erde anzeigte. „Aber seine gerade eben rechtskräftig geschiedene Frau Daniele. Laut Scheidungsurteil gehören ihr zwei Drittel des Bronson-Vermögens. Mitunter auch …“, Sam tippte mit dem Fingernagel auf die kahle Lücke im Bild. „Sie ist übrigens die Nachbarin meines Baumhaus-Kunden und ihre Kinder können es nicht erwarten, in diesem Baumhaus mitspielen zu können.“
Das nächste Wischen über den Bildschirm offenbarte das geplante Spielhaus.
„Gott!“, stieß einer der Männer, die sich bislang zurückhielten, hervor. „Ich dachte an eine kleine Hütte, wie einst mein Vater mit meinem Großvater für meinen Bruder und mich gebaut hatten. Das ist ja …“
„Hundert Quadratmeter verteilt auf vier Etagen.“
„Was kostet das Spielzeug?“, erfragte Winston.
„Eine halbe Million Dollar.“
„Sam“, lachte einer der Männer, aber diesmal mit einem freundlichen, wenn nicht gar etwas eingeschüchterten Unterton. „Sehen Sie bitte zu, dass meine Frau nicht Wind davon bekommt, sonst macht sie mir die Hölle heiß, weil in unserem Garten noch keines steht.“
„Nicht nur deine“, knurrte ein anderer.
„Das“, Winston fegte mit der Hand durch die Luft, als wollte er in der Projektion blättern. „Das bedeutet Krieg. Jack Bronson wird die Racheaktion seiner Ex nicht einfach so hinnehmen. Wir bekommen es bestimmt volle Breitseite zu spüren.“
„Ich bin Kriege gewöhnt“, ächzte Sam und erinnerte sich an das unerwartete Treffen mit ihrem arabischen Geschäftspartner.
Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen, dachte sie sich, wobei sie sich selbst nicht sicher war, worauf sich das Omen beziehen sollte. Auf den Wunsch des russischen Mafioso, sie zu treffen? Auf ihre unverfrorenen Geschäftspraktiken, die sich den Zorn einer Betrogenen zunutze machten? Oder etwa die Angst, der sie sich wieder mal deutlich bewusst wurde.
„Brunch im Club?“, fragte Brian, ein Immobilienmakler in dritter Generation.
„Bin dabei“, verkündete Winston und alle Augen richteten sich auf Sam.
„Nie im Leben“, entgegnete sie überheblich, klemmte ihr Tablet ab und begab sich aus dem Raum.
„Wir sollten reden“, holte sie Winston ein, noch bevor sie den Meetingraum verlassen hatte.
„Dicke Luft“, ätzte jemand im Hintergrund.
Ihre Liaison war allen bekannt. Winston war nicht nur der Chef. Ihm gehörten auch die meisten Aktien der Tochtergesellschaft des weltweiten Konzerns, die sich vom Mutterunternehmen erst vor kurzem abgenabelt hatte.
Keiner der Angestellten würde sich erlauben, ein Techtelmechtel am Arbeitsplatz anzufangen und Sam war allen ein Dorn im Auge, aber nur, weil sie befürchteten, von ihr in allen Belangen überholt zu werden. In Wahrheit hatte sie alle bereits am ersten Tag in der kleinen Tasche stecken, aber das wollte keiner von ihnen wahrhaben.
Winston und Sam holten zeitgleich ihre Handys heraus und öffneten ihre Terminkalender. Danach folgte etwas, was an das Spiel Schiffe versenken erinnerte, bis sie tatsächlich einen Treffer erzielten.
„Lenz holt dich am Donnerstag um 19.00 Uhr ab.“
Body Check Runde 2
Check
Runde zwei
von
Zoe Zander
© 2020 Zoe Zander
Bodycheck Runde zwei
SM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Postadresse:
Zoe Zander
Albertgasse 49/12a
1080 Wien
Email: zander.zoe@gmail.com
Autorenseite: www.zoe-zander.at
Das Buch
Sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage – gilt bestimmt für viele Paare, aber nicht für Sam und Winston.
Nach der Rückkehr in die Heimat holt sie die Alltagsroutine bald ein.
Gerade als Sam den Blick wieder auf die Zukunft richtet, steht er plötzlich vor ihr – ein Relikt aus ihrer Vergangenheit. Mit einem Anliegen, das alles bisher Dagewesene toppt und ehe sie sich versieht, steht ihre Ehe vor dem Aus.
Nicht nur, um sich ihrer Gefühle klar zu werden, lässt sie sich auf ihren allerletzten Fight ein …
Einzelheiten zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Labyrinth
Im Wirrwarr meiner eigenen Gedanken
vernehme ich eine laute Stimme.
Ich folge der filigranen Spur,
so dünn wie der Faden einer Spinne.
Im Funkeln der Diamanten
entdecke ich ein Paar Augen,
die mir schnell bewiesen,
als Wegweiser nichts zu taugen.
Ich verirre mich schließlich
in der Dunkelheit meiner Seele.
Doch kein einziger der Hilferufe
schafft es hinaus aus meiner Kehle.
Auch mit geübten Beinen
gelingt es mir nicht, zu entkommen.
Trotz erdrückender Last der Beweise
zeigt (m)ein Mann sich voreingenommen.
Die Sehnsucht nach Liebe
katapultiert mich in einen Thriller.
Nur einen Mann begehrt,
finde ich mich im Fokus vieler.
Auf der Flucht gerate ich
in den Griff fremder Hände.
Erst da erkenne ich die Gefahr,
und setze alles auf eine Wende …
Zoe Zander
Prolog
Unweit von Madagaskar, unmittelbar neben einer Bohrinsel, tauchte ein kleines Uboot mit der Aufschrift Lemuria auf.
Weit über der Meeresoberfläche, auf einer der oberen Ebenen, lief ein Mann mit schütterem Haar aufgeregt umher. Er mochte den Duft von Erdöl, den Geruch des Salzwassers konnte er hingegen nicht ausstehen. Alleine deshalb empfand er seinen Aufenthalt als reinste Qual.
„Ich weiß nicht, was mich mehr seekrank macht …“ In der Gischt der offenen See waren die Worte mit eindeutig zuordenbaren Akzent kaum zu verstehen. Dennoch blieb der kleine, nicht gerade mit Schönheit gesegnete Herr, der seit Stunden ununterbrochen über die zusammengeschweißten Gitterroste hin- und herlief, als versuchte er so dem starken Wind entgegen zu wirken, nun abrupt stehen und drehte sich der Stimme nach um. „Die unruhige See oder Sie“, beendete der andere den Satz.
„Humbug, nichts als Humbug!“, rief er laut, bedachte das viele Geld, das er in dieser Unterfangen bislang investiert hatte und war schon im Begriff, sein Zeit totschlagendes Herumlaufen fortzusetzen, aber die Antwort seines Gegenübers hielt ihn dann doch davon ab.
„Und dennoch sind Sie unzählige Meilen geflogen. Hierher, an diesen gottverlassenen Ort …“
„Ach – lassen Sie doch den Gott aus dem Spiel …“
Der Typ mit dem Akzent lachte unverfroren und verschmähend, während er den Arm mit dem Funkgerät hob und lediglich hinein brummte.
Der gottesfürchtige Mann kam einige Schritte näher, was ihn jedoch auch näher zum Rand der Ebene führte, weshalb er erneut stehen blieb. Zaudernd, ob ihm seine Neugierde die Gefahr, von einer Windböe erfasst und von der Plattform gerissen zu werden, wert war.
Es war schon Risiko genug, diese Bohrinsel mit einem Hubschrauber anzufliegen und obendrein auf dieser zu landen. Zum Glück musste er nicht noch mehr Kühnheit beweisen.
Ohne zu hören, was jemand von der Uboot-Besatzung per Funk seinem Komplizen berichtet hatte, stieß er im Inneren zum Himmel: „Allmächtiger!“ Ihm war klar, dass es positive Nachrichten gab, obwohl der Empfänger, der, wie er, seit Stunden dem rauen Wetter trotzte und dessen Anzug wie sein eigener ebenfalls mit Salzwasser getränkt war, genau bei dieser Nachricht ein Gesicht machte, als wäre er gerade eben der Hölle entstiegen. „Allmächtiger!“, stieß er erneut, nur viel lauter heraus. Dieses Mal durchaus mit Erleichterung, ja sogar Freude und Begeisterung. „Treffen Sie alle Vorkehrungen …“, wies er seinen Partner an und richtete den Blick zum Hubschrauberpiloten, der während des gesamten Aufenthaltes auf der Bohrinsel die Maschine weder verlassen noch den Funkkontakt mit dem Festland unterbrochen hatte.
Der Mann mit dem Funkgerät schweifte nur kurz in Gedanken ab. Er überlegte, für welchen der zurechtgelegten Pläne er sich entscheiden sollte: einfach und langwierig, oder riskant.
Sehr riskant – sagte er zu sich selbst und rief dem, nach Zigarrenrauch miefenden Mann hinterher: „Ich werde das Mädchen …“
Der Mann, dem seit der Landung ununterbrochen die Knie vor Angst schlotterten, drehte sich pfeilschnell um und warf seinem Komplizen einen Blick zu, so heftig, dass er beinahe in die Tiefe zu dem Uboot stürzte. „Ersparen Sie mir die Einzelheiten. Tun Sie, was notwendig ist“, wollte er nicht mehr wissen, als wie sein Gewissen vertrug. Dabei ließ er dieses Mal den Allmächtigen absichtlich aus dem Spiel. Er brauchte den Gott nicht mehr. Bald würde er so viel Geld besitzen, dass er sich seinen eigenen kaufen könnte …
1
„Was soll ich sagen, Sam …“, nahm er die Brille ab und steckte sie in die Brusttasche des offenen Sakkos. „Nach dem Überfall vor … Wie lange ist es her?“
„Das wissen Sie genau“, wurde sie herablassend, ruderte jedoch gleich wieder zurück. „Ich behaupte nicht, dass Sie es sich über all die Jahre gemerkt haben, aber Sie haben mit Garantie in meiner Akte nachgeschlagen, nachdem Ihre Assistentin Sie über meine Terminreservierung informierte.“
„Mich beim Schwindeln zu erwischen, wird nicht der Grund Ihres Besuches sein. Oder etwa doch?“
„Nein“, sagte sie barsch und hob sogleich die Hand hoch, ehe er vor Lachen losprusten konnte. „Ist etwa meine Anwesenheit der Grund für Ihre überschwänglich gute Laune?“
„Und wie, Sam. Sie haben es noch nicht mal über die Türschwelle geschafft und haben mehr gesprochen, wie in den 100 Sitzungen, die Sie in all den Jahren nach dem Überfall bei mir absolvierten.“
„Es waren 32, aber das wissen Sie auch, weil Sie bestimmt nachgesehen haben“, seufzte sie genervt – hätte sie behauptet, hätte er sie gefragt, aber er fragte nicht und hatte auch nicht vor zu fragen, denn er wusste, dass sie nicht genervt, sondern verunsichert war, da ihr dieses Therapeut-Patient-Ding nicht behagte.
