Inhalt:
Was haben ein ehemaliger Rugbystar und ein erfolgreicher Architekt gemeinsam? Sie begehren die gleiche Frau.
Luna ist das Yin zu der beiden Yang, der Spiegel zwei völlig unterschiedlicher Seelen, Königin und Leibeigene in einer Person. Der allerdings reicht Begierde alleine nicht aus. Sie will geliebt werden. Was den beiden abverlangt wird, wird ihnen erst klar, als sie sie verlieren.
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Vergessen dich zu lieben
Vergessen dich zu lieben
© 2019 Zoe Zander
Vergessen dich zu lieben
BDSM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Leseeulen-Verlag
Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.com
www.zoe-zander.at
Man erzählt sich
von einem Riesen, der mal einer Fee begegnete.
Die Fee gefiel ihm so sehr, dass er sie für immer bei sich behalten wollte. Die kleine Fee erklärte sich einverstanden, würde ihr der Riese das Fliegen beibringen …
Also lehrte er sie, der Sonne so nah zu kommen, ohne zu verbrennen. Sich in Tiefen fallen zu lassen, ohne zu zerschellen. Sich fesseln zu lassen und trotzdem frei zu sein …
Die Fee war sehr gelehrig und der Riese begehrte sie für ihre Ausdauer, Gehorsamkeit und Hingabe.
Dennoch stürzte sie ab und brach sich das Herz.
Denn bei all dem Begehren hatte der Riese vergessen die Fee zu lieben.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Prolog
Da war sie wieder. Endlich. Die eine Woche, in der er sie nicht sehen konnte, kam ihm vor wie eine Ewigkeit.
Endlos lange Minuten verharrte er schon in diesem Versteck. Hinter dem Vorhang, vor der Wand aus Latten, aus denen am Dachboden der Villa das Atelier seines Großvaters errichtet wurde.
Er hatte sie nicht kommen gesehen. Schließlich musste er in das Versteck gelangen, bevor irgendjemand den Raum betreten hatte. So kam er noch nie in den Genuss, sie an der Haustür in Empfang zu nehmen.
Nun war sie aber da. Sie stand in der Mitte des spärlich eingerichteten Ateliers. Eigentlich war dort außer einer Staffelei, einer Kommode und ein paar Spiegeln an den Wänden nichts. Durch die Dachflächenfenster drang Sonnenlicht herein. Von den Spiegeln zurückgeworfen, trafen die grellen Strahlen genau in der Höhe ihres Kopfes aufeinander. Es gab eine regelrechte Lichtexplosion, die in seinen Augen brannte, wenn er hinsah. So wusste er immer noch nicht, wie ihr Gesicht aussah, wer sie war. Vielleicht war er ihr schon unzählige Male auf der Straße begegnet, ohne sie erkannt zu haben.
Natürlich hätte er sie einmal vor der Villa abpassen können. Aber dann würde er es nicht mehr unentdeckt in sein Versteck schaffen. Und das Spektakel zu verfolgen war ihm wichtiger, als ihre Identität zu lüften.
Als sein Großvater die schmale Treppe hinauf schlurfte, um ins Atelier zu gelangen, zog er sich tiefer hinter den Vorhang der Nische zurück. Ohne ein Wort der Begrüßung beiderseits ging der alte Maestro auf den knarrenden Dielen schleppend weiter, bis zu der antiquierten Kommode.
„Los geht’s!“, rief er ihr zu.
Die Göttin mit Sonnen bestrahlten Kopf zuckte zusammen, als hätte er nicht in die Hände geklatscht, sondern sie mit kaltem Wasser übergossen. Sie zuckte jedes Mal zusammen, obwohl dieses „Los-geht’s“ längst schon ein Ritual geworden war, und das eigentliche Martyrium, das sie zucken lassen sollte, erst zum nächsten Schritt gehörte.
Die Kunstschülerin zog sich aus. Zuerst die Riemchensandalen, dann das dünne Blumenkleidchen und als Letztes den Slip mit der weißen Spitzenbordüre. Ihre Sachen legte sie neben ihren Füßen auf den Boden. Dann stellte sie sich direkt vor die Staffelei. Noch ließ sie ihre Arme entspannt neben dem Körper hängen. Als sie merkte, dass er die Pinsel in die Hände genommen hatte, hob sie die Unterarme an. Ihre Ellenbogen bildeten exakt einen rechten Winkel. Sie streckte die Hände aus, mit den Handrücken nach oben.
Der alte Mann schritt langsam durch den Raum und als er bei ihr angekommen war, legte er ihr die Pinsel auf die Handrücken. Sie würde diese nun balancieren müssen …
Dann holte er aus der Kommode einen dünnen Stock.
Es sauste zum ersten Mal …
Der junge Mann hinter dem Vorhang schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und sog leise, aber tief die Luft zwischen den Zähnen in sich hinein. Er musste nicht mehr hinsehen, um zu erfahren, dass sie die Hiebe mit dem dünnen Stock, die er ihr auf den Rücken verpasste, reglos empfing. Dessen war er schon zu oft Zeuge geworden. Ihm reichte nur noch das Geräusch, damit vor seinen geschlossenen Lidern sein eigenes Kopfkino zu laufen begann.
Er vergötterte sie hierfür. Für ihre Reglosigkeit. Für die Ausdauer. Dafür, dass es sie gab. Für ihn, den achtzehnjährigen Enkel eines berühmten und gefragten Bildhauers, der nach dem Ausbruch der Parkinson-Krankheit sein Wissen und Können als Kunstlehrer in einem Gymnasium und als Privatlehrer an seine Schüler und Schülerinnen weitervermittelte.
Wie alt ist sie?, kehrten zuerst seine Gedanken in das Hier und Jetzt. Achtzehn? Älter? Er zwang sich, die Augen zu öffnen und ihren Körper zu betrachten.
Der alte Künstler schlug erneut zu. Wieder schloss er die Augen und sog die Luft zwischen den Zähnen in sich hinein. So langsam und so tief, bis ihn der Schwindel ergriff und er beinahe den dunklen Vorhang runter riss, als er zu taumeln begann.
Er beobachtete sie schon seit zwei Jahren. Die Hiebe unterschieden sich kaum von all denen, die ihr der kranke Künstler in dieser Zeit verpasst hatte. Der Maestro, wie er von ihr angesprochen werden wollte, züchtigte sie zu Beginn jeder Unterrichtsstunde. Seit sein Enkel zum ersten Mal dabei zugesehen hatte, hielt sie den Schlägen stand. Zuckte nur hier und da etwas, wenn es zu stark ziepte. Aber diesmal schlug er zum allerersten Mal auf ihren Innenschenkel, worauf sie die Pinsel zu Boden warf und sich mit den Händen an die geschlagene Stelle fasste.
„Was bist du für eine Künstlerin, wenn du die Hände nicht unter Kontrolle hast!“, fuhr er sie an.