„Jetzt kommen Sie endlich rein.“
„Ich habe Angst“, brach aus ihr heraus.
„Angst reinzukommen?“
„Nein!“, quietschte sie affektiert.
Der Therapeut dachte einen Moment lang nach. „Jetzt, nach all den Jahren?“, zeigte er sich irritiert.
„Ich bin angeschossen worden.“
„Oh, das …“, mit einer Handbewegung bat er sie von neuem herein, worauf sie endlich den Raum betrat und sich umgehend zu der Sitzecke begab, in der sie schon so oft gesessen hatte.
„Wie geht es Ihnen?“, er hingegen blieb neben der offenen Tür wie festgeklebt stehen.
„Ich habe Angst“, wiederholte sie, auch wenn es für seine Ohren deutlich entspannter klang.
Sam war allerdings nicht entspannt. Sie hatte lediglich ihren Berufsalltagsmodus eingeschaltet und das dazugehörende Pokerface aufgesetzt, das man allerseits von ihr gewöhnt war.
„Hm“, seufzte er, erwachte jedoch endlich aus seiner Lethargie und machte die Tür zu, dann erst begab er sich zu ihr. „Ich meine … Sind Sie wieder fit? Alles in Ordnung?“
„Nichts ist in Ordnung. Ich habe Angst.“
Nachdem er tief Luft geholt und diese wieder ausgeatmet hatte, setzte er sich zu ihr, lehnte sich zurück, legte das eine Knie übers andere und öffnete den Mund, fror jedoch zu einer Statue fest, bevor er auch nur einen Laut von sich gab.
„Angst“, runzelte er die Stirn. „Sie hatten noch nie Angst. Weder vor dem Überfall, noch danach. Wieso jetzt? Und damit will ich nicht sagen, dass ein Schuss …“
„Es geht nicht um die Art der Waffe, auch nicht der Verletzung und …“
„Und?“, wurde er richtig neugierig, aber Sam kam nicht mehr dazu, ihn aufzuklären.
Tränen als eine Art Wellness, Stressbewältigung im Rahmen sexueller Handlungen …
Oh Gott!, verdrehte sie die Augen, weil ihr das erste entfesselte Mal mit Ian in Erinnerung gekommen war und das rief all die Hemmungen, Bedenken und anerzogene Denkmuster in ihr wieder auf den Plan, aber die antrainierte Selbstkontrolle setzte wider Erwarten aus.
„Und?“, fragte er nochmals nach.
Die harmlose Frage sprengte ihre Dämme und sie fand sich in einer Situation vor, die ihr bislang völlig fremd war.
„Hier“, steckte er ihr die Box mit Papiertüchern entgegen.
Während sie sich die eine Hand flach wie ein Schild vors Gesicht hielt, um die ungewohnte Schwäche vor ihm zu verbergen, zupfte sie mit den Fingern der anderen gleich mehrere Tücher heraus, um die Tränen zu trocknen. Aber, kaum waren die ersten weggewischt, kamen die nächsten und mit jedem Mal schienen es mehr zu sein.
„Sorry, aber – wow“, gestand der Therapeut, der sich ungefähr im Alter von Sams Verlobten befand, also etwas mehr als zehn Jahre älter war als sie selbst. Es war genau dieses Alter, warum sie sich damals für ihn entschieden hatte. Sie hatte gehofft, er wäre nicht so verklemmt und in irgendwelchen Strukturen gefangen wie ihre Eltern, was sie grundsätzlich dem Alter aller Erwachsenen zuschrieb. Damals fühlte sie sich zwar ebenfalls erwachsen, aber eben nicht alt.
Oh, Gott!, schossen ihr von neuem Tränen in die Augen, als hätte der Gedanke einen Auslöser betätigt. Der Gedanke: Ich bin alt und verklemmt!
„Okay“, pustete der Therapeut mit einem Atemzug über die Lippen. „Warum sollte es nach all den Jahren anders laufen …“, bemerkte er deutlich desillusioniert.
Sam konterte mit Kopfschütteln. Da sie aber jedes Mal, wenn sie den Versuch startete, einen Laut von sich zu geben, wieder mit Tränen überschüttet wurde, blieb sie weiterhin stumm.
Den Rest der Sitzung verbrachten sie schweigend. Auch nach dem Verlassen seiner Praxis schluchzte sie noch. Erst, als sie durch die Drehtür der Gemeinschaftspraxis ging, beruhigte sich ihr Gemüt.
„Zu spät“, knurrte sie sich selbst an.
2
„Nur noch eine Aufnahme“, kündigte die Verwalterin der Hilfseinrichtung für Kinder und Jugendliche an. „Könnten wir …?“, richtete sie die Worte an Sam.
„Nur zu“, sagte diese und schenkte ihr ein Lächeln, bei dem sonst jeder sofort Reißaus nehmen würde. Aber die Verwalterin erwies sich als widerstandsfähig und extrem hartnäckig.
Sam hatte keine Lust auf einen Streit. Nicht an diesem Tag, nicht in Winstons Beisein und schon gar nicht vor Kindern oder Jugendlichen, da gerade diese regelmäßig herkamen, um dem Streit, der tagein-tagaus bei ihnen zuhause wütete, zu entkommen.
„Mr. Muchiol“, tippte sie den Mann an, dessen Augen die gesamte Zeit an Sam hafteten, als hätte sie ihn hypnotisiert.
„Ja“, tauchte er kurzfristig aus seinen Gedanken auf und blinzelte sie an.
„Die letzte Aufnahme, darf ich?“, streckte sie ihren Arm nach ihm, um sich an seinem Ellenbogen einzuhaken und ihm so nah zu kommen, wie sie es sich seit ihrer ersten Begegnung wünschte.
„Klar doch“, stimmte er zu, wieder den Blick auf Sam gerichtet. Mehr noch. Er streckte sich nach seiner Verlobten, ergriff sie am Oberarm und zog sie mit einem kräftigen Ruck zu sich.
Sam war ebenso in Gedanken versunken. Der Besuch bei ihrem Therapeuten war schon Tage her, ließ sie aber immer noch nicht los. Die verlorene Beherrschung machte ihr zu schaffen.
War das nur eine Begleiterscheinung der Angst?, grübelte sie. Oder der Anfang dessen, das im Versagen endet und im Endeffekt auf genau das hinauslaufen wird, wovor ich mich so sehr fürchte?, schluckte sie schwer.
Zwar geistesabwesend, widersetzte sie sich dennoch nicht dem unerwarteten Zug und flog auf Winston zu wie ein Jo-Jo.
Um sie abzufangen und gleichzeitig aufzufangen, löste er sich aus dem besitzergreifenden Griff der Verwalterin, schloss Sam in seine Arme und genau in dem Augenblick, als der Fotograf den Auslöser betätigte, küsste er Sam auf den Mund.
„Das war doch das letzte Bild – wir sind jetzt also fertig“, machte er allen klar, den Blick auch weiterhin auf Sam gerichtet.
„Ja … Ja …“, stotterte die verdutzte Verwalterin, verärgert und enttäuscht zugleich.
„Na dann …“, sah er sie zum – für die Verwalterin – gefühlten allerersten Mal an, reichte ihr zum Abschied die Hand, die sie erst nach einem kurzen Moment der Besinnung annahm und schüttelte. „Stimmt etwas nicht?“, wunderte er sich über ihren missmutigen Gesichtsausdruck.
„Wie?“, sah sie ihn mit geweiteten Augen an. „Oh“, schluckte sie den Frust runter und lächelte ihn überschwänglich an. „Danke für das Interview und …“
„Gerne“, sprang er ihr ins Wort. Mit Sam an der Hand steuerte er die Tür des riesigen Aufenthaltsraumes an. „Von den Bildern hätte ich gerne Abzüge. Von jedem einzelnen“, kniff er Sam in den Po und schubste sie vorwärts.
„Sicher“, brummte die ehemalige Sozialarbeiterin und stieß vor Wut einen der Tische zur Seite, kaum war die Tür hinter dem turtelnden Pärchen zugegangen.
„Was ist der über die Leber gelaufen?“, fragte er, wog dabei Sams Arm in seiner Hand. Dieser fühlte sich wesentlich steifer an als sonst, wenn er sie daran durch eigene oder gemietete Räume zerrte, um mit ihr diese wundervollen Momente zu erleben, nach denen er von dem ersten Mal an süchtig geworden war.
„Mensch“, pustete sie die Luft so kräftig aus, dass sie deutlich vernahm, wie ihre Nüstern dabei flatterten. „Sie wollte ein Foto mit dir“, warf sie ihm einen Blick zu, prall gefüllt mit Gedanken und Gefühlen, die in ihr wüteten.
„Bei all den Aufnahmen wird sich bestimmt die eine oder andere finden lassen, die man abdrucken kann. Schließlich sind wir die letzten drei Stunden beinahe ununterbrochen fotografiert worden.“
„Genau – wir. Aber nicht du und sie.“
„Hm?“, runzelte er die Stirn.
„Sie will sich bestimmt eines der Bilder aufs Nachtkästchen stellen oder es zumindest ihren Freundinnen bei einem Kaffee und Kuchen-Nachmittag vorzeigen. Und auf solch einem Bild soll ich mit Garantie nicht mit drauf sein.“
„Du spinnst!“, plusterte er die Wangen auf.
„Mr. Muchiol, darf ich Ihnen einen Kaffee bringen? Möchten Sie diesen mit Zucker oder ohne? Soll ich die Vorhänge zuziehen? Blendet Sie die Sonne? Ist Ihnen nicht zu warm? Vielleicht zu kalt? Mr. Muchiol hier, Mr. Muchiol da … Kein einziges Wort zu Miss Brown …“
„Gott!“, seufzte er dermaßen angewidert, dass es für Sam keine Überraschung gewesen wäre, hätte er ihr daraufhin vor die Füße gespuckt. „Du bist eifersüchtig!“, fauchte er. Noch bevor sie entsetzt die Augen verdrehen konnte, zog er sie an dem Arm, den er immer noch in der Hand hielt, zu sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte. „Gott“, knurrte er diesmal erregt. „Du bist eifersüchtig …“, warf er ihr einen Blick zu, der alleine sie samt dem Kostüm und den Schuhen verschlingen konnte.
Winston grinste. In seinen Augen sah sie Funken sprühen, ja gar Feuerwerke explodieren und dazu noch seine entfesselte Lust.
Bevor sie entgegnen konnte: „Bilde dir nichts ein!“, fuhr er fort: „Das werde ich dir schon austreiben.“
Wie viele Menschen besaß auch Sam ein paar Trigger. Das Wort austreiben in Kombination mit einem Zwinkern inmitten genau dieses bärtigen Gesichtes gehörte eindeutig dazu und so verkniff sie sich das Verdrehen ihrer himmelblauen Augen und ließ sich von Winston auf den Rücksitz seines Drittwagens schieben.
Kaum nahm Winston auf dem Rücksitz neben ihr Platz und schlug die Tür zu, lenkte Lenz den dunklen SUV auch schon aus der Parklücke hinaus.
Wie so oft verlief die Fahrt sehr schweigsam. Während er die Male zuvor unter dem Vorwand, den Heilungsprozess ihrer Schusswunde zu begutachten, dann doch alles Mögliche mit ihr angestellt hatte, ohne der langsam verblassenden Narbe Beachtung zu schenken, legte er diesmal lediglich die Hand auf ihren Schenkel, der sich unter dem marineblauen Bleistiftrock befand.
Zuerst wollte sie seine Hand mit ihrer bedecken, sah dann jedoch davon ab. Alleine die Wärme, die seine große Handfläche ausstrahlte und die sich allmählich in ihrem Inneren ausbreitete, empfand sie schon als vielversprechendes Vorspiel. Auch, wenn etliche Feuer in ihrem Inneren loderten und einige davon tatsächlich mit dem Fototermin zu tun hatten, den sie beide als zwei der großzügigsten Spender dieser Einrichtung absolviert hatten, hielt sie sich zurück. Es gab gleich einige Fauxpas, die sie dem Mann vorwerfen konnte, der auf dem Rücksitz neben ihr fläzte und mit seiner Hand wie mit einem Bügeleisen über ihren Schenkel strich. Allerdings hielt sie keine einzige dieser Unpässlichkeiten für einen Grund zur Eifersucht. Und während sie sich noch genau diese Momente vor Augen führte, sich dabei wieder an das verpatzte Gespräch mit ihrem Therapeuten erinnerte, drehte sie den Kopf zur Seite, weg von Winston und schickte ihren Blick ohne ein bestimmtes Ziel durch das Fenster hinaus.
Für Winston hingegen war diese Bügelpartie keinesfalls der Auftakt einer Session.
Er war Mitte dreißig gewesen, als er Sam zum ersten Mal im Fernsehen bei der Meisterschaftsübertragung sah. Ein halbes Kind, dachte er damals und schämte sich tatsächlich für das Verlangen, das die Szenen des Zweikampfes in ihm hervorgerufen hatten.
Sie hat die Gegnerin beinahe in die Bodenmatte eingewebt!, grinste Winston bei der Erinnerung an die Sportübertragung. Alles andere als anmutig, kokett oder ja – sexy. Aber genau dieses Besondere, dieses Einzigartige machte ihn schon damals an ihr so tierisch an. Eifersucht!, kam ihm tatsächlich das Kotzen, weshalb er kurz in Erwägung zog, Lenz anzuweisen, zum Straßenrand zu fahren und anzuhalten.
Statt dem Feuer kühle Luft bei einem kurzen Stopp zukommen zu lassen, übertrug er die Hitze, die sein Gemüt zum Kochen brachte, auf ihr Bein. Auf diesen definierten Schenkel, der sich so weich anfühlen konnte, wenn sie sich fallen ließ und ihm erlaubte, Dinge mit ihr anzustellen, für die ihm jede andere Frau, im Kampfsport geübt oder nicht, bestimmt den Kopf abreißen würde.
Ich liebe dich – lasen sie sich gegenseitig von den Augen ab, als sie sich, wie auf Knopfdruck, im selben Augenblick dem anderen zuwandten und anschließend zu küssen anfingen.
3
Mit der Wahl des Wohnsitzes war weder er noch sie zufrieden. Auf Probe – hatten sie vereinbart.
Ihr Appartement hatte sie noch nicht gekündigt und das Meiste von seinem Hab und Gut befand sich momentan in der Garage seines Vaters. Oder seinem Jugendzimmer, das sein Vater immer noch für ihn parat hielt. Aber nur, weil er noch keine Zeit gefunden hatte, es zu renovieren und daraus einen weiteren Salon oder Bibliothek, womöglich Arbeitszimmer, vielleicht ein Gästezimmer, das nie genutzt werden würde, machen zu lassen. Welches der Vorhaben es am Ende werden würde, war sich sogar Winston nicht schlüssig, wobei Sam glaubte, dass nichts davon der Wahrheit entsprach und ihr Verlobter bei der ganzen Hetzjagd nach seinem Halbbruder einfach nur nicht dazu gekommen war, sich in einem seiner Pseudowohnsitze häuslich einzurichten und Wurzeln zu schlagen.
Sie waren beide noch auf der Suche, wobei auch das nicht wirklich der Wahrheit entsprach, denn keiner von ihnen verfügte über ausreichend Zeit, um sich nach einer passenden Immobilie umzusehen. Auch – weil sie sich immer noch nicht einig wurden, wonach eigentlich Ausschau gehalten werden sollte. Ein Loft oder ein mehrstöckiges Appartement inkl. Einrichtung a la Mr. Grey? Oder etwas in Richtung des verstorbenen Frank Smith?
„Kalt?“, bemerkte er ihre Gänsehaut.
Ja? Nein?, um Kleinlügen war sie nicht verlegen, wenn sie ihm Sorgen oder unangenehme Gedanken ersparen wollte, aber dieses Mal kam ihr keine der Möglichkeiten, die zur Wahl standen, passend vor. Also lächelte sie ihn nur an.
Doch dann … „Hm, ein kleines Bisschen kalt ist mir schon“, wog sie den Kopf hin und her, was Winston zum Schmunzeln brachte und in seinem Kopf etliche Phantasien entstehen ließ.
*
„Na dann“, er stieß die Tür auf, noch ehe es Lenz um den Wagen herum geschafft hatte. Winston sprang aus dem Wagen und zerrte sie ihm hinterher, ungeachtet ihrer Absätze und des engen Rocks.
„Ich gehe mir die Hände waschen …“
So viel Information in einem kleinen Satz, schmunzelte Sam und begab sich in den einen Raum, in dem sich außer einem Stuhl und einem Haken anstelle einer Glühbirne noch kein anderes Möbelstück befand.
Auch Sam hätte sich gerne frisch gemacht. Sie musste bei dem Shooting nicht wie ein Model posen, dennoch fand sie es anstrengend, zeitraubend, obendrein lästig und hätte sich nun gerne nicht nur die Spuren des Händeschüttelns abgewaschen, sondern auch noch kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt, um sich ein Reset zu gönnen. Nicht, dass sie dem Mann, dem sie von Tag zu Tag mit mehr Hingabe zu Füßen lag, ins Gesicht gähnte.
Weil ihr eben keine Erfrischung gegönnt war, zuckte sie wahrhaftig, als er beim Betreten des Raumes in die Hände geklatscht hatte. Zum Glück bemerkte er es nicht, auch nicht ihr müdes Blinzeln, denn bei seiner Ankunft war sie bereits vollständig entkleidet und kniete auf dem, mit Linoleum belegten Boden.
Linoleum!, graute es ihr jedes Mal, wenn sie dieses Zimmer betrat.
Winston hatte mal zwar zu ihr gesagt, dass es ihm egal war, ob sie auf verwitterten Holzdielen oder auf mit Gold durchwebten Marmor kniete. Er würde außer ihr nichts anderes wahrnehmen. Vor so viel Süßholzraspeln graute es ihr noch mehr, also versuchte sie den schrecklichen Bodenbelag, wie auch den Raufaserputz, die Sprossenfenster, die altmodischen Leisten und eigentlich alles, was sich in diesem Zimmer, dem Haus und überhaupt auf dem gesamten Grundstück befand – zu ignorieren.
Wie sie zu dieser Immobilie gekommen waren? Winston wollte keine einzige Sekunde mehr von ihr getrennt verbringen, war aber keinesfalls bereit, bei ihr einzuziehen. Das war ihm zu viel von ihrer Vergangenheit, vor allem von der, die mit der O-Elite und seinem toten Widersacher zu tun hatte. Mitten in der Stadt und dann auch noch in einem Hochhaus, in dem man eine Kleinstadt hätte unterbringen können, hieß für ihn eindeutig zu wenig Privatsphäre.
Da der Markt von heut auf morgen nichts Besseres anzubieten hatte … Er als Chef eines Bau- und Immobilienunternehmens keinen externen Makler beauftragen wollte … Sich es aber auch nicht erlauben konnte, einen seiner eigenen mit seinen extravaganten Wünschen und Anliegen vertraut zu machen, landeten sie kurzerhand hier. Genau da, wo sie kniete.
Ihre Fußspitzen zeigten akkurat zu den Zimmerecken, zwischen den Fersen wäre genug Platz für eine Sitzgelegenheit mit Aussicht.
Die Brust hatte sie auf dem Boden gebettet, wie auch ihr Gesicht. Die Arme hielt sie weit gestreckt, sodass sie trotz ausreichend Abstand mit den Fingerspitzen beinahe die Füße des abgenutzten Stuhles berührte.