„Verzeiht, Maestro. Es wird nie wieder vorkommen“, antwortete sie ruhig, denn Jammern und Schluchzen duldete er nicht. Nicht, dass sie jemals gejammert oder geschluchzt hätte. Der Enkel hatte allerdings einige der anderen Schüler und Schülerinnen gehört, wie sie beteuerten und die Schuld von sich wiesen, wenn sie von seinem Großvater gerügt wurden. Gerügt, wohl gemerkt. Nicht geschlagen.
Sie streckte ihre Hände wieder aus, aber nun bot sie ihm die Handflächen an. Sie wusste, es würde eine Strafe folgen, weil sie sich seinen Erziehungsmethoden widersetzt hatte. Der dünne Stock flitzte durch die Luft und prallte mittig auf ihre Handflächen. Obwohl es sich für sie wie ein Messerschnitt anfühlte, verzog sie nicht einmal die Augenbraue. Aber das konnte er nicht sehen …
Er schloss genüsslich die Augen und sog tief Luft ein weiteres Mal in seinen Körper hinein. Diesmal durch die Nase, hinein in die Lunge, den Bauch, bis in seine Schenkel, die dadurch zu vibrieren anfingen und die er mit sanfter Handmassage zu beruhigen versuchte. Es war bei Gott nicht zum ersten Mal, wo er seinen Großvater mit seiner Mentee in dem Atelier unterm Dach beobachtete. Aber nichts glich auch nur annähernd den Unterrichtsstunden mit ihr …
Auch dieses Mal verspürte er ein Kribbeln, ja sogar regelrechtes Dröhnen in seinen Gliedern. Vor allem in dem einen. Für sein junges Alter hatte er bereits genug Erfahrung mit Frauen. Auch hatte er oft gesehen, was der alte Künstler mit den anderen seiner Mentees trieb. Dennoch, oder gerade deshalb, vermutete er, dass er vor sich noch eine Knospe stehen hatte. Sie biederte sich dem faltigen Lüstling nicht an und seine sichtbare Erregung ließ sie gänzlich unberührt. Sie sah nicht aus, als würde sie sich aus Männern nichts machen. Ehe, als fehlte es ihr noch an Erfahrung, oder …
Zu all seiner Erregung gesellte sich Verwirrung. Er betrachtete sie ausgiebig und dachte dabei nach. Geschmückt mit blutroten Striemen sah ihr Körper für ihn anbetungswürdig aus.
Er schämte sich nicht für sein Empfinden.
Ein Klopfen an die Ateliertür entriss ihn den Gedanken. Seine Großmutter betrat den Arbeitsraum.
„Kaffee für den Maestro“, sagte die alternde Dame mit gesenktem Blick. Sie wusste, was dort oben unter dem Dachgiebel vorging. Die Erziehung, die sie in ihrem Elternhaus genossen hatte, erlaubte ihr nicht, alles zu verstehen. Lediglich, es zu dulden. So sah sie einfach weg, als sie an dem jungen Ding vorbeiging.
„Wurde auch Zeit“, brummte der Kunstlehrer und nahm das halbvolle Schälchen vom Tablett, das sie in den Händen hielt. Er schlürfte die dampfende Brühe, ohne die Züchtigung seiner Schülerin zu unterbrechen.
„Wann hast du Geburtstag?“, fragte der Mann seine Schülerin unerwartet.
„Morgen, Maestro“, antwortete diese schüchtern.
„Morgen“; wiederholte er nachdenkend.
Der Mann beendete die Tortur und befahl ihr, ihre Arbeit an dem Bild, das an der Staffelei stand, fortzusetzen …
„Ich habe einen Käufer für dein Bild“, sagte der alte Mann nebenbei.
Sie zeigte keine Regung.
„Du musst es nur noch signieren. Also los!“ Es zischte nochmals und sein Enkel beobachtete, in seinem Versteck zitternd, den zuerst leuchtend weißen Strich, der langsam die Farbe von einem zarten Rosa ins dunkle Violett wechselte. Sie wartete ab, bis er den Stock ablegte. Dann legte sie selbst den Pinsel ab und nahm den Stift in die Hand, den er ihr reichte.
„Dein erster Bewunderer. Und er wird nicht dein letzter bleiben. Aber egal, wie viele es noch werden. Keiner von ihnen wird dich je so bewundern, wie ich.“
Sie betrachtete das junge Mädchen mit dem riesigen, silbern schimmernden Mond im Hintergrund und schrieb dann zaghaft ihren gerade erfundenen Künstlernamen in die untere rechte Ecke des Bildes. Danach sah sie ihren Mentor in Erwartung weiterer Anweisungen an.
Sein Enkel schielte nervös durch den Spalt in den Wanddielen. Er presste seine Hände zuerst an die Schenkel, dann auf sein pralles Gemächt.
„Dies war dein letzter Unterricht“, sagte sein Großvater überraschend.
Sie ertrug die Schläge reglos, doch nun erzitterte sie vor Entsetzen.
„Ich habe dir nichts mehr beizubringen. In meinen Augen bist du perfekt. Ziehe dich an und verschwinde!“, warf er sie regelrecht hinaus.
Sie bückte sich, um ihre abgelegten Sachen aufzuheben.
„Perfekt“, seufzte der Mann bedrückt, während er sich mit der Tasse in der zitternden Hand langsam zur Tür begab. Der alte Kunstlehrer, der vor Jahren mit dem Malen aufhören musste, weil er keinen geraden Pinselstrich mehr zusammen brachte, verließ den Raum und ging langsam, starr vor sich blickend an dem Versteck seines Enkels vorbei …
Einen besonderen Dank an
Traumschreiber
und
Tom Nightingale
für die Inspiration.
Vertrauen
Wenn meine führende Hand deinen Kopf voller Gedanken am Haar zum Boden zieht …
Du für mich im Feuer kniest, mit Gliedern aus Blei und Tausenden an Spuren, die keiner sieht …
Und mit geraubtem Gehör und geblendeten Augen du die Zeit vergehen spürst, in der nur scheinbar nichts geschieht …
Wenn du aus freiem Willen übergibst mir deinen Atem in meine Gewalt …
Du dabei auf verbrannten Sohlen vor Schmerz schmilzt, auch wenn das Eis auf deiner Haut ist bitterkalt …
Und ich, nur weil du mir vertraust, dir Hiebe spende: Der erste lässt dich fliegen, ein weiterer schenkt dir Halt …
Zoe Zander
1. Kapitel
Diese Geschichte nahm ihren Lauf im Winter. Im Februar. Genau gesagt, am 14. Februar, also am Valentinstag. Es war klirrend kalt und das bereits seit Wochen. Die Erde war zugefroren. Wer seine Augen an blühenden Frühlingsboten weiden wollte, musste sich in eine Blumenhandlung begeben. Wochenlang herrschte am Himmel ein tristes Grau, als hätte es dort jemand aufgesprüht. Man wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Winter nie aufhören würde.