Winston weidete sich in ihrem Anblick, und zwar jedes Mal, wenn er sie so vorfand. Gelegentlich dachte er darüber nach, wie unnatürlich ihr Körper verbogen war. Wie kräftezehrend es für sie sein musste. Dass vor allem die Gelenke darunter litten …
Dieses Mal waren es seine Nüstern, die flatterten. Und zwar vor Erregung.
Einmal, in einem einsamen Moment, wagte er es tatsächlich selbst diese Stellung einzunehmen. Der Hexenschuss hatte ihn drei Wochen außer Gefecht gesetzt. Statt an Konferenzen und Verhandlungsgesprächen teilzunehmen, verbrachte er die Tage auf dem Behandlungstisch seines Osteopathen und den Segeltörn, der schon von langem geplant war, musste er auch sausen lassen. Nur zwischen ihr und ihm blieb auch in dieser Zeit alles wie gewohnt und dafür hatte vor allem Sam gesorgt. Mit ihrer Demut, Hingabe und jeder Menge Geduld seinen Unarten gegenüber …
Geil – fiel ihm als Einziges dazu ein. Geiler Anblick, geiler Körper, geile Frau und auch er war geil.
Ihre Arme lagen so knapp bei den Ohren, dass sie das Sausen, als er den Gürtel aus den Schlaufen zog und den Pfiff, beim Schwingen durch die Luft, kaum hörte und der Hieb sie so überraschte, wie die Ohrringe, die er ihr erst letzte Woche geschenkt hatte.
Ein Knurren? Ein Schnurren?, rätselte er. Er war kein Katzenfreund, obwohl er sich noch an den fetten Kater erinnern konnte, der seiner Mutter gehört hatte und der zeitgleich mit dieser aus seinem Leben verschwunden war. Als kleiner Junge hatte er ihn oft gestreichelt. Er mochte das Knistern, das dabei entstand, ebenso sein Schnurren und …
Winston zog das Sakko aus, warf es über die Lehne des wackeligen Stuhls, strich sich mit der Hand über den Ärmel des Hemdes, unter dem sich sein behaarter Unterarm befand und rief sich das Gefühl in Erinnerung. Sogar heute bescherte es ihm Gänsehaut und ließ die Haare auf seinem breiten Nacken tänzeln, wenn er an die Krallen dachte, die der Kater gewillt war, ihm in die zarte Kinderhaut zu rammen, es aber aus einem, Winston unbekannten Grund, nie getan hatte.
War das die Bullenpeitsche?, versuchte er sich zu entsinnen. Nein, bei dem Hieb stand er weit hinter ihr, um kräftig ausholen zu können. Das Wachs?, sah er kurz zur Decke, aber nur für einen Moment. Umgehend senkte er den Blick, damit ihm nicht entkam, wie der Gürtel für den Bruchteil einer Sekunde einen tiefen Graben in ihr Gesäß hinunterdrückte, bevor sich dieser in einen roten Streifen verwandelte. Ja, genau!, seine Augen erstrahlten bei der Erinnerung. Die Klammern!, war ihm, als wäre es erst ein paar Atemzüge her, als er die Arretierung gelöst hatte, worauf sich die Seilwinde in Windeseile zu drehen begann, dabei das Band aufgerollt wurde und Sam eine Klammer nach der anderen von der Haut gezogen bekam. Mit Absicht hatte er sie nicht gefesselt, ihr lediglich erlaubt, ihre Hände auf seinem Unterarm abzulegen. Wie der Kater damals ließ sie ihn ihre Nägel spüren. Als wäre sie dadurch mit ihm verschmolzen, fühlte er genau, was in ihrem Körper, in ihrem Kopf vorging. Ihren inneren Kampf, das Verlangen, das Band wie den Schmerz aufzuhalten, mit dem Wissen, dass auch die Lust und Befriedigung abrupt ihr Ende finden würden. Im Rhythmus ihres Herzschlags wie auch des Pulsierens in ihrem Becken, ließ sie ihn die Nägel spüren, ohne ihm auch nur einen einzigen Kratzer auf der Haut zu hinterlassen.
Ein tiefer befreiender Seufzer entsprang seiner Kehle, was ihm neuen Schwung bescherte und ihn zuschlagen ließ, wie noch nie zuvor.
Als hätte er selbst einen Hieb verpasst bekommen, hielt er mitten in der Bewegung an und sah sie prüfend an. Doch entgegen seiner Bedenken geschah nichts. Außer, aber das konnte er sich auch nur eingebildet haben, sie ihren wohlgeformten Hintern, dieses wunderbare Instrument, auf dem und mit dem er intensivst und mit Hingabe sondergleichen spielte, ein klein wenig höher in die Luft streckte. So – als …
„Mr. Muchiol hier, Mr. Muchiol da“, erklang ihre affektierte Stimme aufs Neue in seinem Ohr. Gleich darauf zierte ein weiterer roter Streifen wie Leuchtreklame ihr wundervolles Hinterteil. Dann erschien auch noch ihr Blick vor seinen Augen, das trübe Blau, wie kurz vorm Regen und er schlug ein weiteres Mal zu.
„Ich hasse Eifersucht, und zwar jede Art …“, trug er ihr sein Zischen oder eher Fauchen zu und bescherte ihr Gänsehaut, die sich, wie Schall in Wellen über ihren gesamten Körper verbreitete.
Ihr Zeigefinger klopfte unkontrolliert einige Male auf den verhassten Bodenbelag. Spätestens jetzt war es an der Zeit aufzuspringen und klarzustellen, dass Eifersucht hier nicht das Problem war. Das hieße allerdings, dieses wundervolle Gefühl abrupt zu beenden.
Eiskalt zu duschen war nicht ihr Ding, also setzte sie ihren Willen durch. Der protestierende Zeigefinger fügte sich und reihte sich zu all den anderen, weit gespreizten und auf dem abstoßenden Linoleum ruhenden Fingern dazu.
Die Striemen wie ein rotes Tuch anstarrend, schwenkte er ein weiteres Mal den schweren ledernen Gürtel und „Ah“, holte tief Luft, um weiter kundzutun, was seine Seele so schwer belastete und ihm die Galle zum Überkochen brachte.
Der Gürtel war schneller, als was ihm die erste Silbe über die Lippen gesprungen wäre. Er war auch nicht mehr aufzuhalten, als sie, statt das Codewort auszusprechen, die Hand erhob und wie ein Stoppschild ihm entgegen richtete.
Sofort ergriff er diese, zog sie daran hoch auf die Beine und ehe sie sich versah, schloss er sie in seine Arme.
„Das …“, seine Stimme zitterte genauso stark, wie ihr Körper.
„… haben wir beide zu verantworten“, sah sie ihm direkt in die Augen.
„Ich …“, fing er von neuem an.
„… habe es nicht gleich unterbunden, wie ich es hätte tun sollen, es aber eben nicht tat.“
„Du …“, versuchte er es ein weiteres Mal.
„… hast etwas getan, was nie wieder vorkommen wird. Das wissen wir beide“, sagte sie mit solcher Strenge in der Stimme, dass er geneigt war, sich umzusehen, ob jemand anderer zu ihm gesprochen hatte, weil ihr Körper gar nicht aufhören wollte zu zittern.
„Sam …“
„Wir klären das ein anderes Mal, okay?“ Sogar ihre Lippen zitterten, als stünde sie im eiskalten Wasser. „Ich kann jetzt … Nein, das stimmt nicht. Ich will jetzt nicht. Ich würde dies …“, sie schlängelte sich aus seiner Umarmung heraus, nahm seine Hand und platzierte die Handfläche auf ihrer pochenden Pobacke. Das Feuer, das darin wütete, kroch sofort seinen Arm hinauf. „Ich würde dies gerne fortsetzen, Sir“, rieb sie ihre Wange an seinem Bart.
„Warte hier“, hauchte er ihr ins Ohr, worauf sie alle Berührungspunkte löste, sodass er ohne Weiteres den Raum verlassen konnte.
Nach einer Weile kam er mit einer prall gefüllten Reisetasche zurück. Mit lautem Knall ließ er diese auf den Boden fallen und machte sich umgehend ans Werk.
Ungewollt führte er ihr dabei den nächsten Störfaktor vor Augen – die niedrigen Decken. Er musste sich nur etwas strecken, auf die Zehenspitzen stellen und schon konnte er den Ring an den Haken hängen, an dem wohl irgendwann in der Vergangenheit ein Lüster gehangen hatte. Dann öffnete er den Reißverschluss der Reisetasche und holte das erste Seil heraus.
Sam achtete genau auf jede seiner Bewegungen. Wie er das Seil in die Hand nahm, ob er es nur in einer Hand hielt oder auch mit der anderen zupackte. Es war ja schließlich nicht die erste Fesselung, die er an ihr vornehmen wollte.
Auch, wenn Tanzen nicht zu ihrer bevorzugten Freizeitbeschäftigung gehörte, beherrschte sie einige der Standardtänze. Am Anfang ihrer Beziehung bugsierte Winston sie noch in die gewünschte Stellung, brachte ihre Arme und Beine in die erforderliche Position. Inzwischen wusste sie schon anhand seines ersten Griffes – der Einleitung der Session, welcher Schritt als nächster folgen würde und kam ihm entgegen, indem sie ihre Arme hinter den Rücken führte, die Ellenbogen anwinkelte und die Unterarme übereinanderlegte.
Dass ihm ihr Vorgehen gefiel, drückte er mit einem Kuss aus, den er auf ihre nackte Schulter platzierte. Dann entfernte er sich wieder von ihr, allerdings erst, nach dem er die erste Schlaufe um das rechte Handgelenk, das neben ihrem linken Ellenbogen ruhte, gelegt hatte.
Die Schlaufe des zweiten Seilstrangs wurde um ihren rechten Knöchel festgezogen. Dann folgte noch Seilstrang Nummer drei und vier, am Schluss noch eine Schlinge um ihren Hals. Gerade bei dieser gab er sich besonders Mühe. Sie sollte nicht zu eng anliegen. Der Hals und Kopf sollten nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein. Zumindest nicht so sehr, dass es zu einer Verletzung führen konnte. Die Schlaufe sollte wiederum so eng sein, dass sie das Seil bei jedem Atemzug, bei jedem Schlucken oder Laut deutlich zu spüren bekäme.
Winston fing an, die Seilstränge um ihren Körper zu wickeln und zu flechten. Bis von jedem nur noch ein Stückchen übrig blieb. Die losen Enden steckte er unter die feste Schnürung und betrachtete anschließend sein Werk.
Die Lippen zu einer Schnute gezogen, bewegte er diese im Kreis, als würde er Gesichtsgymnastik betreiben. Auch, wenn es in dem dichten Bart kaum zu erkennen war, er spürte es deutlich. Das Ziehen entlang des Unterkiefers reichte bis zu seinen Ohren. Nein, er war über ihre Eifersuchtsszene immer noch nicht hinweg. Entsprechend eng war Sams Fesselung auch ausgefallen.
Verärgert runzelte er die Stirn und streckte schon den Arm aus, um das eine oder andere Seil ein wenig zu lockern, als er ein Geräusch vernahm, das ihr über die vollen, rosaroten Lippen gerutscht war.
Wieder dieses Schnurren oder Knurren, vielleicht lediglich ein Seufzer. Da einer der Seilstränge wie ein Knebel zwischen ihren Lippen steckte, konnte er bei bestem Willen das Geräusch nicht eindeutig identifizieren. Dennoch nahm er es sich zum Anlass, nichts an der Fesselung zu ändern. Er vertraute darauf, dass sie sich bemerkbar machen würde, ginge ihr etwas total gegen den Strich. Egal wie viel Demut sie ihm im Spiel entgegenbrachte, sie konnte gewaltig auf den Tisch hauen. Und nicht nur auf den Tisch, wie er schon mal selbst am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte.
Den nächsten Kuss platzierte er ihr diesmal auf die rechte Schulter.
Seil Nummer sechs und sieben wurden aus der Tasche entnommen, beide durch den Ring geführt, den er zu Beginn an den Haken gehängt hatte und ihre Enden an der bereits abgeschlossenen Fesselung verknotet.
Ein Seilende behielt er in der Hand. Kurz davor, daran zu ziehen, stoppte er und sah sie an, wie sie angestrengt atmete. Die feste Schnürung hinderte ihren Brustkorb, sich wie gewohnt zu dehnen und das eine Seil zog ihr die Mundwinkel beinahe bis zu den Ohren. Es sah aus, als würde ihn Joker angrinsen. Fies angrinsen und verhöhnen. Und wieder kam ihm die Eifersuchtsszene in den Sinn. Kurz presste er die Lippen aneinander, dann wischte er ihr den Batzen Spucke von der Unterlippe weg und zog fest an dem Seil, das er in der Hand hielt.
Sam drehte eine Pirouette während sie hoch in die Luft stieg.
Gott! Lass dich nicht von Wut leiten!, ermahnte er sich selbst. Die Wutausbrüche seines Vaters waren auch nach all den Jahren immer noch in seinem Gedächtnis präsent. Zu seinem Schutz musste er jedoch gestehen, dass seine Mutter jedem testosterongesteuerten Wesen hinterher gelaufen war. Das war sogar ihm, einem kleinen Jungen, nicht entgangen.
Ich würde dich nie betrügen. Nie!, sprachen seine Augen zu Sam, während er ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Die Strähnen, die ihr auf der Wange klebten, blieben.
Kaum berührt, bewegte sie den Kopf in seine Richtung, um die Berührung auszukosten. Zuerst wollte er sich entziehen, beließ die Hand dennoch eine Weile an derselben Stelle. Und während sie mit seinem Handrücken kuschelte, zog er ein weiteres Mal an dem Seil.
Die nächste Drehung folgte. Ein Seufzen ertönte, ein paar Rippen knackten und eine ihrer Fersen landete direkt vor seinem Gesicht.
Winston band das Ende des Seils fest, um es loslassen zu können. Aus der Tasche der Weste, die er über dem Hemd trug, holte er ein mehrspuriges Wartenbergerrad heraus.
Sanft tippte er damit ihre Nasenspitze an. Sams Blick folgte der Gerätschaft, weshalb sie kurzfristig zu schielen begann. Weil ihr das auf den Magen schlug, schloss sie für einige Augenblicke die Augen. Genau diese Zeit nutzte er dafür aus, um die Manschettenknöpfe abzulegen und die Ärmel hochzukrempeln.
Kein Zucken, auch nicht der Versuch sich zu entziehen. Lediglich die Zehen spreizte sie so weit, dass es den Anschein machte, sie würde versuchen, das Spielzeug wie mit einer Hand zu ergreifen, als er ihr mit diesem über die Fußsohle geglitten war. Das ließ ihn dann doch diese Eifersuchtssache vergessen und zauberte ihm ein amüsiertes Schmunzeln ins Gesicht. Grund genug, ihr mit dem Folterwerkzeug erneut über die Fußsohle zu rollen.
Schon bei der Anwendung des klassischen, einspurigen Rads hörte sie jedes Mal auf nachzudenken, ob es lediglich ein Kitzeln oder wahrhaftig schmerzhaft war, sondern folgte ausschließlich den Impulsen, die der Kontakt mit dem Folterinstrument bei ihr erzeugte. Als hätten sämtliche Nervenbahnen in ihrem Körper ihre Wege verlegt, mündeten sie plötzlich allesamt in ihrem Becken.
So lange sie sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte, löste er den Knoten, zupfte an dem Seil, worauf sie wie eine Feder kurz in die Luft stieg, sich dabei ein weiteres Mal um ihre Achse drehte und mit einem Mal wie ein Hampelmann mit weit gespreizten Gliedern von der Decke baumelte.
Das Geräusch, entsprungen ihrer Kehle berührte ihn wie ihre Hand, die so wundersame Dinge mit seiner Körperbehaarung anstellen und ihm auch sonst ganz besonderen Genuss bereiten konnte.
Winston klemmte das Rad unter einen Seilstrang. Und zwar unter dem Strang, der eine Hand breit unter ihrem Nabel platziert war, sodass die Räderborsten den empfindsamsten Punkt, den ihr Körper besaß, berührten. Er wollte beide Hände frei haben, um sich des Hemdes zu entledigen, kam vorerst jedoch nicht dazu …
„Wow – stopp, stopp“, lachte er sie grunzend, ja beinahe grölend an, nachdem die Berührung eine regelrechte Explosion an Gefühlen in ihr auslöste und sie vom Vorspiel beinahe direkt ins Nirwana beförderte. Trotz, dass er das Rad augenblicklich entfernte, dauerte es mehrere Minuten, bis ihr Zucken nachließ und das Beben in ihrem Inneren abflachte. Nur ihr Schnaufen dauerte auch weiterhin an.
„Oh“, weitete er die Augen unter den dichten Augenbrauen. „Ein tolles Werkzeug. Hätte ich geahnt, wie sehr du es liebst, hätte ich es schon viel früher abgestaubt.“
Die Bondage war eng – Sam befand sich kurz vorm Hyperventilieren. Ihr erregter Körper verbrauchte mehr Sauerstoff, als wie sie ihm frischen zufügen konnte. Gelegentlich befiel sie Schwindel, der ihre Augen mit einem Nebelschleier bedeckte.
Winston presste die Lippen aufeinander, während seine Augen weiterhin vor Freude funkelten. Dann knöpfte er sein Hemd auf, klemmte das Rad an dieselbe Stelle und …
„Gott, ich schaffe es nicht einmal das Hemd abzuwerfen, so schnell bist du!“, rief er begeistert, aber sie vernahm es kaum, denn der Druck in ihrem Becken entlud sich in Richtung ihres Kopfes und betäubte kurzfristig ihr Gehör.
„Oh, Mann!“, wäre zu verstehen, wenn sie nicht den Seilknebel zwischen den Zähnen hätte.
Sam unternahm einige Versuche, sich zusammen zu rollen, ihren Körper wie eine Faust zu schließen, aber neben der fehlenden Kraft ließ es die Fesselung nicht zu.
Er gönnte ihr eine Pause und zog sich neben dem Hemd auch gleich die Hose aus. Beim nächsten Durchgang trug er nur noch die Shorts und Socken.
Mit Daumen und Zeigefinger öffnete er die Auster und rollte die Borsten direkt über die offengelegte Perle. Die Antwort kam postwendend und fiel so heftig wie noch nie aus.
Er hatte schon Fische um ihr Leben zappeln gesehen, aber seine Verlobte war ein Fang sondergleichen.
„Dies ist wahrhaftig eine Perle …“, saugte er sich daran fest.
Der, mit dünnen Schweißfilm bedeckte Körper bäumte sich auf. Sie bekam Schlagseite, kippte in der Hängebondage kopfüber um und stieß mit der Nasenspitze gegen seinen verborgenen Schatz.
Der Aar regte sich sofort. Anfangs versuchte Winston sich ihrem heißen Atem zu entziehen, tänzelte etwas unbeholfen umher, ohne ihre Perle auch nur für einen Atemzug lang freizugeben.
Sam zuckte, zappelte, rüttelte an den Fesseln und schnaufte sich zunehmend in einen Ohnmachtsanfall hinein.
„Du machst mir jetzt einen Strich durch die Rechnung, aber … Dafür werde ich dich ein anderes Mal zur Verantwortung ziehen“, knurrte er sie an, zog den Bund der Shorts bis zu den Schenkeln runter. „Zunge raus!“, herrschte er sie an und kaum war ihre Zungenspitze zum Vorschein gekommen, schob er sein strammes Glied über den roten Teppich, mit dem sie den Seilknebel bedeckte, in ihren Mund hinein.
Sam konterte umgehend mit lautem Röcheln.
Mit seiner Zungenfertigkeit und dem spitzfindigen Spielzeug wollte er sie besänftigen, aber als hätte er erst damit eine unbekannte Kraft entfesselt.
Er war noch nie beim Bullenreiten gewesen und auch mit einer Peitsche in seiner Hand würde er es nie wagen, sie mit solch einem Tier zu vergleichen. Dennoch war ihm, als säße er im Sattel einer wildgewordenen Bestie. Nicht nur einmal glitt sie ihm aus den Händen und nur der Knebel verhinderte, dass er währenddessen nicht aus ihrem Mund hinausgerutscht war.
„Komm her“, raunte er, ergriff das Seil, das um ihren Hals geschnürt war und hielt sie daran fest, während der Rest ihres Körpers einen sinneraubenden Tanz vollführte.
Winston stand die ganze Zeit wie festgewachsen. Ihr Ruckeln und Zappeln erledigte die ganze Arbeit, seine eigene Ekstase ließ nicht lange auf sich warten.