Es lag jedoch nicht am Wetter, weil die Stimmung im Hause Rötinger genauso fröstelnd war, wie die Temperaturen im Freien.
An diesem Tag waren alle drei Familienmitglieder anwesend. Tristan, ein angesehener Architekt. Lisbeth, eine gefragte Künstlerin. Und der gemeinsame Sohn Lucas.
Seit Jahren saßen sie nun zum ersten Mal wieder gemeinsam an einem Tisch. Sie schwiegen sich gegenseitig an und der Einzige, der sich an dem Tag der Verliebten Gedanken über die Liebe machte, war Lucas.
Seine Hochzeit stand bevor.
Lisbeth dachte nur an Sex. An hemmungsloses Treiben in allen Variationen, sodass sie sich mit der fortgeschrittenen Uhrzeit fragte, ob sie anstatt einer Kopfschmerztablette nicht etwas vom Altbestand unerlaubter Substanzen, die sie in der Jugend gelegentlich konsumiert hatte, erwischt hatte.
„Ich stehe kurz vor dem wichtigsten Schritt meines Lebens und ihr unterstützt mich kein bisschen!“, beendete Lucas unerwartet die Stille.
„Unterstützen?“ Der Vorwurf erwischte die Mutter kalt. Das Mitwirken der Eltern stand von Anbeginn der Planung nicht zur Debatte. „Kümmert sich nicht die Hochzeitsplanerin um alles?“
Lucas wischte sich mit den Händen übers Gesicht und seufzte sie lediglich an.
„Habt ihr etwa noch keine Location? Catering? Gefällt dir der Anzug nicht mehr, den du dir ausgesucht hast?“
„Mama!“, knurrte er sie an. „Mum, das ist doch nicht das Problem.“
Tristan räusperte sich plötzlich und fing an unruhig zu nisten. Auch das verwunderte Lisbeth. Er selbst hatte alle Möbel in ihrem Haus entworfen und gerade diese Sessel waren unglaublich bequem. Sie sah absolut keinen Grund zum Nisten.
Wie schon erwähnt, Tristan war Architekt. Nach Lust, Laune und natürlich Anfragen entwarf er vom Schaukelpferd für das geliebte Enkerl bis zum Wolkenkratzer alles, was das Herz begehrte und der Geldbeutel sich leisten konnte.
„Brauchst du mehr Geld?“, beteiligte er sich schließlich am Gespräch.
„Ihr schnallt es wohl nicht!“
Lisbeths lusttriefende Gedanken verpufften. Die Gedanken von Tristan offensichtlich auch, denn ihre Blicke trafen sich nicht nur flüchtig, wie meist in der letzten Zeit, sondern bewusst und sehr intensiv. Lisbeth fühlte sich von seinem Blick durchbohrt. Ebenso glaubte sie, in diesem Moment mit ihrem Blick in dem Innersten ihres Mannes zu wühlen, was auch ihm nicht gerade angenehm zu sein schien.
„Es geht um euch beide. Ich heirate demnächst und ihr benehmt euch, als herrschte zwischen euch seit Jahren ein verbitterter Rosenkrieg. Wollt ihr etwa diese Stimmung zu meiner Hochzeit mitbringen? Rosas Eltern sind das perfekte Beispiel dafür, wie eine Ehe auch nach Jahren funktionieren kann. Aber ihr – ihr kotzt mich an!“ Er warf sein Besteck in den Teller, stand auf und lief wutentbrannt aus dem Esszimmer.
Ausbrüche dieser Art erlebte der Rötingersche Haushalt sehr selten. Eigentlich nie. Die Eltern wussten nicht damit umzugehen, also ignorierten sie es. Lisbeth und Tristan führten eine harmonische Ehe und sie hatten sich im Laufe der Jahre in Harmonie auseinandergelebt. Zwischen ihnen verweilte eine gewisse gegenseitige Gleichgültigkeit, auch wenn Lisbeth ihren Mann immer noch sehr attraktiv fand. Der silbrige Schimmer in dem kurzen Haar verlieh seinem Charakter etwas Geheimnisvolles. Für sein Alter war er gut im Schuss. Seine Maßanzüge passten ihm hervorragend und betonten seinen durchtrainierten Körper … Sie schloss kurz die Augen, um sich diesen Körper ins Gedächtnis zu rufen. Es war tatsächlich schon eine sehr lange Zeit her, wo sie ihn gesehen und angefasst hatte.
Die Mutter legte das Messer ab, nahm ihre Hand vom Tisch, legte sich diese zuerst auf den Schenkel. Sie schob sich die Finger langsam in den Schritt …
„Doch nicht beim Essen“, brummte sie Tristan an.
Wortlos nahm sie den Petersilienstängel zwischen die Finger, der ihr vom Teller hinunter gefallen war. Demonstrativ legte sie das Grün auf den Tellerrand. Danach nahm sie erneut das Messer in die Hand und aß weiter. Tristan beäugte sie noch einen Moment lang prüfend. Auch er fand seine Gattin immer noch so schön wie am ersten Tag. Wenn nicht sogar noch schöner. Ihr Körper, der Körper, den er so gerne ansah und anfasste, war viel definierter als zu Beginn ihrer Beziehung. Die Geburt ihres Sohnes schenkte ihrem Hintern eine vollkommene Rundung, die ihn, wenn er nur an sie dachte, um den Verstand bringen konnte.
Tristan räusperte sich und streifte sich mit dem Daumen über die Handflächen, als wollte er irgendeinen Schmutz loswerden. Sie kribbelten. Sie kribbelten vor Hunger und Gier nach dem Körper seiner Frau.
Die Eheleute warfen sich noch einen flüchtigen Blick zu.
Lucas Anliegen oder eher Vorwürfe erwähnten sie mit keinem einzigen Wort. Nicht einmal mit einer Geste. Als hätte es sie nie gegeben.
Sie wussten es eben besser.
Lisbeth legte noch nie großen Wert auf Ernährung und war deshalb als erste mit dem Abendmahl fertig. Mit dem Teller in der Hand stand sie auf und wollte in die Küche gehen, als Lucas zurückkehrte.
„Wirst du es noch essen, Schätzchen?“, säuselte sie ihn an.
Der erwachsene Sohn schnalzte mit der Zunge, verdrehte die Augen, sagte vorerst kein Wort. Erst als sie nach seinem Teller griff, fuhr er fort: „Rosas Eltern schmeißen nächste Woche eine Party. Ich erwarte, dass ihr hingeht. Und gebt euch Mühe, sonst lassen sie die Hochzeit womöglich platzen!“ Danach verließ er erneut das Esszimmer und wenig später auch das elterliche Haus.
Lisbeth brachte das Geschirr in die Küche, schob die Essensreste in den Biomüll und verstaute die Teller und das Besteck im Geschirrspüler. Im Esszimmer raschelte die Zeitung. Tristan hatte sie aufgeschlagen, um sich über die Sportereignisse des Tages zu informieren. Lisbeth lauschte eine Weile. Sie ging davon aus, dass er ebenso lauschte, um festzustellen, was sie in der Küche trieb. Ob sie vielleicht das fortsetzte, was sie bei Tisch angefangen hatte.