Das laute Grollen entstand tief in seiner Kehle. Es klang wie ein Vulkan vor dem Ausbruch und auch dieser ließ nicht lange auf sich warten. Um nicht selbst ins Wanken zu geraten, ließ er das Rad fallen, hielt sie weiterhin an dem Seil am Hals wie auch an der glühenden Stelle fest und zog sie fest an sich.
Die Spannung unter seinen Händen verwandelte den sonst so biegsamen Körper kurz in einen Felsen, dann schlagartig in eine Stoffpuppe.
Einen Augenblick lang hielt er sie lediglich fest. Dann schloss er die zu einer stattlichen Murmel angeschwollene Perle zwischen seine Finger ein und drückte zu. Die Marionette ohne jedwede Körperspannung verwandelte sich für einen Atemzug lang erneut zu einer Felsenstatue, sackte sogleich wieder in sich zusammen und gab sein bestes Stück frei.
Ihr Röcheln klang nicht unbedenklich. Es kam auch noch nie vor, dass sein Geschenk, wie er es zu nennen pflegte, nach seinem Höhepunkt gleich wieder und dann auch noch unkontrolliert in einer Fontäne über ihre Lippen gekommen war. Den Blick auf ihre Augen gerichtet, von denen ausschließlich das Weiße zu sehen war, schubste er mit dem Fuß den Haufen seinen Klamotten zur Seite, um Platz zu schaffen, wenn er sie gleich von den Seilen befreien würde.
Er ließ sich Zeit. Nicht, weil er sich der Gefahr nicht bewusst wäre, die von einer festen Schnürung und schlecht durchbluteten Gliedmaßen kam. Sam war noch weit weg. Auch, wenn er gerne in ihre Sphären eintauchen und sie bei ihrem Flug begleiten würde, nahm er die Seile Strang für Strang langsam von ihrem Körper, um nicht eine Bruchlandung auszulösen.
Irgendwann plumpste sie in seine Arme und er setzte sich gemeinsam mit ihr auf den Boden. Während er mit einem Arm festhielt, streifte er ihr die letzten Stränge von der geröteten und mit deutlichen Spuren übersäten Haut. Beim kurzen Kontrollblick begegnete er ihren Augen. Die Lider waren ein klein wenig offen und verrieten ihm, dass ihr Blick immer noch in ihr Inneres gekehrt war.
Als Allerletztes war der Knebel dran. Durchnässt, mit Spuckeschaum und Sperma überzogen, klemmte er zwischen ihren Zähnen. Er musste warten, bis sie zur Landung ansetzte, um ihn ihr entfernen zu können und gegen seine Lippen zu tauschen.
Ihr Kopf war auf seiner Schulter gebettet. Mit der linken Hand hielt er sie fest, mit der rechten pflückte er ihr die langen Haare aus dem verschwitzten Gesicht.
„Ich gestehe“, flüsterte er ihr zu. „Ich habe auf ein paar Tränen gehofft“, wischte er ihr mit der Daumenkuppe unterm Auge.
„Hm“, gab sie ihm als Antwort, ohne ihn anzusehen.
Ihre Lider fühlten sich an, wie aus Blei gegossen. Und, obwohl sie den Mund die ganze Zeit offen hatte, besaß sie jetzt nicht ausreichend Kraft, um die Lippen zu bewegen. Nur ihre Gedanken schienen von der Session nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Kaum hatte er die fehlenden Tränen erwähnt, kam ihr wieder die Sitzung mit ihrem Therapeuten in den Sinn. Und vor allem die allgegenwärtige Angst.
„Martha hat bestimmt schon das Abendbrot aufgetischt“, versuchte er sie zu irgendeiner Regung zu motivieren.
„Ich werde wohl nach der Dusche gleich ins Bett fallen“, versuchte sie sich als Bauchredner.
„Habe ich mein Spielzeug etwa kaputt gemacht?“, gluckste er amüsiert.
„Fühlt sich zumindest so an“, brummte sie weiter, auch wenn sie weniger die anstrengende Session, wie die harmlose Bemerkung bezüglich der fehlenden Tränen im Sinn hatte.
4
„Wo bist du?“, säuselte er ins Telefon.
„Auf dem Weg zum Hotel“, stieg sie aus dem Taxi, wartete, bis der Hotelpage ihre Koffer aus dem Wagen auslud und sich samt diesen ins Hotel begab. Erst dann betrat sie selbst die Lobby und nahm sich den, sie vor der Sonne schützenden Hut vom Kopf.
„Wie ist es in Nashville gelaufen?“
„Überraschend gut“, erhob sie die Augenbrauen. Weniger, weil sich Winston nach ihren privaten Geschäften erkundigte. Überraschend war nicht nur der Ausgang ihres Kurztrips auf den Spuren von Johnny Cash, sondern auch das Sichten des Empfangskomitees vor dem Check-in des Hotels mitten in der arabischen Wüste.
„Ach so?“, klang er verwundert. „Kehrst du jetzt etwa den Hochhäusern den Rücken und wechselst in die Spielhausbranche?“, kicherte er kindisch.
Sam sah auf die Uhr. Auch, weil der Mann, der ihr ungewohnterweise soeben zugewunken hatte, nicht der war, mit dem sie sich verabredet hatte und mit ihrer richtigen Verabredung auch, ihrem Wissen nach, keinen regelmäßigen Kontakt pflegte.
„Was ist gestern bei der Prüfung rausgekommen?“, erkundigte sich zur Abwechslung Sam.
Nach einem befreienden Seufzer folgte die Antwort: „Wir bekommen Schadenersatz. Du hattest recht. Der Kran entsprach nicht den Anforderungen …“
„Das wird die Aktionäre bestimmt freuen.“
„Weißt du, worüber ich mich freuen würde?“
Sam warf einen Blick über die Schulter, zurück zum Eingang des Hotels, aber außer ihr war weit und breit kein weiterer Gast zu sehen. Zumindest keiner, der nicht längst mit irgendwem in ein Gespräch vertieft wäre. Der Mann, der bei der Anmeldung stand, wartete offensichtlich auf sie. Und dass, obwohl sie nicht verabredet waren und er es gewöhnlich pflegte, um diese Zeit mit seinen Geschäftspartnern einem gemeinsamen Hobby nachzugehen. Zudem hatte er ihr früher noch nie zugewunken gehabt und sie obendrein der Meinung war, dass er gar solche Gesten als unpassend empfand.
Weshalb dieses Theater?, rätselte sie.
„Ich hätte dich auch gerne hier bei mir“, flüsterte sie in den Hörer.
„Hilf mir etwas auf die Sprünge. Ich habe dich schon so lange nicht gesehen, dass ich gar nicht weiß, wie du aussiehst. Noch immer blond?“
„Hm“, Sam schmunzelte, wohl wissend, worauf er hinaus wollte.
„Immer noch schlank und vollbusig?“
„Ich hatte im Flugzeug Nachschlag verlangt, also das mit dem schlank kann man wohl vergessen“, brummte sie, weil ihr das Essen wahrhaftig schwer im Magen lag.
„U-n-d …?“, trällerte er durch die Oktaven. „Was hast du an? Etwa dieses weiße Kleid? Mit dem versteckten Reißverschluss?“
Sam erinnerte sich an das eine Mal, als er sie gefesselt und geknebelt hatte und dann ewig lang brauchte, bis er den Reißverschluss fand, um ihr das Kleid auszuziehen. Am Ende konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu lachen. Das hat zwar nicht zur Vereitelung seines Plans für den Abend geführt, lediglich die Ausführung etwas in die Länge gezogen.
„Nein. Das blaue, das so gut zu deinem silbergrauen Anzug passt …“
„Oh, gut, dass du es sagst. Der muss endlich in die Reinigung.“
„Was steht sonst noch bei dir an?“
„Neben dem öden Treffen mit den Aktionären?“
„Es gehört zu deinem Job. Tut mir leid, dass es dir keine Freude bereitet.“
„Sag bloß, dass dir all die Meetings, Präsentationen und Klausuren Spaß machen.“
„Das ist wie das Umziehen vor dem Sport.“
„Notwendiges Übel?“
„Nein – Vorspiel.“
„Apropos Vorspiel …“, knurrte er.
Sam schwieg und wartete. Nicht nur darauf, was ihr Verlobter als Nächstes sagen würde. Sie war stehen geblieben. Das sonderbare Verhalten ihres Geschäftspartners, wegen dem sie nicht hergeflogen war und mit dem sie auch in absehbarer Zeit kein Treffen geplant hatte, behagte ihr nicht.
Winston hingegen erwartete von ihr zumindest ein geknurrtes „Ja?“, aber da es nicht gekommen war, fuhr er nach kurzem Schweigen fort. „Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Vor vier Tagen? Gott, ist das lange her. Ich weiß gar nicht mehr, wie du dich anfühlst …“
Sam nahm seine Worte mit gemischten Gefühlen an. Sie mochte Anrufe dieser Art … Wenn sie im Taxi saß, alleine in ihrem Büro über den Plänen und Verträgen brütete oder wie jetzt, ohne ihn unterwegs war. Ihr Verlobter neigte jedoch dazu, sie auch bei Treffen und während geschäftlicher Sitzungen anzurufen, um sie wortwörtlich zu quälen. Im Gegenteil zu seiner Vermutung verging sie dabei nicht vor Lust. Es war ihr schlichtweg peinlich. Die eingefahrenen Muster ihres über Jahre eingeübten Arbeitsalltags konnte sie bislang nicht ablegen.
Diesmal entschied sich Sam, den Spieß umzudrehen. „Was hast du an, wenn nicht den silbergrauen Anzug, den ich so liebe, weil er sich so wahnsinnig weich anfühlt, wenn ich dir über die Hosenbeine streichle?“
„Hast du etwa einen Anzugfetisch? Ich dachte, ich bin dein Fetisch“, klang er enttäuscht.
„Noch lieber als den silbergrauen mag ich den dunklen, den mit dem metallischen, stahlblauen Schimmer.“
„Hä?“, ging er im Geiste seinen gesamten Anzugbestand durch. Was meint sie mit …?, runzelte er die Stirn, während er mit der freien Hand den Rand des Bademantelausschnitts knetete. „Oh!“, wurde ihm klar. „Der gehört wieder mal gestutzt“, ließ er das Frottee los und versuchte auf die Art mit den Fingern durch sein Brusthaar zu gleiten, wie es Sam wusste zu tun. Aber nur sie besaß diese Gabe, sodass er Gefallen daran gefunden hatte und damit aufhörte, sich zu rasieren. Seine Finger jedoch beherrschten diese Kunst nicht. Wenn er sich durch die Behaarung strich, fühlte sich sein Bart lediglich nach borstigen Haaren an. Wie ein Wildschwein. Oder ein ungepflegter Hund …
Winston erschauerte.
„Wage es nicht“, drohte sie, warf dabei einen Blick zur Seite und begab sich zu der Säule, um sich kurz anzulehnen und dem Mann, der ihr sehr charmant zulächelte, deutlich zu zeigen, dass sie kein Treffen vereinbart hatten und er sich gedulden musste, wenn er an diesem Tag etwas von ihr wollte.
„Was sind das für Töne von einer Sub? Ehrst du etwa auf diese Art und Weise deinen Herrn?“
„Ich würde meinen Herrn gerne ehren, nur leider bin ich Tausende von Kilometern entfernt“, seufzte sie bedrückt.
„Lass dir was einfallen, aber hurtig!“, herrschte er sie mit einem tiefen Ton an.
„Wie ich meinen Herrn kenne, trägt er diesen anthrazitfarbenen Bademantel mit der schmalen Kordel, der ab Bauchnabel abwärts immer aufgeht und mir Blick darauf gewährt, was mein Herr immer als Belohnung für mich bereithält.“
„Möglich“, brummte er erregt.
„Wäre ich jetzt bei meinem Herrn, was ich bedauerlicherweise nicht bin“, seufzte sie theatralisch, worauf er laut stöhnte, „würde ich jetzt vor ihm knien und mit der Zungenspitze den Nagel seiner großen Zehe nachzeichnen …“
Sie vernahm Geräusche und resultierte daraus, dass er schnell die Socken auszog, um sich in die Situation besser versetzen zu können.
„Als nächstes würde ich seinen Riss verwöhnen, denn wenn ich diesen anhauche …“
Nun hauchte er in den Hörer.
„… erbebt der Boden unter meinen Füßen.“
„Und weiter? Ich muss bald los, die Aktionäre lässt man nicht warten“, spornte er sie an.
„Willst du einen Quickie oder was Intensives?“, fauchte sie ihn an.
„Hmm, mach einfach weiter.“
„Sind deine Waden noch nass? Denn wenn sie nass sind, bilden die Haare Muster, die – folgt man ihnen mit dem Blick – hypnotische Wirkung haben. Auf mich jedenfalls und ich liebe den Duft, der darin haust.“
„Haust? Übrigens – ich habe das Duschgel vergessen, also habe ich das vom Hotel verwendet. Nix besonderes“, bemerkte er lapidar.
„Es geht nicht um das Duschgel, es geht um den Duft, den du ständig mit dir trägst …“ Sam holte tief Luft. Nach vier Tagen roch sie selbst nicht mehr nach ihm, aber seinen Duft trug sie immer noch in ihrer Nase.
„Meinst du etwa, ich stinke?“, war er entsetzt.
Sam seufzte. „Ich habe Zeit, aber du solltest die Aktionäre echt nicht warten lassen. Also …“
„Du tust es schon wieder!“, wies er sie in die Schranken.
„Du lässt mir ja keine andere Wahl“, schluchzte sie bemitleidenswert.
Winston ging zum Fenster seines Hotelzimmers und blickte durch die dicht gewebten Gardinen in die Tiefe. Trotz des Regens war die Straße voll von Menschen, die sich unter Regenschirmen versteckten.
„Du magst es zwar nicht, wenn ich mit den Fingern über deine Schenkel streichle, als würde ich sie modellieren …“
Winston war kitzlig. Gegen die Behauptung, die sie mal in irgendeinem Zeitungsartikel gelesen hatte, war er auch im erregten Zustand immer noch kitzlig und zuckte jedes Mal unkontrolliert, wenn sie sich mit den Fingern durch seine dichte Körperbehaarung wühlte. Spätestens an dieser Stelle war das Vorspiel zu Ende und sie musste direkt zur Sache kommen.
Sam schmatzte genüsslich, Winston röhrte wie ein Elch, im Hintergrund klopfte jemand an seine Hotelzimmertür.
„Ich mag es, wenn sich mein Speichel in deinen Haaren verfängt und erst diese sinneraubende Atemnot, wenn dein dicker Kolben tief in meinem Rachen steckt …“
Am anderen Ende der Leitung ertönte ein hysterisches Kreischen einer Frau.
„Scheiße!“, meldete sich Winston.
Sam zog ihre Stirn in Falten und wartete auf eine Erklärung.
„Zimmerservice“, blieb er knapp.
„Vor oder nach …?“, erkundigte sie sich und überlegte unterdessen, ob sie schadenfroh oder entsetzt sein sollte.
„Sieh zu, dass du bald nach Hause kommst. Dann darfst du mir dieses Missgeschick aus den Erinnerungen blasen.“
Sam sah zum Empfang, wo der Mann geduldig darauf wartete, bis sie ihr Telefonat beendete. „Glauben Sie mir, Sir, am liebsten würde ich gleich den nächsten Flug nehmen …“, gestand sie ihrem Verlobten.
„Pass gut auf dich auf, Honey.“
„Bleiben Sie achtsam, Sir“, schluckte sie den Kloß hinunter, den ihr schon länger das Atmen erschwerte.
Nur kurz hörte sie noch seinem Kichern zu, dann legte sie auf.
„Sir, welche Überraschung!“, beförderte sie das ungute Gefühl in die Warteschleife, setzte das eingeübte Geschäftslächeln auf und ging auf den Wartenden zu.
„Ich war nicht dazu gekommen, Sie im Krankenhaus zu besuchen. Nun wurde mir zugetragen, dass Sie sich mit einem Bekannten eines Bekannten …, na, Sie wissen schon, von mir treffen.“
„Sir, das klingt …“
„Oh nein!“, lachte er genauso oberflächlich-freundlich, wie sie es von früher von ihm gewohnt war. „Das war keine anzügliche Bemerkung. Ich kenne Musafir zwar nur flüchtig, aber als ich um Rat gefragt wurde, musste ich umgehend an Sie denken und habe Sie empfohlen.“
„Das ist mir sehr wohl bekannt, Sir. Verdanke ich etwa Sheikh Umar ibn Musafir unser Wiedersehen?“
Nun versiegte das Lachen in seiner Kehle und auch sein Gesicht bekam endlich den Ausdruck von, na ja, zumindest halber Ehrlichkeit.
„Nein.“
Sam zeigte auf eine der Sitzgelegenheiten, die sich abseits des Tumults am Rande der Empfangshalle befanden. „Was kann ich für Sie tun, Sir?“
Der Sheikh ließ ausnahmsweise ihr den Vortritt und folgte ihr bis zu den zwei weißen ledernen Sesseln. Sie hatten noch nicht einmal Platz genommen, stand schon ein Mitarbeiter des angrenzenden Restaurants parat, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Ehe Sam ablehnen konnte, bestellte der Sheikh einen Fruchtcocktail für sie. Einen von denen, die sie während ihrer Geschäftstreffen gelegentlich getrunken hatte.
Sam hätte sich am liebsten mit beiden Händen ins Gesicht geklatscht, um nicht der Paranoia zu verfallen. Alles in ihr schrie danach, sich umgehend zu verabschieden und das Weite zu suchen. Sie war üblicherweise die jene, die sich alle Einzelheiten merkte, um Interesse zumindest vorheucheln zu können, wenn alles andere schon nicht der Rede wert war. Er war der, der sich erst nach einem halben Jahr ihren Namen gemerkt hatte und sich auch sonst keine Mühe gab, irgendwas zu behalten, weil er stets jemanden an der Seite hatte, der ihm soufflierte, wenn er mal Fakten brauchte. Nur, dass Sam diesmal wahrhaftig das Gefühl hatte, er war ganz alleine gekommen.
„Man bat mich, ein Treffen zu vermitteln. Nur deshalb bin ich hier und raube Ihnen Ihre kostbare Zeit.“
Sam war übel von so vielen Schmeicheleien. Schon als sich Winston um sie bemühte, fand sie seine Avancen widerlich. Dennoch war sie hier und gerade jetzt bemüht, die hervorgerufenen Gefühle zu unterdrücken, um die Botschaft zu erkennen, die sie in dem merkwürdigen Verhalten und sonderbaren formulierten Sätzen ihres Gegenübers vermutete.
„Sie wollen mich hoffentlich nicht für ein Attentat anheuern“, sprach sie die Umstände ihrer letzten Begegnung an.
„Keinesfalls“, antwortete er umgehend, ließ sich jedoch mit weiteren Auskünften Zeit. Erst nach einer ganzen Weile rückte er mit der Sprache raus: „Danilo Rascharow möchte Sie unbedingt treffen.“
Sam nahm ihre Handtasche fester in die Hand und wollte aufstehen, als er sich nach ihr streckte und nur andeutete, ihr seine Hand aufs Knie zu legen, um sie zurückzuhalten.
„Das klingt danach, als hätte ich mit meiner unüberlegten Bemerkung ins Schwarze getroffen.“
„Ich bin nur der Vermittler. Mein Auftrag ist es, Sie um ein Treffen zu bitten. Mehr nicht.“
„Sie glauben doch nicht etwa, dass sich etwas völlig Harmloses hinter seinem Anliegen verbirgt und ich mir unnötig Gedanken mache?“
„Nein.“
„Wieso sind Sie dann hier?“
„Er hat mir einen Gefallen getan. Als es darum ging, mich für den Dienst, den er mir erwies, erkenntlich zu zeigen, verzichtete er auf das Geld und materielle Entschädigung und bat mich stattdessen, Sie zu einem Treffen mit ihm zu überreden. Sie mögen entscheiden, wann und wo. Das Einzige, was ich dazu noch sagen kann: Mir schien, es ist ihm sehr wichtig.“
„Ich habe den Verlobten seiner Tochter erschossen.“
„Wie ich hörte, hat Mr. Muchiol um Ihre Hand angehalten.“
„Ja“, seufzte sie.