Sie schubste mit dem Fuß die Klappe des Geschirrspülers zu, der sich daraufhin automatisch einschaltete. Sie begab sich in die Kellerräume, wo sich ihr Heimatelier befand.
Lisbeth war freischaffende Künstlerin. Sie lag ihrem gut verdienenden Mann nicht auf der Tasche, sondern trug mit dem Verkauf ihrer Werke zum Familienvermögen deutlich bei. Ihr erstes Bild verkaufte sie mit sechzehn Jahren. Es handelte sich dabei um ein nacktes Mädchen mit einem riesigen silbern schimmernden Mond im Hintergrund. Was kaum jemand wusste, mit diesem Bild war ihr Spitzname Luna entstanden. Mittlerweile nannte sie jeder so und all ihre Werke trugen seit diesem Tag diese Signatur.
Luna machte sich selten mit großem Eifer an die Arbeit, als müsste sie eine Deadline einhalten. Nur in Ausnahmefällen nahm sie Auftragsarbeiten an und ließ sich nicht einmal hierbei hetzen. Auch nicht, wenn ihre Galeristin wieder mal klagte, dass sie ihre Bilder und Skulpturen viel schneller verkaufte, als was Luna neu erschuf.
Während Luna vor dem grundierten Leinen stand, beäugte sie die vergilbte Schachtel, die sich in der Ecke unter einem Haufen verwaschener Reinigungslappen befand. Sie war nicht ordentlich verschlossen. Das Liebesperlenkettchen hatte sich in dem ausgefransten Karton verfangen. Deshalb schloss der Deckel nicht bündig ab.
Luna seufzte enttäuscht. Die Lust, die ihr beim Abendessen ein Feuer im Becken entfacht hatte, hatte sich längst verflüchtigt. Und dieses Feuer, so schnell es zu lodern begann, war auch schon wieder erloschen. Sie seufzte ein weiteres Mal. Mehr war ihr der Frust nicht wert. Die letzten Intimitäten mit Tristan waren schon Ewigkeiten her und mittlerweile hatte sie nicht mal mehr Interesse, sich selbst Freude zu bereiten.
Luna öffnete die Farben. Tuben, Tegel und Kassetten. Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, nahm sie das Feuerzeug und zündete die Tüte an, die sie beim vorweihnachtlichen Hausputz in einem längst vergessenen Versteck entdeckt hatte. Genüsslich zog sie an dem selbst gewuzelten Joint und atmete den süßlich riechenden Rauch tief ein. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten und so trug sie die Farben und Formen genau so bunt, intensiv und formvollendet auf, wie sie ihr vor den Augen erschienen. Bis ein Flashback über sie herfiel:
Sie lümmelte mit Tristan auf dem Fell vor ihrem Kamin. Beide berauscht, erkundeten sie mit den Lippen und Zungen jeden Millimeter der Haut des anderen. Sie waren sehr gründlich, als suchten sie die bekannte Nadel im Heuhaufen. Es war sehr anregend und erregend zugleich. Sogar als Erinnerung brachte es Lunas Becken zum Pulsieren …
Ihr Rausch verging schnell. Vielleicht hatte das Zeug ein Verfallsdatum und mittlerweile an Wirkung eingebüßt. Nun lag es alleine an Luna, das Bild zu vollenden. Bemüht, das dreidimensionale Bildnis aus ihrer Fantasie, auf die Leinwand zu verfrachten, vernahm sie Schritte im Gang. Sie versiegten vor der offenen Tür. Die plötzliche Stille forderte sie auf, sich umzudrehen, aber sie tat es nicht. Auch dem Seufzer begegnete sie mit Ignoranz.
„Was soll’s“, schluchzte er leise. Die Worte wiederum verletzten sie. Wie ein riesiger Dorn, der sie in die Brust stach. Luna musste sich bewusst vor Augen führen, dass sie sich beide hierfür entschieden hatten. Keiner war alleine schuld. Sie teilten sich diese Verantwortung. Luna schluckte den Schmerz runter und setzte ihre Arbeit fort.
Weit nach Mitternacht wusch sie die Pinsel aus, streifte sich mit dem beschmierten Handrücken die Haare von der Stirn und drehte das Licht im Atelier ab. Sie stieg die Kellerstufen hinauf. Am Rande der Eingangshalle drehte sie sich kurz um. Am anderen Ende des Hauses ging es in den zweiten Keller hinunter. Lautes Stöhnen und das Ächzen der Gewichtsseilzüge erreichte ihr Gehör. Sie hätte Tausende an Gedanken haben können … Dass er sich überanstrengte. Dass seine verschwitzten Muskeln im Licht glänzten. Dass sie gerne seinen Schweiß schmecken würde. Seinen Atemzügen lauschen mochte … Aber sie dachte nur daran, dass sie am nächsten Tag bei ihren Yogaübungen die nassen Handtücher vorfinden würde. Wie die Spuren von einem Hund, der sein Revier markierte.
Ohne sich von ihrem Mann in die Nacht zu verabschieden, ging Luna in den obersten Stock, in das ehemalige Zimmer ihres Sohnes. Seit einem Jahr wohnte er nun mit seiner Verlobten zusammen in dem Gästehaus der zukünftigen Schwiegerleute. Nach seinem Auszug hatte sie die alten Möbel der Wohnungslosenhilfe gespendet und den ausgebauten Dachboden nach ihrem Geschmack neu eingerichtet. Sie und Tristan arbeiteten oftmals bis in die frühen Morgenstunden. Nun hatte jeder von ihnen seinen eigenen Bereich und störte sich nicht mehr daran, wenn der andere spät ins Bett kam, oder früh aus dem Bett stieg.
Das war die offizielle Begründung. In Wirklichkeit konnten sie auf diese Weise den vorwurfsvollen oder fragenden Blicken des anderen bestens aus dem Weg gehen.
Im Bad rief sich Luna Lucas Worte ins Gedächtnis. Sie ließen sie gänzlich unberührt. Das erschreckte sie kurz. Kaum trug sie die Nachtcreme auf ihr Dekolleté, gehörten seine Vorwürfe der Vergangenheit an und Luna sehnte sich nur noch nach dem Bett.
Als sie sich die Bettdecke zu den Ohren zog, fiel ihr ein, dass dies der einzige Bereich im Haus war, an dessen Ausstattung sich Tristan nicht beteiligt hatte. Luna fragte sich schon öfters, warum es zwischen ihnen so lief, wie es lief. Ausgemacht hatten sie nur eine Pause, nicht das Ende ihrer Beziehung. Trug sie etwa die Schuld? Hatte sie das Ende mit dem Alleingang bei der Neuausstattung des Dachbodens eingeleitet? Ihr wurde mulmig. Vielleicht fand sie deshalb nachts keinen erholsamen Schlaf …
Vergessen dich zu lieben
Vergessen dich zu lieben
© 2019 Zoe Zander
Vergessen dich zu lieben
BDSM-Roman
Alle Rechte vorbehalten
Cover und Covergestaltung: Jeanette Peters
Buchsatz und Textgestaltung: Zoe Zander
Korrektorat: Stefanie Brandt
Leseeulen-Verlag
Selbstverlag
Jeanette Peters
Dörwerstraße 68
44359 Dortmund
Email: Leseeulenverlag@gmx.de
Zander.Zoe@gmail.com
www.zoe-zander.at
Man erzählt sich
von einem Riesen, der mal einer Fee begegnete.
Die Fee gefiel ihm so sehr, dass er sie für immer bei sich behalten wollte. Die kleine Fee erklärte sich einverstanden, würde ihr der Riese das Fliegen beibringen …
Also lehrte er sie, der Sonne so nah zu kommen, ohne zu verbrennen. Sich in Tiefen fallen zu lassen, ohne zu zerschellen. Sich fesseln zu lassen und trotzdem frei zu sein …
Die Fee war sehr gelehrig und der Riese begehrte sie für ihre Ausdauer, Gehorsamkeit und Hingabe.
Dennoch stürzte sie ab und brach sich das Herz.
Denn bei all dem Begehren hatte der Riese vergessen die Fee zu lieben.
Informationen zur Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Prolog
Da war sie wieder. Endlich. Die eine Woche, in der er sie nicht sehen konnte, kam ihm vor wie eine Ewigkeit.
Endlos lange Minuten verharrte er schon in diesem Versteck. Hinter dem Vorhang, vor der Wand aus Latten, aus denen am Dachboden der Villa das Atelier seines Großvaters errichtet wurde.
Er hatte sie nicht kommen gesehen. Schließlich musste er in das Versteck gelangen, bevor irgendjemand den Raum betreten hatte. So kam er noch nie in den Genuss, sie an der Haustür in Empfang zu nehmen.
Nun war sie aber da. Sie stand in der Mitte des spärlich eingerichteten Ateliers. Eigentlich war dort außer einer Staffelei, einer Kommode und ein paar Spiegeln an den Wänden nichts. Durch die Dachflächenfenster drang Sonnenlicht herein. Von den Spiegeln zurückgeworfen, trafen die grellen Strahlen genau in der Höhe ihres Kopfes aufeinander. Es gab eine regelrechte Lichtexplosion, die in seinen Augen brannte, wenn er hinsah. So wusste er immer noch nicht, wie ihr Gesicht aussah, wer sie war. Vielleicht war er ihr schon unzählige Male auf der Straße begegnet, ohne sie erkannt zu haben.
Natürlich hätte er sie einmal vor der Villa abpassen können. Aber dann würde er es nicht mehr unentdeckt in sein Versteck schaffen. Und das Spektakel zu verfolgen war ihm wichtiger, als ihre Identität zu lüften.
Als sein Großvater die schmale Treppe hinauf schlurfte, um ins Atelier zu gelangen, zog er sich tiefer hinter den Vorhang der Nische zurück. Ohne ein Wort der Begrüßung beiderseits ging der alte Maestro auf den knarrenden Dielen schleppend weiter, bis zu der antiquierten Kommode.
„Los geht’s!“, rief er ihr zu.
Die Göttin mit Sonnen bestrahlten Kopf zuckte zusammen, als hätte er nicht in die Hände geklatscht, sondern sie mit kaltem Wasser übergossen. Sie zuckte jedes Mal zusammen, obwohl dieses „Los-geht’s“ längst schon ein Ritual geworden war, und das eigentliche Martyrium, das sie zucken lassen sollte, erst zum nächsten Schritt gehörte.
Die Kunstschülerin zog sich aus. Zuerst die Riemchensandalen, dann das dünne Blumenkleidchen und als Letztes den Slip mit der weißen Spitzenbordüre. Ihre Sachen legte sie neben ihren Füßen auf den Boden. Dann stellte sie sich direkt vor die Staffelei. Noch ließ sie ihre Arme entspannt neben dem Körper hängen. Als sie merkte, dass er die Pinsel in die Hände genommen hatte, hob sie die Unterarme an. Ihre Ellenbogen bildeten exakt einen rechten Winkel. Sie streckte die Hände aus, mit den Handrücken nach oben.
Der alte Mann schritt langsam durch den Raum und als er bei ihr angekommen war, legte er ihr die Pinsel auf die Handrücken. Sie würde diese nun balancieren müssen …
Dann holte er aus der Kommode einen dünnen Stock.
Es sauste zum ersten Mal …
Der junge Mann hinter dem Vorhang schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und sog leise, aber tief die Luft zwischen den Zähnen in sich hinein. Er musste nicht mehr hinsehen, um zu erfahren, dass sie die Hiebe mit dem dünnen Stock, die er ihr auf den Rücken verpasste, reglos empfing. Dessen war er schon zu oft Zeuge geworden. Ihm reichte nur noch das Geräusch, damit vor seinen geschlossenen Lidern sein eigenes Kopfkino zu laufen begann.
Er vergötterte sie hierfür. Für ihre Reglosigkeit. Für die Ausdauer. Dafür, dass es sie gab. Für ihn, den achtzehnjährigen Enkel eines berühmten und gefragten Bildhauers, der nach dem Ausbruch der Parkinson-Krankheit sein Wissen und Können als Kunstlehrer in einem Gymnasium und als Privatlehrer an seine Schüler und Schülerinnen weitervermittelte.
Wie alt ist sie?, kehrten zuerst seine Gedanken in das Hier und Jetzt. Achtzehn? Älter? Er zwang sich, die Augen zu öffnen und ihren Körper zu betrachten.
Der alte Künstler schlug erneut zu. Wieder schloss er die Augen und sog die Luft zwischen den Zähnen in sich hinein. So langsam und so tief, bis ihn der Schwindel ergriff und er beinahe den dunklen Vorhang runter riss, als er zu taumeln begann.
Er beobachtete sie schon seit zwei Jahren. Die Hiebe unterschieden sich kaum von all denen, die ihr der kranke Künstler in dieser Zeit verpasst hatte. Der Maestro, wie er von ihr angesprochen werden wollte, züchtigte sie zu Beginn jeder Unterrichtsstunde. Seit sein Enkel zum ersten Mal dabei zugesehen hatte, hielt sie den Schlägen stand. Zuckte nur hier und da etwas, wenn es zu stark ziepte. Aber diesmal schlug er zum allerersten Mal auf ihren Innenschenkel, worauf sie die Pinsel zu Boden warf und sich mit den Händen an die geschlagene Stelle fasste.
„Was bist du für eine Künstlerin, wenn du die Hände nicht unter Kontrolle hast!“, fuhr er sie an.