Da war sie wieder, diese Angst, die sie von innen versuchte aufzufressen. Dieser Schmerz ging über jede bislang erlebte Session hinaus. Sie konnte ihn kaum aushalten. Und sie hasste ihn wie nichts anderes in ihrem Leben.
„Wenn Sie Mr. Rascharow nicht trauen, kann ich …“
„Sie sagten doch, Sie trauen ihm selbst nicht.“
„Ich treffe mich auch nicht unter vier Augen mit ihm.“
Sam stand schneller auf, als was er erneut versuchen konnte, sie zum Bleiben zu bewegen. „Das muss ich mit meinem Verlobten besprechen.“ Sam nickte ihm zum Abschied zu und eilte, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, zum Empfang, um sich endlich den Schlüssel zu ihrer Suite aushändigen zu lassen, in der ihr Gepäck längst auf sie wartete.
5
Seit Sam von dem großen Muchiol Konzern zu der kleinen, aber nicht weniger erfolgreicher MIR Enterprises gewechselt hatte, hatte sich vieles in ihrem Berufsalltag verändert. Sie hetzte auch weiterhin neuen Aufträgen hinterher, allerdings war sie an keine Vorgaben mehr gebunden und musste sich niemandem mehr verantworten, ausschließlich nur noch Memos und kurze Erfolgsberichte vorlegen. Das Tagespensum ihrer Aufgaben war seit dem jedoch nicht einmal mehr in einem 48-Stunden Tag unterzubringen. Auch dann nicht, wenn sie auf das Firmenfuhrwerk samt Fahrer oder Pilot zugriff.
Dennoch hinkte sie ihrer Arbeit nicht hinterher, erledigte eben mehrere Aufgaben zur selben Zeit und delegierte trotzdem kaum etwas weiter, obgleich sie über mehr Mitarbeiter verfügte, als ihr ehemaliger Vorgesetzter.
Während die wenigen Männer in gleichwertigen Positionen die Architekten und Baumeister, die für den Immobilien-Konzern tätig waren, zu Rate zogen, konsultierte Sam weiterhin ihre persönlichen Favoriten – meist kleine, selbständige Kreativköpfe, die ihren Projekten das gewisse Etwas verliehen und wegen genau diesem sie bei ihren Auftraggebern so gefragt war.
Früher belächelte man ihre Unart – so bezeichnete man das tatsächlich – statt sich von ihr inspirieren zu lassen. Auch das war nun anders. Die Konkurrenz in eigenen Reihen schlief nicht und sie musste immer öfter nach neuen Kontakten Ausschau halten. Obwohl im gleichen Becken schwimmend, warben ihr die Haie die Quellen und Zulieferanten ab, sodass sie sich ständig etwas Neues einfallen lassen musste, um aus der Masse, nicht nur ihres Rockes wegen, herauszustechen.
„Sagen Sie Bob, das kann er besser“, ergriff sie den abwaschbaren Filzstift und kreiste einige Stellen auf der Projektion des Entwurfes an. „Das gibt es schon an jeder Straßenecke. Wie ich gehört habe, rechnen Sie für seine Dienste das Doppelte von dem Budget ab, mit dem ich bislang unsere Konten belastete. Dann soll er für das viele Geld wenigstens Etwas noch nie Dagewesenes präsentieren.“
Die Männer im Raum sahen sich gegenseitig an, dann richteten sie ihren Blick auf dem Chef des kleinen, aber sehr gefragten Unternehmens.
„Und womit überraschst du uns heute, Sam?“, ergriff Winston das Wort. „Doch nicht etwa mit dem Baumhaus, wegen dem du mit dem Firmenflugzeug nach Nashville geflogen bist.“
Dieser Krieg ging auf ihre Kappe, denn Männer hielten ja bekanntlich zusammen. In ihrer Reihe war auch weiterhin kein Platz für eine Frau. Nicht einmal für eine wie Sam.
Nachdem das verachtende Lachen versiegt war, steckte Sam ihr Tablet an den Projektor an und startete die Präsentation.
„Nein, kein Baumhaus. Auch, wenn der Vorschlag, mit dem Firmenjet mitzufliegen, der sowieso nach Nashville geflogen wäre, um deinen Großonkel abzuholen, deine Idee war“, suchte sie Blickkontakt zu ihrem Verlobten, der sie daraufhin zähnefletschend angrinste.
Auf der Wand aus Milchglas erschien eine Zeichnung. Kein Plan, eher ein Aquarell. Obwohl das Bild verspielt und bei diesem Publikum deplatziert wirkte, überzeugte es alle Anwesenden mit der angedeuteten Größe.
„Ein Hochhaus?“, der Widersacher, der sich ihren besten Newcomer auf dem Architektenhimmel unter den Nagel gerissen hatte, klang enttäuscht.
Sie mobbten sie und zogen ihr Bestreben ins Lächerliche, aber in Wirklichkeit hatten alle Respekt vor ihr, wenn nicht gar Angst.
„Ein Hochhaus?“, wiederholte Winston, als wollte er es selbst nicht glauben. Ein stinknormales Hochhaus, von denen es rund um den Globus bereits Unmengen gab.
Sam strich über den Touchscreen ihres Tablets, worauf das bunte Bild von einem maßgetreuen Entwurf abgelöst wurde.
„Wo bleibt die Pointe?“, erkundigte sich Winston.
„Es gibt keine Pointe“, verkündete Sam. „Diesmal“, fügte sie hinzu. „Stahlbeton, Glasfassade … Na ja, das klassische Programm.“
Der Entwurf war keinesfalls klassisch und stach aus dem bekannten Bild der ebenso bekannten Musikstadt hervor.
„Ich verstehe nicht …“, wunderte sich Konstantin, der Sohn eines aus Griechenland stammenden Herzchirurgen. „Wo soll das Ding hin?“
Als hätte sie genau auf diese Frage gewartet, strich sie ein weiteres Mal über den Bildschirm und auf der Wand erschien ein Ausschnitt des Ortsbildes mit einer großen Lücke zwischen den bereits vorhandenen Hochhäusern.
„Das ist doch eine Bronson-Baustelle“, war allen bekannt.
Egal wie groß, bekannt und gefragt das Muchiol-Unternehmen auch war, es war nicht das einzige auf dem Markt. Der Platz auf der Erde war begrenzt und die Immobilien-Gurus waren auch nichts anderes wie Rüden, deren Machtkampf darin bestand, die meist bebaute Fläche für sich zu beanspruchen. Wie Duftmarken verteilten sie ihre Bauten rund um den Planeten.
„Jack Bronson lässt sich lieber seinen Wichsarm abhacken, ehe er dieses Fleckchen Erde verkauft“, hielt sich jemand mit seiner Meinung nicht zurück.
„Jack verkauft auch nicht“, Sam sah auf die Uhr, die an der Wand hing und die Uhrzeiten von verschiedenen Orten dieser Erde anzeigte. „Aber seine gerade eben rechtskräftig geschiedene Frau Daniele. Laut Scheidungsurteil gehören ihr zwei Drittel des Bronson-Vermögens. Mitunter auch …“, Sam tippte mit dem Fingernagel auf die kahle Lücke im Bild. „Sie ist übrigens die Nachbarin meines Baumhaus-Kunden und ihre Kinder können es nicht erwarten, in diesem Baumhaus mitspielen zu können.“
Das nächste Wischen über den Bildschirm offenbarte das geplante Spielhaus.
„Gott!“, stieß einer der Männer, die sich bislang zurückhielten, hervor. „Ich dachte an eine kleine Hütte, wie einst mein Vater mit meinem Großvater für meinen Bruder und mich gebaut hatten. Das ist ja …“
„Hundert Quadratmeter verteilt auf vier Etagen.“
„Was kostet das Spielzeug?“, erfragte Winston.
„Eine halbe Million Dollar.“
„Sam“, lachte einer der Männer, aber diesmal mit einem freundlichen, wenn nicht gar etwas eingeschüchterten Unterton. „Sehen Sie bitte zu, dass meine Frau nicht Wind davon bekommt, sonst macht sie mir die Hölle heiß, weil in unserem Garten noch keines steht.“
„Nicht nur deine“, knurrte ein anderer.
„Das“, Winston fegte mit der Hand durch die Luft, als wollte er in der Projektion blättern. „Das bedeutet Krieg. Jack Bronson wird die Racheaktion seiner Ex nicht einfach so hinnehmen. Wir bekommen es bestimmt volle Breitseite zu spüren.“
„Ich bin Kriege gewöhnt“, ächzte Sam und erinnerte sich an das unerwartete Treffen mit ihrem arabischen Geschäftspartner.
Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen, dachte sie sich, wobei sie sich selbst nicht sicher war, worauf sich das Omen beziehen sollte. Auf den Wunsch des russischen Mafioso, sie zu treffen? Auf ihre unverfrorenen Geschäftspraktiken, die sich den Zorn einer Betrogenen zunutze machten? Oder etwa die Angst, der sie sich wieder mal deutlich bewusst wurde.
„Brunch im Club?“, fragte Brian, ein Immobilienmakler in dritter Generation.
„Bin dabei“, verkündete Winston und alle Augen richteten sich auf Sam.
„Nie im Leben“, entgegnete sie überheblich, klemmte ihr Tablet ab und begab sich aus dem Raum.
„Wir sollten reden“, holte sie Winston ein, noch bevor sie den Meetingraum verlassen hatte.
„Dicke Luft“, ätzte jemand im Hintergrund.
Ihre Liaison war allen bekannt. Winston war nicht nur der Chef. Ihm gehörten auch die meisten Aktien der Tochtergesellschaft des weltweiten Konzerns, die sich vom Mutterunternehmen erst vor kurzem abgenabelt hatte.
Keiner der Angestellten würde sich erlauben, ein Techtelmechtel am Arbeitsplatz anzufangen und Sam war allen ein Dorn im Auge, aber nur, weil sie befürchteten, von ihr in allen Belangen überholt zu werden. In Wahrheit hatte sie alle bereits am ersten Tag in der kleinen Tasche stecken, aber das wollte keiner von ihnen wahrhaben.
Winston und Sam holten zeitgleich ihre Handys heraus und öffneten ihre Terminkalender. Danach folgte etwas, was an das Spiel Schiffe versenken erinnerte, bis sie tatsächlich einen Treffer erzielten.
„Lenz holt dich am Donnerstag um 19.00 Uhr ab.“