„Verzeiht, Maestro. Es wird nie wieder vorkommen“, antwortete sie ruhig, denn Jammern und Schluchzen duldete er nicht. Nicht, dass sie jemals gejammert oder geschluchzt hätte. Der Enkel hatte allerdings einige der anderen Schüler und Schülerinnen gehört, wie sie beteuerten und die Schuld von sich wiesen, wenn sie von seinem Großvater gerügt wurden. Gerügt, wohl gemerkt. Nicht geschlagen.
Sie streckte ihre Hände wieder aus, aber nun bot sie ihm die Handflächen an. Sie wusste, es würde eine Strafe folgen, weil sie sich seinen Erziehungsmethoden widersetzt hatte. Der dünne Stock flitzte durch die Luft und prallte mittig auf ihre Handflächen. Obwohl es sich für sie wie ein Messerschnitt anfühlte, verzog sie nicht einmal die Augenbraue. Aber das konnte er nicht sehen …
Er schloss genüsslich die Augen und sog tief Luft ein weiteres Mal in seinen Körper hinein. Diesmal durch die Nase, hinein in die Lunge, den Bauch, bis in seine Schenkel, die dadurch zu vibrieren anfingen und die er mit sanfter Handmassage zu beruhigen versuchte. Es war bei Gott nicht zum ersten Mal, wo er seinen Großvater mit seiner Mentee in dem Atelier unterm Dach beobachtete. Aber nichts glich auch nur annähernd den Unterrichtsstunden mit ihr …
Auch dieses Mal verspürte er ein Kribbeln, ja sogar regelrechtes Dröhnen in seinen Gliedern. Vor allem in dem einen. Für sein junges Alter hatte er bereits genug Erfahrung mit Frauen. Auch hatte er oft gesehen, was der alte Künstler mit den anderen seiner Mentees trieb. Dennoch, oder gerade deshalb, vermutete er, dass er vor sich noch eine Knospe stehen hatte. Sie biederte sich dem faltigen Lüstling nicht an und seine sichtbare Erregung ließ sie gänzlich unberührt. Sie sah nicht aus, als würde sie sich aus Männern nichts machen. Ehe, als fehlte es ihr noch an Erfahrung, oder …
Zu all seiner Erregung gesellte sich Verwirrung. Er betrachtete sie ausgiebig und dachte dabei nach. Geschmückt mit blutroten Striemen sah ihr Körper für ihn anbetungswürdig aus.
Er schämte sich nicht für sein Empfinden.
Ein Klopfen an die Ateliertür entriss ihn den Gedanken. Seine Großmutter betrat den Arbeitsraum.
„Kaffee für den Maestro“, sagte die alternde Dame mit gesenktem Blick. Sie wusste, was dort oben unter dem Dachgiebel vorging. Die Erziehung, die sie in ihrem Elternhaus genossen hatte, erlaubte ihr nicht, alles zu verstehen. Lediglich, es zu dulden. So sah sie einfach weg, als sie an dem jungen Ding vorbeiging.
„Wurde auch Zeit“, brummte der Kunstlehrer und nahm das halbvolle Schälchen vom Tablett, das sie in den Händen hielt. Er schlürfte die dampfende Brühe, ohne die Züchtigung seiner Schülerin zu unterbrechen.
„Wann hast du Geburtstag?“, fragte der Mann seine Schülerin unerwartet.
„Morgen, Maestro“, antwortete diese schüchtern.
„Morgen“; wiederholte er nachdenkend.
Der Mann beendete die Tortur und befahl ihr, ihre Arbeit an dem Bild, das an der Staffelei stand, fortzusetzen …
„Ich habe einen Käufer für dein Bild“, sagte der alte Mann nebenbei.
Sie zeigte keine Regung.
„Du musst es nur noch signieren. Also los!“ Es zischte nochmals und sein Enkel beobachtete, in seinem Versteck zitternd, den zuerst leuchtend weißen Strich, der langsam die Farbe von einem zarten Rosa ins dunkle Violett wechselte. Sie wartete ab, bis er den Stock ablegte. Dann legte sie selbst den Pinsel ab und nahm den Stift in die Hand, den er ihr reichte.
„Dein erster Bewunderer. Und er wird nicht dein letzter bleiben. Aber egal, wie viele es noch werden. Keiner von ihnen wird dich je so bewundern, wie ich.“
Sie betrachtete das junge Mädchen mit dem riesigen, silbern schimmernden Mond im Hintergrund und schrieb dann zaghaft ihren gerade erfundenen Künstlernamen in die untere rechte Ecke des Bildes. Danach sah sie ihren Mentor in Erwartung weiterer Anweisungen an.
Sein Enkel schielte nervös durch den Spalt in den Wanddielen. Er presste seine Hände zuerst an die Schenkel, dann auf sein pralles Gemächt.
„Dies war dein letzter Unterricht“, sagte sein Großvater überraschend.
Sie ertrug die Schläge reglos, doch nun erzitterte sie vor Entsetzen.
„Ich habe dir nichts mehr beizubringen. In meinen Augen bist du perfekt. Ziehe dich an und verschwinde!“, warf er sie regelrecht hinaus.
Sie bückte sich, um ihre abgelegten Sachen aufzuheben.
„Perfekt“, seufzte der Mann bedrückt, während er sich mit der Tasse in der zitternden Hand langsam zur Tür begab. Der alte Kunstlehrer, der vor Jahren mit dem Malen aufhören musste, weil er keinen geraden Pinselstrich mehr zusammen brachte, verließ den Raum und ging langsam, starr vor sich blickend an dem Versteck seines Enkels vorbei …
Einen besonderen Dank an
Traumschreiber
und
Tom Nightingale
für die Inspiration.
Vertrauen
Wenn meine führende Hand deinen Kopf voller Gedanken am Haar zum Boden zieht …
Du für mich im Feuer kniest, mit Gliedern aus Blei und Tausenden an Spuren, die keiner sieht …
Und mit geraubtem Gehör und geblendeten Augen du die Zeit vergehen spürst, in der nur scheinbar nichts geschieht …
Wenn du aus freiem Willen übergibst mir deinen Atem in meine Gewalt …
Du dabei auf verbrannten Sohlen vor Schmerz schmilzt, auch wenn das Eis auf deiner Haut ist bitterkalt …
Und ich, nur weil du mir vertraust, dir Hiebe spende: Der erste lässt dich fliegen, ein weiterer schenkt dir Halt …
Zoe Zander
1. Kapitel
Diese Geschichte nahm ihren Lauf im Winter. Im Februar. Genau gesagt, am 14. Februar, also am Valentinstag. Es war klirrend kalt und das bereits seit Wochen. Die Erde war zugefroren. Wer seine Augen an blühenden Frühlingsboten weiden wollte, musste sich in eine Blumenhandlung begeben. Wochenlang herrschte am Himmel ein tristes Grau, als hätte es dort jemand aufgesprüht. Man wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Winter nie aufhören würde.
Es lag jedoch nicht am Wetter, weil die Stimmung im Hause Rötinger genauso fröstelnd war, wie die Temperaturen im Freien.
An diesem Tag waren alle drei Familienmitglieder anwesend. Tristan, ein angesehener Architekt. Lisbeth, eine gefragte Künstlerin. Und der gemeinsame Sohn Lucas.
Seit Jahren saßen sie nun zum ersten Mal wieder gemeinsam an einem Tisch. Sie schwiegen sich gegenseitig an und der Einzige, der sich an dem Tag der Verliebten Gedanken über die Liebe machte, war Lucas.
Seine Hochzeit stand bevor.
Lisbeth dachte nur an Sex. An hemmungsloses Treiben in allen Variationen, sodass sie sich mit der fortgeschrittenen Uhrzeit fragte, ob sie anstatt einer Kopfschmerztablette nicht etwas vom Altbestand unerlaubter Substanzen, die sie in der Jugend gelegentlich konsumiert hatte, erwischt hatte.
„Ich stehe kurz vor dem wichtigsten Schritt meines Lebens und ihr unterstützt mich kein bisschen!“, beendete Lucas unerwartet die Stille.
„Unterstützen?“ Der Vorwurf erwischte die Mutter kalt. Das Mitwirken der Eltern stand von Anbeginn der Planung nicht zur Debatte. „Kümmert sich nicht die Hochzeitsplanerin um alles?“
Lucas wischte sich mit den Händen übers Gesicht und seufzte sie lediglich an.
„Habt ihr etwa noch keine Location? Catering? Gefällt dir der Anzug nicht mehr, den du dir ausgesucht hast?“
„Mama!“, knurrte er sie an. „Mum, das ist doch nicht das Problem.“
Tristan räusperte sich plötzlich und fing an unruhig zu nisten. Auch das verwunderte Lisbeth. Er selbst hatte alle Möbel in ihrem Haus entworfen und gerade diese Sessel waren unglaublich bequem. Sie sah absolut keinen Grund zum Nisten.
Wie schon erwähnt, Tristan war Architekt. Nach Lust, Laune und natürlich Anfragen entwarf er vom Schaukelpferd für das geliebte Enkerl bis zum Wolkenkratzer alles, was das Herz begehrte und der Geldbeutel sich leisten konnte.
„Brauchst du mehr Geld?“, beteiligte er sich schließlich am Gespräch.
„Ihr schnallt es wohl nicht!“
Lisbeths lusttriefende Gedanken verpufften. Die Gedanken von Tristan offensichtlich auch, denn ihre Blicke trafen sich nicht nur flüchtig, wie meist in der letzten Zeit, sondern bewusst und sehr intensiv. Lisbeth fühlte sich von seinem Blick durchbohrt. Ebenso glaubte sie, in diesem Moment mit ihrem Blick in dem Innersten ihres Mannes zu wühlen, was auch ihm nicht gerade angenehm zu sein schien.
„Es geht um euch beide. Ich heirate demnächst und ihr benehmt euch, als herrschte zwischen euch seit Jahren ein verbitterter Rosenkrieg. Wollt ihr etwa diese Stimmung zu meiner Hochzeit mitbringen? Rosas Eltern sind das perfekte Beispiel dafür, wie eine Ehe auch nach Jahren funktionieren kann. Aber ihr – ihr kotzt mich an!“ Er warf sein Besteck in den Teller, stand auf und lief wutentbrannt aus dem Esszimmer.
Ausbrüche dieser Art erlebte der Rötingersche Haushalt sehr selten. Eigentlich nie. Die Eltern wussten nicht damit umzugehen, also ignorierten sie es. Lisbeth und Tristan führten eine harmonische Ehe und sie hatten sich im Laufe der Jahre in Harmonie auseinandergelebt. Zwischen ihnen verweilte eine gewisse gegenseitige Gleichgültigkeit, auch wenn Lisbeth ihren Mann immer noch sehr attraktiv fand. Der silbrige Schimmer in dem kurzen Haar verlieh seinem Charakter etwas Geheimnisvolles. Für sein Alter war er gut im Schuss. Seine Maßanzüge passten ihm hervorragend und betonten seinen durchtrainierten Körper … Sie schloss kurz die Augen, um sich diesen Körper ins Gedächtnis zu rufen. Es war tatsächlich schon eine sehr lange Zeit her, wo sie ihn gesehen und angefasst hatte.
Die Mutter legte das Messer ab, nahm ihre Hand vom Tisch, legte sich diese zuerst auf den Schenkel. Sie schob sich die Finger langsam in den Schritt …
„Doch nicht beim Essen“, brummte sie Tristan an.
Wortlos nahm sie den Petersilienstängel zwischen die Finger, der ihr vom Teller hinunter gefallen war. Demonstrativ legte sie das Grün auf den Tellerrand. Danach nahm sie erneut das Messer in die Hand und aß weiter. Tristan beäugte sie noch einen Moment lang prüfend. Auch er fand seine Gattin immer noch so schön wie am ersten Tag. Wenn nicht sogar noch schöner. Ihr Körper, der Körper, den er so gerne ansah und anfasste, war viel definierter als zu Beginn ihrer Beziehung. Die Geburt ihres Sohnes schenkte ihrem Hintern eine vollkommene Rundung, die ihn, wenn er nur an sie dachte, um den Verstand bringen konnte.
Tristan räusperte sich und streifte sich mit dem Daumen über die Handflächen, als wollte er irgendeinen Schmutz loswerden. Sie kribbelten. Sie kribbelten vor Hunger und Gier nach dem Körper seiner Frau.
Die Eheleute warfen sich noch einen flüchtigen Blick zu.
Lucas Anliegen oder eher Vorwürfe erwähnten sie mit keinem einzigen Wort. Nicht einmal mit einer Geste. Als hätte es sie nie gegeben.
Sie wussten es eben besser.
Lisbeth legte noch nie großen Wert auf Ernährung und war deshalb als erste mit dem Abendmahl fertig. Mit dem Teller in der Hand stand sie auf und wollte in die Küche gehen, als Lucas zurückkehrte.
„Wirst du es noch essen, Schätzchen?“, säuselte sie ihn an.
Der erwachsene Sohn schnalzte mit der Zunge, verdrehte die Augen, sagte vorerst kein Wort. Erst als sie nach seinem Teller griff, fuhr er fort: „Rosas Eltern schmeißen nächste Woche eine Party. Ich erwarte, dass ihr hingeht. Und gebt euch Mühe, sonst lassen sie die Hochzeit womöglich platzen!“ Danach verließ er erneut das Esszimmer und wenig später auch das elterliche Haus.
Lisbeth brachte das Geschirr in die Küche, schob die Essensreste in den Biomüll und verstaute die Teller und das Besteck im Geschirrspüler. Im Esszimmer raschelte die Zeitung. Tristan hatte sie aufgeschlagen, um sich über die Sportereignisse des Tages zu informieren. Lisbeth lauschte eine Weile. Sie ging davon aus, dass er ebenso lauschte, um festzustellen, was sie in der Küche trieb. Ob sie vielleicht das fortsetzte, was sie bei Tisch angefangen hatte.
Sie schubste mit dem Fuß die Klappe des Geschirrspülers zu, der sich daraufhin automatisch einschaltete. Sie begab sich in die Kellerräume, wo sich ihr Heimatelier befand.
Lisbeth war freischaffende Künstlerin. Sie lag ihrem gut verdienenden Mann nicht auf der Tasche, sondern trug mit dem Verkauf ihrer Werke zum Familienvermögen deutlich bei. Ihr erstes Bild verkaufte sie mit sechzehn Jahren. Es handelte sich dabei um ein nacktes Mädchen mit einem riesigen silbern schimmernden Mond im Hintergrund. Was kaum jemand wusste, mit diesem Bild war ihr Spitzname Luna entstanden. Mittlerweile nannte sie jeder so und all ihre Werke trugen seit diesem Tag diese Signatur.
Luna machte sich selten mit großem Eifer an die Arbeit, als müsste sie eine Deadline einhalten. Nur in Ausnahmefällen nahm sie Auftragsarbeiten an und ließ sich nicht einmal hierbei hetzen. Auch nicht, wenn ihre Galeristin wieder mal klagte, dass sie ihre Bilder und Skulpturen viel schneller verkaufte, als was Luna neu erschuf.
Während Luna vor dem grundierten Leinen stand, beäugte sie die vergilbte Schachtel, die sich in der Ecke unter einem Haufen verwaschener Reinigungslappen befand. Sie war nicht ordentlich verschlossen. Das Liebesperlenkettchen hatte sich in dem ausgefransten Karton verfangen. Deshalb schloss der Deckel nicht bündig ab.
Luna seufzte enttäuscht. Die Lust, die ihr beim Abendessen ein Feuer im Becken entfacht hatte, hatte sich längst verflüchtigt. Und dieses Feuer, so schnell es zu lodern begann, war auch schon wieder erloschen. Sie seufzte ein weiteres Mal. Mehr war ihr der Frust nicht wert. Die letzten Intimitäten mit Tristan waren schon Ewigkeiten her und mittlerweile hatte sie nicht mal mehr Interesse, sich selbst Freude zu bereiten.
Luna öffnete die Farben. Tuben, Tegel und Kassetten. Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, nahm sie das Feuerzeug und zündete die Tüte an, die sie beim vorweihnachtlichen Hausputz in einem längst vergessenen Versteck entdeckt hatte. Genüsslich zog sie an dem selbst gewuzelten Joint und atmete den süßlich riechenden Rauch tief ein. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten und so trug sie die Farben und Formen genau so bunt, intensiv und formvollendet auf, wie sie ihr vor den Augen erschienen. Bis ein Flashback über sie herfiel:
Sie lümmelte mit Tristan auf dem Fell vor ihrem Kamin. Beide berauscht, erkundeten sie mit den Lippen und Zungen jeden Millimeter der Haut des anderen. Sie waren sehr gründlich, als suchten sie die bekannte Nadel im Heuhaufen. Es war sehr anregend und erregend zugleich. Sogar als Erinnerung brachte es Lunas Becken zum Pulsieren …
Ihr Rausch verging schnell. Vielleicht hatte das Zeug ein Verfallsdatum und mittlerweile an Wirkung eingebüßt. Nun lag es alleine an Luna, das Bild zu vollenden. Bemüht, das dreidimensionale Bildnis aus ihrer Fantasie, auf die Leinwand zu verfrachten, vernahm sie Schritte im Gang. Sie versiegten vor der offenen Tür. Die plötzliche Stille forderte sie auf, sich umzudrehen, aber sie tat es nicht. Auch dem Seufzer begegnete sie mit Ignoranz.
„Was soll’s“, schluchzte er leise. Die Worte wiederum verletzten sie. Wie ein riesiger Dorn, der sie in die Brust stach. Luna musste sich bewusst vor Augen führen, dass sie sich beide hierfür entschieden hatten. Keiner war alleine schuld. Sie teilten sich diese Verantwortung. Luna schluckte den Schmerz runter und setzte ihre Arbeit fort.
Weit nach Mitternacht wusch sie die Pinsel aus, streifte sich mit dem beschmierten Handrücken die Haare von der Stirn und drehte das Licht im Atelier ab. Sie stieg die Kellerstufen hinauf. Am Rande der Eingangshalle drehte sie sich kurz um. Am anderen Ende des Hauses ging es in den zweiten Keller hinunter. Lautes Stöhnen und das Ächzen der Gewichtsseilzüge erreichte ihr Gehör. Sie hätte Tausende an Gedanken haben können … Dass er sich überanstrengte. Dass seine verschwitzten Muskeln im Licht glänzten. Dass sie gerne seinen Schweiß schmecken würde. Seinen Atemzügen lauschen mochte … Aber sie dachte nur daran, dass sie am nächsten Tag bei ihren Yogaübungen die nassen Handtücher vorfinden würde. Wie die Spuren von einem Hund, der sein Revier markierte.
Ohne sich von ihrem Mann in die Nacht zu verabschieden, ging Luna in den obersten Stock, in das ehemalige Zimmer ihres Sohnes. Seit einem Jahr wohnte er nun mit seiner Verlobten zusammen in dem Gästehaus der zukünftigen Schwiegerleute. Nach seinem Auszug hatte sie die alten Möbel der Wohnungslosenhilfe gespendet und den ausgebauten Dachboden nach ihrem Geschmack neu eingerichtet. Sie und Tristan arbeiteten oftmals bis in die frühen Morgenstunden. Nun hatte jeder von ihnen seinen eigenen Bereich und störte sich nicht mehr daran, wenn der andere spät ins Bett kam, oder früh aus dem Bett stieg.
Das war die offizielle Begründung. In Wirklichkeit konnten sie auf diese Weise den vorwurfsvollen oder fragenden Blicken des anderen bestens aus dem Weg gehen.
Im Bad rief sich Luna Lucas Worte ins Gedächtnis. Sie ließen sie gänzlich unberührt. Das erschreckte sie kurz. Kaum trug sie die Nachtcreme auf ihr Dekolleté, gehörten seine Vorwürfe der Vergangenheit an und Luna sehnte sich nur noch nach dem Bett.
Als sie sich die Bettdecke zu den Ohren zog, fiel ihr ein, dass dies der einzige Bereich im Haus war, an dessen Ausstattung sich Tristan nicht beteiligt hatte. Luna fragte sich schon öfters, warum es zwischen ihnen so lief, wie es lief. Ausgemacht hatten sie nur eine Pause, nicht das Ende ihrer Beziehung. Trug sie etwa die Schuld? Hatte sie das Ende mit dem Alleingang bei der Neuausstattung des Dachbodens eingeleitet? Ihr wurde mulmig. Vielleicht fand sie deshalb nachts keinen erholsamen Schlaf …